Hütchen voller Geld
Ich bin reich. Ich habe ein Kapital aufgebaut, von dem ich mir ein großes Eigenheim, ein Haus leisten kann. Ich habe es nicht zusammengespart, sondern geerbt. Genauer gesagt, ich habe eine halbe Million geerbt von einer Großtante, die ich nicht kannte. Nehmen wir an, das Haus steht schon, die nächste Anschaffung ist ein Roboter, der alles beisammen hält, meine Hausaufgaben erledigt, putzt, mir in traurigen Stunden Gesellschaft leistet, eben das, was man von Robotern gewohnt ist.
Mir stellt sich die Frage, sollte ich nun weiter Gedichte schreiben, oder sollte ich es lassen, weil ich aus einem Defizit heraus geschrieben habe. War das Defizit tatsächlich so materiell? Wie arm kann ich mich nun verkaufen? Inwieweit ist das Armsein an das Gedichteschreiben gebunden?
Tatsächlich habe ich nichts geerbt, ich kenne nur meine dicke Großtante Schura aus der Ukraine, die im Postamt arbeitet und mit heißem Wasserdampf vorsichtig Kuverts aufmacht, wenn sie darin ein paar Scheine vermutet. Das letzte Mal, als sie sich eine kleine Summe (In Deutschland gleichbedeutend mit gar keiner Summe) zusammengespart hatte, ist sie auf ein Unternehmen hereingefallen, das Algensamen angeboten hat, die es nach erfolgreicher Züchtung angeblich für das Zehnfache wieder abkaufen sollte. Natürlich sollten daraus bahnbrechende Krebsmedikamente hergestellt werden. Meine Tante Schura kaufte für die ganzen fünfhundert Dollar Algensamen aus denen unerträglich stinkende Algen entsprangen. Es stank aus der Wohnung ins Treppenhaus hinein und daraus in die Wohnungen der Nachbarn, die sich um Gottes Willen berechtigterweise beim Mieterbund beschwerten. Die Algen wurden entsorgt.
Ich werde nie in meinem Leben Geld haben, denn für normale Berufe bin ich wahrscheinlich nicht tüchtig genug, die meisten Kreativberufe kann ich nicht ernstnehmen, die Gedichte werden auch in dreißig Jahren immer noch Gedichte bleiben. Im besten Fall werde ich mich mit Lesungen durchhangeln, werde 1000€ pro Lesung bekommen, aber nur aufgrund der Inflation. Für einen Roboter wird’s gerade so reichen. Ich werde mit ihm allein sein, einsam. Auch Katzen werden nichts daran ändern können. Immerhin werden meine Gedichte, Gedichte der Zukunft sein, der armen Zukunft, denn etwas Anderes wird außerhalb meines Horizonts liegen, etwas Anderes werde ich nicht mehr besingen können. Wie wird das aussehen?
seit letztem herbst hat mein haus keine nachbarn.
von beiden seiten wurde abgerissen.
nur wölkchen ausgeatmeten stickstoffs
zeugen von früherem leben.
die wände verkommen, bestehen zur hälfte
aus blätterskeletten, zur hälfte aus gips.
das haus steht im schwemmgebiet, wo soll ich hin?
draußen in die sauren pfützen treten?
die fossilien von schnecken aufsammeln?
das erledigt mein robofreund für mich. bisher.
wir beide sind solarbetrieben,
doch welche sonne, freunde? von sonne
blieb nur o. auf der couch vor dem fernseher
legt mein freund seine handvorrichtung
auf meine schulter, als wären wir ein normales pärchen.
die tage vergehen langsam, manchmal sogar
sehr langsam. wir sitzen, warten auf neue nachbarn.
Meine Sonnenblumenfarm wird das Mittel zum Reichtum sein, vielleicht wäre Mittler sogar ein besseres Wort. Ich werde mit Samen- und Kernpatenten mein Glück versuchen. Ernsthaft: Wie sich ein ordentliches Leben finanzieren?
Ich habe gehört der Bundesetat zur Literaturförderung beliefe sich pro Jahr auf eine Million Euro. Wird nicht jede große Opernproduktion mit ebenso einer Summe teilfinanziert? Und wieviel von dieser Million bleibt am Ende des Tages für Lyrik? Oha, fangen wir nicht an. Bei den schätzungsweise Tausend Dichter_innen wären das achtzig Euro im Monat. Weniger also als meiner Tante Schura zur Verfügung steht. Die allerdings muss für eine Großfamilie sorgen.
Wie hoch ist der Kulturförderetat insgesamt? Drei Milliarden Euro? Vier? Wen also ansprechen, um den Förderetat für Lyrik unbemerkt zu verhundertfachen? Es würde schließlich kaum auffallen. Die Verantwortlichkeiten sind allerdings klar geregelt: verantwortlich ist niemand. Über Fördervereine zur Stadt, zum Land, zum Bund, zu Europa, zum Mars hin und zurück.
Ein Glück, dass unsere Literaturhäuser ihre konstanten Gelder erhalten. Findet dort ausnahmsweise eine Lyriklesung statt, wird sie schon für gelungen befunden, wenn zwanzig Zuschauer auftauchen. Da bekommt ein Hauke Hückstedt in Frankfurt schon gewaltig Schiss, dass ihm die Stadt Zuschauer abwirbt und schreibt einen wütenden offenen Brief. Hier meine offene Antwort, die er niemals lesen wird: Gib was von der Kohle an junge Lesereihen ab, und sie machen dir das Haus fünf Mal so voll, auch bei Lyrik, gerade mit Lyrik, ja.
