Das Traurige des Siegens
In Margriet de Moors Roman »Erst grau dann weiß dann blau« wird die Möglichkeit verhandelt, ein anderes Leben als das eigene zu führen. Jenes andere Leben, heißt es in dem Buch, liege ganz in der Nähe des Lebens, in dem man zunächst gelandet sei. Die Frau, Magda, die das andere Leben ausprobiert und dann doch zurückkehrt ins alte, bezahlt einen hohen Preis: Sie wird getötet.
James Salter war Kampfpilot, bevor er Schriftsteller wurde. In West Point ausgebildet wie sein Vater, kam der 1925 geborene Amerikaner 1945 zur Air Force. Das war zu spät für Einsätze im Zweiten Weltkrieg, aber Salter diente im Pazifik und vor allem in Korea. Danach war er Kommandeur einer Kunstflugstaffel in Bitburg.
James Salter quittierte den Dienst, als 1957 sein erster Roman erschien, »The Hunters«. Das Buch machte den Autor zu Hause bekannt; berühmt wurde er später (und über den Umweg über Europa) beispielsweise durch die sterbensschöne Liebesgeschichte »Ein Spiel und ein Zeitvertreib« und das Scheidungsepos »Lichtjahre«. Salter hat also auch das Leben gewechselt, hat den Pilotenentwurf beiseitegelegt und sich dem Schreiben gewidmet. Er ist dabei geblieben und nicht getötet worden.
Und jetzt – erst jetzt – ist »The Hunters«, das damalige Debüt, unter dem Titel »Jäger« auch auf Deutsch erschienen.
Salter hat mal in einem Interview gesagt, sein Kampffliegerdasein habe durchaus Auswirkungen auf sein Schreiben gehabt: Es gebe ihm »einen furchtlosen Blick auf Entfernungen und Möglichkeiten«. Und in seiner Autobiographie »Verbrannte Tage« hat er notiert: »Gründlich über jemanden zu schreiben bedeutet, ihn zu zerstören, zu verbrauchen. «
In »Jäger« wird Cleve Connell verbraucht. Connell ist Mitte dreißig, ein Pilot mit viel Erfahrung und besten Zeugnissen, an den man hohe Erwartungen hat, als er nach Korea kommt. Aber vor allem er selbst hat hohe Erwartungen: Sieger sein. Abschüsse. Wer fünf von den nordkoreanischen MiGs vom Himmel holt, ist ein »Ass«, ein Held. Und natürlich will Connell ein Held sein und bleiben, auch wenn er schon düstere Ahnungen hat, schattenhafte, beharrliche Todesahnungen, die er aber immer wieder wegschiebt. Außerdem ist da die Gewißheit, daß die Augen nicht mehr so gut sind wie früher. Und ein Kampfpilot mit schlechten Augen hat schlechte Karten. Es stinkt nach Öl und Kerosin und Schweiß, es ist eine Männerwelt voller Härte und Tod, aber der Tod ist aseptisch, Leuchtspurgeschosse, die auf Metall treffen, die abgestürzten Piloten sieht man nicht. Offizierskasino, Alkohol, Zigarren, Schulterklopfen.
Und doch ist das Buch kein Männerbuch. Auf dem Umschlag der deutschen Ausgabe hat sich der Berlin Verlag die rhetorischen Fragen »Ein Roman über das Fliegen? Über den Krieg? Über Helden? « erlaubt. Nein, ist es nicht. Salter mag einen furchtlosen Kampfpilotenblick für Entfernungen haben. Vor allem aber hat er einen furchtlosen Blick für das Traurige des Siegens.
Connell ist Chef einer Handvoll Piloten, zu denen ein junger Bursche stößt, Pell, vorlaut, aufgeblasen, egoistisch und undiszipliniert, und natürlich muß dieser Kerl irgendwann mal auf die Schnauze fallen, denkt man als Leser. Doch Pell fällt nicht. Pell schießt seine erste MiG ab. Dann die zweite. Irgendwann sind es fünf. Dann noch mehr. Und sein Chef Connell hat bloß mal eine erwischt. Langsam kommt er in den Geruch, jemand zu sein, der nie da ist, wenn irgendwo was passiert. Dem genau das fehlt, was man braucht, um ein guter Pilot zu sein: Kampfeswille und Wagemut und Kampfesglück. All das, was Pell hat.
Genau in der Mitte des Buchs nehmen sich Autor und Hauptfigur eine Auszeit vom Krieg. Connell macht ein paar Tage Urlaub in Tokio, geht mit Freunden in Bars, in Bordells. Und er lernt einen Maler und seine Tochter Eiko kennen. Zwischen Connell und der jungen Frau entsteht – nein, keine Beziehung. Aber die Möglichkeit einer Beziehung. Sie sitzen im Gras, sie machen Ausflüge, sie reden. Da ist es plötzlich, das ganze andere Leben.
Es dauert nur ein paar Tage. Dann kommt die Nachricht von einem Luftkampf über Korea mit vielen Abschüssen, bei dem Connell wieder nicht dabei war, er kehrt sofort zurück. Er wird Eiko nicht wiedersehen. Er wird die Vereinigten Staaten nicht wiedersehen. Er wird noch einmal eine Maschine abschießen, eine besondere, doch niemand wird es erfahren. Connell kehrt in das frühere Leben zurück und wird getötet.
Salters Sprache ist schnörkellos und klar und dicht (von der bewährten Übersetzerin Beatrice Howeg klippenlos ins Deutsche übertragen). Was anfangs irritiert, daß Connell seltsam geschichtslos wirkt bis auf ein paar Collegeerinnerungen, entpuppt sich schnell als Konzentration aufs Wesentliche. Einzige Schwäche des Buchs ist es, daß es ein paarmal den Blick auf Connell aufgibt und sich Pell und seinem Innenleben oder Vorgesetzten zuwendet; das wirkt, weil vereinzelt, unnötig. Anfängerfehler. Aber das ist auch schon das einzige, was man bemängeln kann. Die Dramaturgie des Romans ist ansonsten perfekt, und sogar Pell schafft es am Schluß noch, uns zu überraschen.
Was klar erkennbar ist: Dieses Buch stammt von einem großen Schriftsteller. Normalerweise müßte man bei so einem Debüt sagen, daß man noch viel von ihm erwartet. In diesem Fall haben wir das Erwartete schon bekommen.
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