„Negerhaft, der Zigeuner“
Stephanie Bart hat mit ihrem zweiten Roman „Deutscher Meister“ ein eindrucksvolles Buch geschrieben, das auf bemerkenswerte Art politisch ist, ohne so daherzukommen. Der Irrsinn und die zugleich verführerische Strahlkraft der nationalsozialistischen Rassenideologie auf den „einfachen Mann“ (und nicht zu vergessen: die „einfach Frau“) werden darin auf eine Weise greifbar, wie es auf nüchternen Quellen basierenden Geschichtswerken selten gelingt. Und das, obwohl auch Barts Geschichte des deutschen Boxers Johann Rukelie Trollmann großenteils auf Fakten beruht.
Während die NS-Propaganda 1933 noch keine offizielle Linie für den Umgang mit jüdischen und anderen „nicht-arischen“ Sportlern festgelegt hatte, überboten sich die Sportfunktionäre in vorauseilendem Gehorsam. Das galt besonders für den Boxsport, der zu den vom Führer bevorzugten Formen der körperlichen Ertüchtigung zählte. Die jüdischen Boxkämpfer wurden ohne viel Federlesen aus dem Verband und somit von sämtlichen Wettkämpfen ausgeschlossen. Aber wie sollte man mit dem deutschen Sinto Trollmann verfahren, der zu den Besten seiner Zunft zählte und obendrein auch noch für den anstehenden Kampf um die deutsche Meisterschaft nominiert war? Diese Frage bereitet den Verbandsoffiziellen Kopfzerbrechen, zumal zu allem Unglück hinzukam, dass Trollmann aufgrund seiner unorthodoxen Art zu boxen beim Publikum äußerst beliebt war. Kurzerhand den Kampf abzusagen war also keine Option.
Stattdessen versuchte man es erst einmal auf die herkömmliche Weise. Die Ringrichter wurden mit den nötigen Instruktionen versehen, dem Kampf das richtige – sprich: gewünschte – Resultat zu verpassen. Dass der Plan nicht aufging, lag daran, dass Trollmann seinen Gegner im Ring über zehn Runden nach Herzenslust dominierte. Eine Entscheidung gegen ihn als Sieger wäre eine Farce gewesen – mit ungewissem Ausgang sowohl für das Mobiliar wie auch das Wohlbefinden der Verantwortlichen. Der verzweifelte Versuch des Verbandsvorsitzenden, Trollmann Siegerkranz und Titel in letzter Minute dennoch vorzuenthalten, scheiterte am rabiaten Protest des Publikums.
Gleichwohl währte die Siegesfreude Trollmanns nicht allzu lange. Nationalsozialistische Revolution und ein Zigeuner als Boxchampion – der sich obendrein noch das Wort „Gipsy“ auf die Sporthose hatte sticken lassen, eine pure Provokation – konnten und durften nicht zusammengehen. Wenige Tage nach dem Kampf wurde Trollmann der Titel wegen unsportlichen Agierens wieder entzogen. Um keinen Märtyrer aus ihm zu machen, wurde umgehend ein neuerlicher Meisterschaftskampf anberaumt, in dem Trollmann unter deutlich ungünstigeren Bedingungen – der Ring wurde regelwidrig verkleinert, so dass er von seiner Schnelligkeit nicht mehr profitieren konnte – eine vernichtende Niederlage einstecken sollte. Das Vorhaben ging auf; Trollmann verlor nach Punkten, auch wenn große Teile des Publikums den Betrug durchschauten und lautstark dagegen protestierten.
Hier endet Barts Roman, ebenso wie die Karriere des deutschen Boxers Trollmann, der sich, entgegen der Ratschläge etlicher seiner Zeitgenossen, auch weiterhin standhaft weigerte, sein Land zu verlassen. Das wurde ihm schließlich zum Verhängnis: Bei Kriegsbeginn wurde er in die Wehrmacht eingezogen – an der Front waren Sinto zu diesem Zeitpunkt noch willkommen –, drei Jahre später entlassen, und 1944 im Konzentrationslager Wittenberge ermordet.
„Deutscher Meister“ erzählt die Geschichte Trollmanns und liefert zugleich erhellende Einblicke in die kleinbürgerliche Berliner Lebenswelt des Jahres 1933, kurz nachdem die Nationalsozialisten von den Deutschen die Macht übertragen bekommen hatten. Es treten auf die überzeugten Nazis, die ihrem Führer früher als alle anderen einen rassisch einwandfreien Boxsport präsentieren möchten; aber auch die Zweifelnden und Zögernden, die sich (noch) schwertun, die Hand zum deutschen Gruß zu heben und auf denjenigen setzen, der in ihren Augen der besser Boxer ist – unabhängig davon, was die krude Rassenlehre der neuen Herren davon hält. Auch wenn Trollmann und seine herausragend-plastisch dargestellten Kämpfe den größten Teil des Buches ausmachen, sind die am Rande in Erscheinung tretenden Akteure, etwa die Bäckerreichverkäuferinnen und Trollmann-Verehrerinnen Henriette Kurzbein und Maria Plaschnikow, der Trollmann-Manager Zirzow oder der von der Überlegenheit des arischen Kämpfers beseelte Trainer Schlachter mehr als lediglich Randfiguren; sie runden das Geschehen gekonnt ab.
Dazu kommt, dass Bart die Handlung geschickt mit dem New Yorker Kampf um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht zwischen Max Schmeling und Max Baer verknüpft. Dieser hatte am Tag vor dem Trollmann’schen Meisterkampf stattgefunden, und Baer, mit einem Judenstern auf der Hose boxend, hatte dabei Schmeling eine schmerzhafte KO-Niederlage beigebracht, was für Anhänger des Glaubens an die generelle Überlegenheit des arischen Faustkämpfers einen empfindlichen Dämpfer bedeutete. Umso wichtiger war es, dem Sinto Trollmann den Triumph zu versagen. Dass das nur bedingt funktionierte, zeigen nicht nur die Reaktionen des Publikums, sondern auch Barts großartiger Roman, der dem Boxer Trollmann im Jahr seines 70. Todestages ein würdiges Denkmal setzt.
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