Als ich in München beim Treffen junger Lesereihen mit Lyrikschwerpunkt war, hat sich sehr schnell herauskristallisiert, wie unfair (unfair!) Gelder aus den schon mickrigen Fördertöpfen verteilt werden. Ich selbst organisiere mit einer Kommilitonin die monatlich stattfindende Lesereihe Hausdurchsuchung, bei der man konstant mit über hundert Gästen kalkulieren kann, und wir machen es, wer hätte das gedacht, nein, nicht als low budget, sondern als no budget. Bis auf die Kosten, die ab und an für das Ausleihen der Mikrofone anfallen, fließt kein Geld. Wann hatte das Frankfurter Literaturhaus noch einmal so viele Gäste? Vom Leipziger Haus des Buches, braucht man gar nicht anfangen. Gelder zu beantragen und bewilligt zu bekommen für die Hausdurchsuchung nichtsdestotrotz unmöglich, sie sind wie gesagt fest verteilt, damit kann man rechnen. Aber wir brauchen schließlich auch kein Geld, nicht wahr? Selbstausbeutung ist die Tugend unserer Autoren, unserer Veranstaltungsorte, ja, auch unsere Tugend.
Ich werde mir einen Truck voller Sonnenblumensamen besorgen, und damit in den Olymp der Privatförderer aufsteigen, ihr werdet schon sehen. Hera und Apollon werden mir zur Seite stehen.
Im Moment aber, heißt es Daumendrücken. Ich habe mich für einen Literaturpreis beworben, bei dem es dreihundert Euro zu gewinnen gibt, das wären dann die Miete und das Katzenfutter. Sollte ich die Dreihundert gewinnen, aber Moment, ich habe mich ja nicht Beworben, ich vergesslicher Wicht habe es vergessen.
ich schaue aus dem fenster.
die trägheit der sonnenblumen überblendet den alltag.
wenn ihre kerne überreif zerspringen, ernten
siebenschwänzige monster die reste.
das verhältnis von monstern zu kernen, ist nicht zu ändern,
das verhältnis von trägheit zum rest, ist ein griechisches rätsel.
aus hera ist hebe entsprungen, trug bei
zum verwelken der blumen.
apollon und artemis ruhten im schatten, erholten
ihre müden knochen. woher aber setzlinge,
wenn nicht aus arrest?
die erste sonnenblume sah nie auf den boden,
wuchs im dickicht schönerer pflanzen, scheute das wasser.
der versuch zu vermitteln, scheiterte kläglich.
ein ganzes verdammtes biotop verschwand ins nichts,
verschwendete regenbogen führten ins nichts,
selbst iris strich sich durchs machtlose haar.
es war abzusehen.
kam aber anders.
die letzte sonnenblume wurde krank, sah auf den boden
vor demut. sah eine totenkolonie in der trockenen erde.
sah die eigenen wurzeln in unbekannter bewegung
kadaver umschließen. und nährte sich.
so entstanden die wiesen, so entstand der verfluchte himmel.
so, der olymp.
Wir reden vom Überleben, von den Monstern allen Hungers, von der Einsamkeit der Armut in den Gelenken. Da gibt es nichts mehr, von wegen, der La-La-Künstler muss unabhängig sein, am besten noch vom Staat, von Mäzenen und von sich selbst zugleich. Die Abhängigkeit vom Hunger zählt da nichts? Wie steht es um die Versorgung der Kinder? Was passiert, wenn ein Ranzen kaputtgeht? Achso, diese Woche dann keine Gedichte und ab ins Callcenter, telefoniere dich die Glückstreppe hinauf.
Oder doch der Spielsucht nachgeben in einem allerletzten Versuch? Ich habe gehört, beim Hütchenspiel gäbe es was zu holen. Hütchenspiel macht mich nur leider aggressiv, was für die Gedichtproduktion nicht sonderlich förderlich ist.
Also mein Appell: Hütchenspieler und Mäzene vereinigt euch in eurer Einsamkeit und stürmt den Olymp der unerträglichen Managergesichter. Stürmt euch einander die Herzen und die Portmonees, es wird sich lohnen.
hotellounge. auf diese hütchen fällst du sicher nicht rein.
ein hütchen links, zwei rechts auf dem tisch. eine stimme spricht
ziehe fester die zügel... (deine kopfstimme).
du wirst sie ignorieren.
vertraue lieber auf dein chemisches gehör.
im linken hütchen hörst du kleine elemente zirpen,
im mittelrechten etwas wie tundra, tundras traum.
ganz rechts sprießt brom
in inniger umarmung mit den wurzeln einer pflanze.die mitte, bitte, sagst du.
schon deckt das hütchen seine hand.
sein abnormales grinsen lippt dich an, triumph.
man merkt, er ist ein hort der logik.
zärtlich legst du deine hand auf seine, sagst halt!
o weißt du nicht, hier im hotel, im zimmer wasauchimmer,
da steht ein zweiter tisch.
er glaubt dir nicht. dochdoch, sagst du, ich führ dich hin.
ihr wählt den weg der alten wäsche, kein wort mehr
bis zur zimmertür.
dann hastig rein.da hinten, sagst du.
er folgt der linie deiner finger.
du sagst, hier bringen wir das spiel zu ende, oder ich murcks dich ab.
zurück zu tisch. was hörst du?
links, muscheln, die ein meer verstoßen hat, ihr hohles rufen.
mittig, die spur eines kampfes im sand.
rechts aber, diesmal ganz sicher, tundras traum, ein palmenwald zu sein,
gestreift von einer herde großer wölfe.
moment, du siehst den hütchenspieler wieder grinsen.
er öffnet alle hütchen: kastanie, schuh, ein löschpapier.
du musst dran glauben.
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