Alles Weitere Mündlich
„Im Grunde verweigern sich Gedichte von Natur aus einer Rezension. Sie sprechen von einem Ich zum anderen oder sie schweigen“, schreibt Petra Schröck dazu in ihrer lesenswerten Rezension auf fixpoetry. Trotzdem möchte ich ihr widersprechen, und mit Michael Palmer behaupten, dass „Dichtung selbst ein Gespräch ist, manchmal im Toben, oft in Stille und Schweigen, ein Hinübertragen oder eine translatio, ein Austausch in den Bergen oder bei den Inseln der sich dunkel drehenden Welt.“ Insofern ein Gespräch über Phänomene, Erfahrungen, über die man eigentlich nicht sprechen kann. Denn ein Gedicht ist ja nicht dazu da, etwas zu erklären, zu zeigen oder zurecht zu rücken, und es hat auch nur sehr bedingt den Anspruch, sich dem Rand des Aussprechbaren anzunähern, vielmehr sind Gedichte Hersteller einer ganz eigenen Gegenwart, wie Anja Utler in ihrer Münchner Rede zur Poesie darlegt. Lyrik, heißt es dort, „verleiht lebenden und unbelebten Dingen Präsenz. Und sie schafft zeitliche Gegenwart: Ihre Perspektive ist nicht die des Betrachtens und nachträglich-erzählenden Einordnens; im lesenden Hindurchgehen wird eine Welt im Präsens erlebbar.“
In seinem zweiten Gedichtband lotet Pordzik ohne Weihrauch die Innenseiten aus, findet trostlose Ersetzungen und entwendet Elegien, bevor er einen Sichtwechsel vornimmt, noch ein paar Schiffsmeldungen, Havarien beschreibt, bevor er verspricht: Alles Weitere mündlich.
Die Gedichte zeichnet eine Bestimmtheit aus, die durch die Melancholie der Sprache sowohl glaubhaft, als auch tröstend wirkt.
Die Zeiten schrumpfen, ballen sich zusammen, von Gott am Tag nach der Schöpfung über Noah zu Kant erstrecken sich die Gedichte, ohne das Jetzt, das Unmittelbare der Erfahrung jemals aus den Augen zu verlieren.
Häufig arbeitet Pordzik mit einfachen Aufzählungen, wie in WAS ICH SEIN WERDE
Brezelverkäufer mit und ohne Abitur,
Befürworter von Schweigeminuten
für alle überlieferten Toten,
Flaneur und Ewiggestriger, Studierter
in Sachen Fortschritt und Stillstand,
Pfeilwurz und Wadenwickel,
enterbt aber, gottlob, glücklich.
Ralph Pordzik fühlt sich definitiv nicht dazu berufen, die Schönheit der Welt zu besingen :
Nein zu sagen ist das Salz der
Kunst, die Welt kann warten
Bis zum nächsten Tag
der Schöpfung.
Heißt es in ZUM BEISPIEL OHNE TOCHTER
In diesem Sinne verstehe ich seine Dichtung als Widerstand gegen jegliche Art von Oberflächlichkeit und besonders gegen eine Art von vorschneller Beruhigung gegenüber der Unruhe, in der Welt zu sein. Statt Beruhigung findet man in Pordziks Gedichten eher die Ermunterung „krumme Wege zu gehen“.
Die Gedichte sind zugleich klar und rätselhaft, womöglich rätselhaft aufgrund ihrer Klarheit. Hier spricht ein Dichter, sehr unabhängig von seinen ureigenen Erfahrungen mit sich und der Welt, und erklärt gerade dadurch, wie alles zusammenhängt, da behauptet kein Vers allgemeingültig zu sein, nur radikal ehrlich und subjektiv. Keines der Gedichte will um jeden Preis gefallen oder gar gefällig sein.
Haarfein zieht der Sekundenzeiger die dünne
Linie zwischen uns und aller Zeit, die kommt.
Und ebenso haarfein zieht Ralph Pordzik auch mit seinem zweiten Gedichtband die feine Linie zwischen Geschwätzigkeit und Schweigen.
Fixpoetry 2015
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