Mann schreibt seinen Roman nicht fertig
»Mann weigert sich zwanzig Jahre lang, nach dem Weg zu fragen«, könnte die vielleicht irrigste Zusammenfassung von Homers Odyssee lauten. Denn wie es eben so ist: Auch große Kunst lässt sich auf bekloppte Banalitäten reduzieren, wie komplex sie auch sein mag. Ähnliches ließe sich vielleicht von James Joyce‘ Ulysses sagen: »Mann läuft ziellos durch Dublin und denkt viel nach«. Das sind niedlich-ironisierende Zusammenfassungen, die gerade deshalb so treffend scheinen, weil sie ihrem Gegenstand absolut nicht gerecht werden.
Schriebe aber jemand über Jochen Distelmeyers Debütroman Otis den simplen Satz »Mann schreibt über viele Frauen seinen Roman nicht fertig«, würde das bereits ausreichen. Um viel mehr geht es kaum in Otis, außer natürlich der Geschichte des Berliner Holocaust-Denkmals, der »stolzen Flotten« des hiesigen Verkehrsbetriebes und ein bisschen Szene-Gossip aus dem bröckelnden Bildungsbürgertum der Hauptstadt. Ein bisschen Kritik wird auch präsentiert, sie stellt sich aber selbst ein Bein.
Tristan Funke hat seinen Job in einem Hamburger Verlag geschmissen und ist nach Berlin gezogen. Um seinen Roman zu schreiben, das heißt dem Klischee des geplagten Künstlers zufolge natürlich: um seinen Liebeskummer zu bewältigen. Dabei helfen ihm rund ein halbes Dutzend Frauen, die ihn wiederum von seinem literarischen Odyssee-Update mit einem KimDotCom-meets-Gottfrid-Svartholm-meets-John-McAfee-Amalgam in der Hauptrolle ablenken. Obwohl er das gar nicht nötig hätte, schließlich kann er sich bestens selbst ablenken.
Seitenlang zieht Distelmeyer seinem Protagonisten längst bekannte Details zu allerlei historisch-gesellschaftliche Banalitäten der Berliner Umgebung aus den staubigen Hirnwindungen. Funke schwadroniert alleine oder mit seinen drögen Bekanntschaften ausgiebig über den Holocaust, die Causa Wulff, die Rolle von Penelope in der Odyssee oder generell seinem Buchprojekt, von dem er sich eine »Rückkehr zu sich selbst« verspricht. Geschichte, Zeitgeschehen und Kunst sind noch die interessantesten Protagonisten dieses Schlüssel(-loch-)romans zu Zeit und Szene. So spannend und lehrreich wie Funke das selbst findet, liest es sich jedoch nicht.
Der Debütautor Distelmeyer begeht jeden erdenklichen Fehler, den ein Debütant nur begehen kann. Nicht nur ist die Formel vom liebeskümmerlichen Exilanten, der sich in neue Umgebungen flüchtet, abgewetzt, einen verklausulierten Abwasch über den diskreten Uncharme der Berliner Bildungsbourgeoisie braucht es nun wirklich nicht. Zumindest nicht, wenn sein Autor es über zermürbende 280 Seiten nicht schafft, aus alten Motiven und wohlbekanntem Tagesgeschehen mehr als ein paar bräsige Floskeln zu extrahieren. Otis will eine genuin deutsche, ausgesprochen zeitgenössische Mentalität ausloten, verheddert sich aber im eigenen Senkblei, das heißt vor allem Distelmeyers bleiernen, unzeitgemäßen und genuin deutschen Stil.
Distelmeyer schafft es weder seinen Protagonisten und seinen etlichen Mätressen, Freunden und Bekannten eine eigene Sprache in den Mund zu legen noch selbst einen Sound zu kreieren. In »erlauchten« Kreisen bewegen sich diese Menschen, finden Theater »staatstragend« und ziehen noch jede abgedroschene Phrase aus der Mottenkiste des obsoleten Sprachgebrauchs, die ein bisschen nach Hochkultur klingt. Das ist eines der Hauptprobleme Distelmeyers: Sein kritischer Duktus ist vom Kritisierten affiziert.
