Sie ist nicht die einzige im Universum, die mit einem Drama leben muss
Sie kriegt diesen Typ einfach nicht aus ihrem Kopf, obwohl er sich richtig mies verhalten hat. Erst hat er sie in Andys Plattenladen angequatscht, weil sie auch die neueste CD von Paolo Nutini kaufen wollte. Dann schäkert er, was das Zeug hält, um sie zu überreden, mit ihm ins Konzert zu gehen. Stimmt schon, dass sie ziemlich schnippisch war, die Coole spielte, nicht eindeutig zusagte: Sie konnte ja schlecht zugeben, dass in ihrem Bauch ein Kobold tobte vor lauter Glück. Natürlich ist sie dann zum Konzert gegangen, mit mulmigem Gefühl und etlichen Zweifeln: war ja auch das erste Date ihres Lebens. Und dann kommt der Typ einfach nicht: „Den ganzen bescheuerten Abend habe ich an dem dämlichen Pfeiler gestanden und die Eingangstür angestarrt. Wie ein hypnotisiertes Kaninchen.“ Plötzlich wird ihr alles klar: „Der wollte sich gar nicht mit mir treffen, der wollte einfach nur ein Mädchen verarschen.“
Skinny – eigentlich heißt sie Beverley, aber sie kann ihren Namen nicht ausstehen – hat es geahnt: Er, damals wusste sie noch nicht, dass er Pascal heißt, war eben doch wie alle anderen Jungs. Warum hätte sie auch ausnahmsweise mal Glück haben sollen? Warum sollte sich ein Junge, der richtig gut aussieht, blond ist mit dunklen Augen und ein süßes Lachen hat, gerade für sie interessieren? Selbst ihren Eltern ist sie ziemlich egal. So fühlt es sich zumindest für Skinny an: Ihr Vater „ist quasi dauerabwesend“, ihre Mutter kümmert sich kaum um sie. Dass vielleicht auch ihre Eltern mit der Situation überfordert sind, den Unfall ihrer Schwester Vicky, die als Kind beim Eislaufen eingebrochen ist, noch nicht verdaut haben könnten, kommt Skinny nicht in den Sinn. Sie macht die Schotten wieder dicht. Zieht sich in ihre innere Festung zurück, kaum dass sie einen winzigen Schritt nach draußen gegangen ist. Sich ein bisschen geöffnet hat und Gefühle zugelassen. Verschanzt sich erneut hinter ihrer widerborstig trotzigen Aufmüpfigkeit, wo nur noch eine zu ihr durchkommt: die schwerbehinderte Vicky. Und verschwendet keinen einzigen Gedanken daran, dass in Pascals Familie etwas Schlimmes passiert sein könnte: sie nicht die einzige im Universum ist, die mit einem Drama leben muss.
Pascal spielte Klavier, bevor das Leben auseinanderbrach: Er stand kurz vor der Aufnahmeprüfung in die Sonderklasse des Konservatoriums, jede freie Minute hatte er dafür geübt. Monatelang. Und er war sich ziemlich sicher, dass er es schaffen würde. Schaffen wollte, schon allein für seine Mutter: „Meine Mam ist Tänzerin gewesen, Primaballerina, bevor ich geboren wurde. Sie vermisst die Bühne noch immer, auch wenn sie es nie – niemals – zugeben würde. Nun soll ihr Sohn ein Künstler werden.“ Vor dem Vorspielen geht er siegessicher in Andys Plattenladen, um sich ein Ticket zu kaufen: Er findet, dass ein Popkonzert genau das Richtige ist, um seinen Erfolg zu feiern. Dort trifft er zufällig Skinny und ist hin und weg: „Unglaublich helle Haut, sehr dunkle, kurze Haare mit einer blauen Strähne. Ihr spöttisches Lächeln hat mich glatt umgehauen.“ Dann, am Tag der Aufnahmeprüfung passiert der schreckliche Unfall: „Jenny hat überlebt, Mam nicht.“
Es hat geknistert, gefunkelt und geblitzt, selbst Andy hat es gemerkt. Doch dann kommt die bittere Realität dazwischen, bevor sich überhaupt etwas entwickeln konnte. Feinfühlig, in einer direkten Sprache mit schwingenden Untertönen erzählt Sabine Bartsch in ihrem Debüt „Das mit dir und mir“ die steinig holprige Liebesgeschichte von Skinny und Pascal. Bartsch schreibt von innen heraus: Wechselt die Perspektiven, schlüpft mal in Skinny, mal in Pascal. Schaut ihnen direkt ins Herz, taucht ein in ihre Gedanken und schreibt aus zwei Ich-Perspektiven. Gibt ihnen Zeit, zu trauern. Lässt Pascal in seiner Apathie versinken: Stundenlang liegt er auf dem Bett, starrt die Decke an: „Ich fühlte mich wie tot. Als sei nicht sie, sondern ich gestorben.“ Und wenn er nicht an seine Mam denkt, denkt er „an das Mädchen aus Andys Laden.“ Und Bartsch lässt Skinny hinter ihrer rebellischen Rotzigkeit verstecken. Ihrem Trotz. Gegen alles und jeden und sich selbst: „Ich habe überhaupt keine Freunde, ich habe Vicky und das reicht. Es ist gar kein Platz für noch jemanden!“ Gibt ihnen Zeit, langsam wieder ins Leben zu finden. Zu wandern zwischen dem Jetzt und Vergangenem, Äußerem und Innerem, zwischen Herz und Verstand. Zu wachsen, sich zu entwickeln. Gefühle zu zulassen, Vertrauen. Vor allem zu begreifen, dass sie, was auch immer passiert ist, glücklich sein dürfen.
Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Kommentare
Rezension
Guten Tag,
vielen Dank für die sehr ausführliche und positive Rezension meines Debütromans. Es hat mich wirklich sehr gefreut, die Rezension zu lesen.
Sabine Bartsch
www.sabine-bartsch.de
Neuen Kommentar schreiben