Das Gemetzel
Es gibt nichts da draußen. Es gibt ein Hotel, das den Namen kaum verdient, es gibt einen Saloon, einen Schmied, einige Unterstände. Jede Menge Jäger und ein paar Huren. Und es gibt Mr. McDonald. Das ist der Typ in dem Büroschuppen bei den stinkenden Solegruben, in denen die Felle gegerbt werden. Und zu ihm will William Andrews. Denn McDonald kennt Jäger, und Will möchte Jäger kennenlernen. Er möchte mit ihnen losziehen, er will Büffel schießen. Er will Freiheit und das Gute und Lebendigsein und Töten und Wildnis. Deswegen ist Will, knapp über zwanzig, nach drei Jahren Harvard im Jahr 1870 nach Butcher’s Crossing gekommen. Butcher‘s Crossing – so heißt der gottverlassene Flecken.
Und so heißt das Buch. Es ist der zweite Roman, der von dem wiederentdeckten amerikanischen Autor John Williams auf Deutsch erschienen ist. Williams hat von 1922 bis 1994 gelebt, er war Hochschullehrer in Denver, und was er schrieb, konnte zwar erscheinen, aber so richtig bekannt wurde Williams damit nicht. Und schon gar nicht wurde er angemessen für seine Werke gewürdigt, wofür eigentlich die gesamte amerikanische Kritik von damals geprügelt gehört. Aber Williams‘ Roman »Stoner«, ein Uni- und Ehedrama, ursprünglich 1965 veröffentlicht, kam 2012 in einer Neuauflage heraus – und das führte endlich zur gebührenden Aufmerksamkeit. Das Buch erschien Ende 2013 auch bei uns, und freundlicherweise hat der deutsche Verlag dtv von Anfang an den bewährten Übersetzer Bernhard Robben mit der Williams-Übertragung betraut. Robben hat nun auch »Butcher’s Crossing« ins Deutsche geholt, und er macht das ebenso meisterhaft, wie der Autor schreibt.
Und ein anderes Wort als »meisterhaft« gibt es schlicht nicht für dieses Buch.
Die Geschichte ist ganz einfach: William Andrews findet den Jäger Miller und zwei weitere Kumpane und zieht mit ihnen los. Miller kennt ein verwunschenes Tal, in dem es angeblich viele Büffel gibt. Der Weg dorthin ist entbehrungsreich und von Unsicherheit geprägt, aber schließlich findet der kleine Treck den Ort – und tatsächlich Tausende von Büffeln. Was dann einsetzt, ist aber keine Jagd. Es ist etwas, für das der Autor selbst schlicht das Wort »Abschlachten« verwendet. Über Wochen töten die Männer nahezu alle Tiere, ziehen die begehrten Felle ab und lassen das Fleisch einfach verrotten. Weil Miller mit dem Gemetzel nicht aufhören kann, verpaßt das Quartett den Abreisezeitpunkt vor dem ersten Schnee – und muß Monate in Frost und Eis ausharren. Sie überstehen auch das. Aber auf dem Rückweg verunglückt einer der Männer und die Felle versinken in einem Fluß. Dadurch ist nicht alles verloren, es war nur ein kleiner Teil der Beute, die meisten Tierhäute lagern noch im Tal. Doch schließlich kommt der Trupp, dezimiert, stinkend, zurück nach Butcher’s Crossing. Wo eine Überraschung auf ihn wartet.
John Williams erzählt eine Geschichte von der Rückseite des amerikanischen Mythos, eine Geschichte von Blutrünstigkeit und Gier und dem, was diese Verirrungen mit Menschen machen. Williams folgt dafür seinem Hauptprotagonisten bis in die kleinsten Seelenwinkel, von der Begeisterung bis in die dunkelsten Regionen der Angst, vom Ekel bis zur Abstumpfung, von der Illusion bis zur nackten, kalten Ernüchterung. Wir bekommen die Widrigkeiten des Tierhäutens ebenso mit wie die des Gestanks von monatelang nie gewechselter Kleidung, wir erfahren, wie krankmachend Schweigen sein kann und wie es sich anfühlt, von den Eingeweiden eines aufgeschnittenen Büffels praktisch überschüttet zu werden. Und auch, wie tief sich Entsetzen in einem Leben eingraben kann. Klar, das ist ein Jungs-Buch. Aber durchaus nicht nur.
Williams erzählt dies alles in einer sparsam poetischen und ansonsten präzise realistischen Sprache. Einer Sprache, die nichts beschönigt.
Vielleicht war es das, was verhindert hat, daß John Williams damals berühmt und mit Preisen überhäuft wurde, wie es sich eigentlich gehört hätte. Diese Sprache. Wahrscheinlich wollte man in den USA der sechziger Jahre nichts von der schmierigen, schäbigen Rückseite des amerikanischen Traums lesen.
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