Das macht sich allein schon daran bemerkbar, dass Distelmeyer den Dümmlichkeitssexismus seines Protagonisten vorführen will, viel zu oft aber die Grenze zwischen Erzähler und erzählter Figur verwischen lässt. Einerseits wird klar, dass Funke als Phänotyp einer neuen, aber nicht minder patriarchalischen Männlichkeitsauffassung vorgeführt werden soll. Andererseits schafft es Distelmeyer nicht, seinen Frauenfiguren mehr Attribute als Alter, Aussehen und Berufsstand zuzuschreiben. Warum sie dermaßen, naja, sirenenhafte Reize auf Funke ausüben, das bleibt schleierhaft. Seine schriftstellerische Inkompetenz stellt Distelmeyers hehren Absichten Mal für Mal ein Bein. Mieses Handwerk bedingt ungute Implikationen.
Perfider wird es noch, wenn der von Rowohlt veröffentlichte Distelmeyer die Geschichte des Suhrkamp-Verlags und dessen Minderheitsgesellschafters Hans Barlach aufarbeitet. Wer sich nämlich hinter dem Verlagshaus Behrmann und dem Unsympathen Zaller verbirgt, ist mehr als offensichtlich. Kaum im Geschäft, maßt sich Distelmeyer an, in der Dreckwäsche der Konkurrenz rumzustochern. Von kritischer Auseinandersetzung hat das wenig, es kommt eher einer Abrechnung mit einer sich angeblich für die Skandalgesellschaft prostituierenden Branche gleich.
»Joyce hatte nichts zu erzählen und ist nur hinter dem Mythos in Deckung gegangen. Schreiben konnte er wohl auch nicht, darum hat er sich diesen Track mit den abgehackten Sätzen ausgedacht«, erklärt Zaller-Barlach großspurig dem Autor bei einem Essen, zu dem er nur in Hoffnung auf ein Treffen mit einer von Funkes schönen, mittelalten und in der Kreativbranche tätigen Bekanntschaften zugestimmt hat. Funkes Roman findet er »im Ganzen unbefriedigend« und wünscht sich »irgendeinen Knaller. Skylla und Charybdis! Ein Liebhaber. Zwei Frauen. Vis-à-vis in derselben Straße. Peinliche SMS-Verwechslungen und Begegnung am Morgen danach. Athene! Eine wohlmeinende Stalkerin. Hermes als schwuler Theaterregisseur. Theiresias? Natürlich ein transsexueller Taxifahrer. Analsex! So was wollen die Leute lesen! «
Vielleicht fand ja ein ähnliches Gespräch zwischen Barlach und dem aspirierenden Debütanten Distelmeyer statt. Zumindest hätte solche Kritik Otis im Vornherein gut getan. Dieser Roman, der sich erschöpfend mit einem Satz zusammenfassen ließe, wäre von einem vernünftigen Lektorat nämlich auf kaum mehr eingedampft worden. Dass er trotzdem in all seiner unergiebigen, stilistisch abgründigen Stockigkeit von einem der größten deutschen Verlage als Spitzentitel des Frühjahrprogramms verlegt wird, sagt mehr über die Wirkungsmechanismen des deutschen Kulturbetriebs aus, als Distelmeyer es je könnte. Denn wäre der Autor nicht als Mitglied der Hamburger-Schule-Band Blumfeld seit mehr als zwei Jahrzehnten bekannt und, nebenbei gesagt, mit eben jener kürzlich auf Reunion-Tour gewesen, Otis wäre direkt vom Posteingang in den Müll gegangen.
Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Kommentare
Besser als Pop!
beitrag entfernt, keine werbung bitte an dieser stelle/JF
Neuen Kommentar schreiben