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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Die Zeit vor dem Erwachsensein

Arno Geiger hat mit Selbstporträt mit Flusspferd einen leichten und vergnüglichen Roman geschrieben
Hamburg

Es ist der Sommer 2004, der Ort Wien. In Athen finden die Olympischen Spiele statt, im Nordkaukasus findet die traurige und blutige Geiselnahme der Schule von Beslan statt, in Tel Aviv macht ein Selbstmordattentat Schlagzeilen. Unruhige Zeiten auf dem Planeten namens Erde und auch in Julians Leben. Julian ist zweiundzwanzig, im vierten Semester seines Veterinärmedizinstudiums und hat sich gerade von Freundin Judith trennen lassen. Hat aus der ihm eigenen Schlurfigkeit heraus die Trennung herbeigesehnt und ist nun doch gekränkt, so leicht und scheinbar schmerzfrei aus jemandes Leben hinauskomplimentiert worden zu sein. Julian muss nun erkennen wie solide und selbstständig Judith bereits in der Welt steht, wohingegen er – noch grün hinter den Ohren – noch nicht so recht weiß, wohin mit sich.

Wie gerufen kommt da der Sommerferienjob, den er für seinen Freund Tibor übernimmt: die Pflege einer Zwergflusspferddame im Garten des schwerkranken Professor Beham. Hier in der surrealen Szenerie der Kleingartenbühne mit Flusspferd im Zentrum, sterbendem grummeligen Professor als Impresario und seiner aufmüpfigen und selbstredend attraktiven Tochter Aiko als verführende Nebendarstellerin, kann Julian sich ungestört Weltschmerz und Selbstzweifel hingeben. Denn, ein junger Mann mit Schmerzen zu sein ist eine Ganztagesbeschäftigung. Und Sommerferien, das bedeutet immer auch eine zeitlose Zeit, ein Zwischen- und Schwebezustand von Sonne und immer gleichförmigen Tagen, die mit Ausmisten des Geheges und Schälen von Gemüse für das Flusspferd gefüllt werden. Genügend Zeit also, um auch den eigenen Schwebe- und Zwischenzustand zu reflektieren.

Dass das Flusspferd hierbei als Gravitationszentrum dient, wird schnell offensichtlich. Es hält nicht nur die Protagonisten zusammen, sondern auch den Luftikus Julian am Boden. Es ist nichts als träge und gefräßig, dumpf und zur Selbstbespiegelung das denkbar ungeeignetste Tier. Aber um Selbsterkenntnis geht es auch nicht, wenn Julian immer wieder ratlos und erstaunt diese verkörperte Gelassenheit und Selbstzufriedenheit studiert. Hier haben wir es mit einem Protagonisten zu tun, der wirklich gar nicht durchblickt, weder was die Frauen, noch die Welt, noch sich selbst betrifft und sich doch in einer Welt vor findet, in der er gezwungen ist, sich zu verorten. Seinen Widerstand dagegen, seine Sehnsüchte, projiziert Julian auf das Flusspferd, dieses pralle() Paket Natur. Und wieder, wie so oft, erschrak ich vor der Realitätsferne dieses Tieres, vor seinem ganz natürlichen, unmodernen, unbrauchbaren Geist. Ich wollte mich am Strom dieser Unbrauchbarkeit aufrichten, mich von ihm hinführen lassen an die Idee, dass das Leben auch gut und schön sein kann, wenn es zu nichts führt. Aber so ist der Mensch nun einmal nicht.

Arno Geigers Roman ist somit keine klassische Comig-of-Age-Geschichte. Es geht nicht um Julians Entwicklung oder Individuation. Vielmehr erscheint Selbstporträt mit Flusspferd eine romantisch nostalgische Erkundung und Beschreibung jener kurzen und verwirrenden Zeitspanne zu sein, die wir erleben, bevor wir mit unseren gefestigteren, aber gerade dadurch auch schon wieder beschränkteren und determinierten Ichs die Weltbühne erobern. Jene Zeit, in der wir noch offen und damit natürlich verletzlicher sind. Die Welt groß und unübersichtlich ist, aber Gefühle dafür noch etwas Unmittelbares und Verständliches haben. Nie wieder ist Verliebtsein so schön, allumfassend und so klar erfassbar wie in dieser Phase.

Aiko und ich sind permanent übernächtigt. Wir bekommen dieses Beduselte, Beschwipste, das die Verliebtheit bestärkt, als stünden wir ein Stück neben uns. Und obwohl wir wenig schlafen, bin ich vor Glück und Aufregung erfüllt.

Dass es Arno Geiger tatsächlich gelingt diese verlorene Zeit und im Erwachsenenleben auch ein für allemal verlorene Weltwahrnehmung so eindrücklich wieder auferstehen zu lassen und das mit so viel Leichtigkeit, ist das eigentliche Kunststück.

Erzählt wird das Ganze sehr unaufgeregt, in einer fast schon schlichten Sprache, die ihren Zauber und vor allen Dingen ihren Witz auf eine sehr subtile Art entfaltet. Immer wieder gibt es Sätze in diesem Roman, die sind unwiderstehlich: In Küchen vergeht die Zeit nun einmal langsamer als woanders.

In der Schönheit der schlichten Sätze spiegelt sich die ganze Leichtigkeit dieses Sommers:

In den Feldern vor der Stadt nehmen die Maulwurfshügel zu. Ich reibe eine Zwetschge an meiner Arbeitshose, bis der graue Belag verschwunden ist. Die Frucht glänzt und ich beiße hinein. Aiko sitzt auf der Terrasse, schiebt ein Stück Pistazieneis im Mund hin und her. Am Abend, wenn alles ruhig ist, hören wir die Wespen am Holz des Rosenspaliers nagen. Ich mag dieses Geräusch. Später schlafen wir wieder miteinander und dann reden wir wieder miteinander.

Ein gemütlicher Roman, ein schöner Roman. Ein Roman wie eine Zwergflusspferddame.

Arno Geiger
Selbstporträt mit Flusspferd
Hanser
2015 · 288 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-446-24761-1

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