Ein Porträt des Dichters als alter Mann
Als Beamter wird man nach Dienstjahren befördert. Und bei den meisten Unternehmen gilt im Grunde dasselbe Prinzip. Damit verbunden ist regelmäßig mehr Geld, bei, ist man nicht über die Maße ambitioniert, überschaubarer Verantwortung. Bis zum 45. Lebensjahr strickt man am Mythos, dass es stetig nach oben gehe; danach an der zurückblickenden Erfolgsgeschichte.
Ungleich schwerer hat es da die schöpferisch tätige Zunft. Seien es die Gründer eines Start-Up oder der kreative Schreiber. Der persönliche Misserfolg ist kaum zu kaschieren, mündet er doch – im Falle des Unternehmers – in der Pleite und beim Schreiber in der vollständigen Ignoranz durch die Außenwelt. Hinzu kommt, dass die Aussichten auf Erfolg statistisch gesehen äußerst gering sind. Auf jede erfolgreiche Unternehmensgründung kommt eine Vielzahl gescheiterter Versuche; und selbst die wenigen Autorinnen und Autoren, deren Werke es bis in eine Buchhandlung geschafft haben, müssen in der Regel zusehen, einigermaßen über die Runden zu kommen.
Als Arthur Schnitzler 32-jährig die jetzt erst veröffentlichte Novelle „Später Ruhm“ schrieb, scheint er sich mit ähnlichen Überlegungen getragen zu haben. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt – die Geschichte entstand 1894/95 – bereits erste Achtungserfolge aufweisen konnte, stand sein literarischer Durchbruch erst noch bevor. Am 9. Oktober 1895 wurde sein Stück „Liebelei“ am Wiener Burgtheater mit großem Erfolg uraufgeführt. 1901 sorgte die Veröffentlichung von „Leutnant Gustl“ für einen ersten Skandal; zu dieser Zeit zählte Schnitzler bereits zu den meistgespielten Dramatikern auf deutschsprachigen Bühnen.
„Später Ruhm“ ist das Porträt eines alternden Dichters sowie der Wiener literarischen Bohème im ausgehenden 19. Jahrhundert, der Schnitzler selbst angehörte. Was in der Rückschau gerne verklärt wird, entlarvt der Mediziner und Psychologe Schnitzler als das, was es in den meisten Fällen vermutlich war, eine Ansammlung eitler Wichtigtuer, die die meiste Zeit im Kaffeehaus saßen, kein Wort zu Papier brachten, aber inbrünstig von der eigenen Genialität überzeugt waren.
Der Protagonist der Geschichte, der Dichter Eduard Saxberger, hatte eigentlich gemeint, diese Phase seines Lebens hinter sich zu haben. In jungen Jahren – wie so viele seiner Generation – ein ambitionierter Dichter der Romantik, verdingt er sich mittlerweile als Beamter in einer Wiener Amtsstube. Die Veröffentlichung seiner „Wanderungen“ liegt lange zurück; ebenso die Zeit, als Saxberger das letzte Mal ein Gedicht zu Papier gebracht hatte.
Doch genau das fordert das „Junge Wien“ nun von ihm, ein Zusammenschluss junger Künstler, die in einem Antiquariat auf ein vergilbtes Exemplar der „Wanderungen“ gestoßen sind. Seitdem wird der alte Herr von den jungen Leuten nicht nur untertänigst verehrt – eine Persiflage auf den in den 1890ern einsetzenden Kult um Stefan George –, sondern auch zur literarischen Produktion angetrieben. Ersteres gefällt ihm, während es mit dem Schreiben nicht so recht klappen will. Der groß angekündigte Rezitationsabend muss ohne ein neues Stück von Saxberger auskommen, was aber nicht der einzige Grund für die spärliche Resonanz sein dürfte. Der Streit darüber, wem der Misserfolg anzulasten sei, öffnet Saxberger die Augen, dass ihn sein Enthusiasmus blind gemacht hatte für die tatsächlichen künstlerischen und auch charakterlichen Qualitäten seiner jungen Kollegen. Er kehrt in sein angestammtes Umfeld zurück, dem er zuvor in einem Anflug von Snobismus den Rücken gekehrt hatte.
Schnitzlers frühe Novelle ist eine bitterböse Satire auf sein künstlerisches und gesellschaftliches Umfeld, und offenbart zugleich die Sorgen und Ängste des jungen Dichters vor dem ausbleibendem Erfolg sowie der drohenden Lächerlichkeit der ewigen Bohème. Wie sehr der Konflikt ihn in seinen jungen Jahren beschäftigte, darauf weisen Wilhelm Hemecker und David Österle ihn ihrem Nachwort hin. „Medic[inische] und poet[ische] Weltanschauung prügeln sich auf gar ergötzliche Weise in meiner sog[enannten] Seele herum“, zitieren sie aus Schnitzlers Tagebuch des Jahres 1880. Und weiter heißt es: „Wenn ich nur so sehr Künstler wäre, als ich Künstlernatur bin, […] meine Zukunft wird sein: ein mittelmäßiger Arzt zu werden!“
Dazu ist es bekanntlich nicht gekommen. Nicht nur Schnitzler, sondern auch Hugo von Hofmannsthal, dessen Charaktereigenschaften sowie Erscheinung in der Figur des talentierten Winder durchschimmern, blieb die die befürchtete Schnorrerexistenz des gescheiterten Künstlers erspart.
Ob Schnitzler tief in seinem Herzen tatsächlich je ernsthaft mit dem Scheitern gerechnet hatte, bleibt freilich dahingestellt. Nach Fertigstellung von „Später Ruhm“ gab er sich in seinem Tagebuch durchaus selbstbewusst: „scheint nicht übel gelungen […]. Hübsch, einige sehr gute Stellen.“ Dem sei nicht widersprochen.
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