Nie fertig
Als Schreibende|r hat man es auf ganz natürliche Weise mit Sinnhaftig- und mit Sinnlosigkeit zu tun. An jedem Wort haftet zunächst etwas und oft muß man es schütteln, abschälen, freistellen, insofern also „sinnlos“ machen, um es für sich sinnvoll in Gebrauch zu nehmen. Ekelöf hat einmal in einem Lament ausgerufen: „wer so weit in der Sinnlosigkeit gekommen ist wie ich“, der …. ja was macht der?, der eigentlich ist erst zu neuem Sinn bereit.
Aber wie kommt man weit in der Sinnlosigkeit, wie entdecke ich neue Areale, außer durch beherzte Schritte, Einlassungen (was Öffnungen voraussetzt), Loslassungen (was Trennungen beinhaltet), Akte, die das Kapseln aufheben. Also gebe ich Fläche frei und lasse Kontext zu, und schon erzeugt sich etwas, daß so nicht vorgesehen, nicht planbar, nicht berechenbar gewesen ist. Ich fange an zu zwitschern, erkunde den Moment, ich übe das Verlassen und Loslassen und probiere aus. Dann bin ich das Ausprobierte und behaupte die Möglichkeit eine Probe zu sein, mich selbst beprobt zu haben.
„Subsong: Das Rauhe am Ton, das Melodiöse. Schönheit und Brechung, Plastikkanister und Idyll, Fremdheit und Schichtung der Zeit. Subsong: die Wissenschaft steht vor einem Rätsel, dem Hörer öffnet sich das Ohr. Subsongs sind besonders schön: sie haben offenbar keine Funktion. Es wird familiengeschwätzt, gelallt, versucht, die Kehle geölt. Ohne es zu merken beobachtet man Poesie.“
(Wer schreibt eigentlich die Klappentexte? – bei vielen Büchern vermute ich: der Autor selbst, von einigen Autoren weiß ich, daß sie zumindest die Vorlage geben.)
Ulrike Draesners Subsong gehört für mich zu den inspirierendsten Gedichtbänden seit langem. Was einerseits mit einer enormen Freude am Sprachspiel zu tun hat und einem natürlich neugierigem Verhältnis zu Sprachkörpern. Sie schüttelt und rüttelt an Worten, dreht sie um und sieht Klimperzeug und Säckelmusen herausfallen, andere fängt sie ein und sieht zu, wie sie sich gegen das Lasso sperren und ihr Bäumen sie verändert. Dabei agiert sie herrlich frei, muß nichts, soll nichts, muß nicht modern sein und nochmal anders, muß nicht anders sein und unbedingt modern. Die Abwesenheit von Zäunen und Planquadraten, von angestrengten Linien, lässt zu. Und die plötzliche Präsenz von Unerwartetem erlangt eine eigene Gültigkeit.
Und andererseits gibt es ein konkretes Einlassen und ein Sagen, das sich erzeugt und wie sie es betreibt, mit großem Vertrauen in die Sprache und in das Gedicht, ist ebenso spannend. Ulrike Draesner drückt sich nicht. Das klingt ziemlich lapidar, aber ist etwas, was man nicht häufig liest und ein hohes Maß an Anwesenheit verlangt. Viele LyrikerInnen agieren vom Hochsitz aus, erspähen und erlegen das Gedicht wie ein kostbares Bret, aber das hier ist anwesend und mittendrin und die Beute bleibt am Leben. Ein kurioser Vergleich vielleicht, aber er soll den Begriff Lebendigkeit ins Spiel bringen, um den es auch im Gedicht geht, und der in Draesners Subsong sich überall, auch in den sprachspielerischen Texten wiederfindet.
Es wird also nicht gejagt und erlegt, und auch nicht gehegt und gepflegt. Als Verb fiele mir ein „beispielen“, wenn es das gäbe, in allen möglichen Sinnvarianten: also etwas herbeispielen, zu einem Spiel beitragen, ein Beispiel sein (was innerhalb dieser Denkexkursion dann nochmal viele interessante Färbungen annehmen kann). Und womit wir wieder beim Titel des Buches sind: Subsongs sind spielerisch unterwegs, da, aber wie jede Gegenwart nicht (und wohl naturgemäß nie) fertig.
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