Lagen am Seeufer / wir zählten nicht
Die Gedichte in Wundertiere kommen teilweise erstaunlich kindlich daher. Wollen Ton der Unschuld erzeugen. Halten definierte Benennung eher für Irreführung denn für Weg zum Ziel. Setzen auf Bündnis mit klugem, kleinen, bedrohten Tier, auch mit einer Wolke.
Daneben gibt es aber auch die Texte des Gelehrtenautors Heinrich Detering (geb. 1959), die einen historischen bzw. literarhistorischen Standort mit seinen Akteuren ins Gedächtnis rufen.
In ersterer Kategorie sind die eindrucksvolleren der 64 Texte nach 4 Abteilungen (knappe Anmerkungen im Anhang) zu Haus. In ihnen bekennt ein „ich“ oder ein „wir“ poetische Farbe. Hier stoßen wir auf das vielleicht beste Gedicht des Bandes:
an der trave: mühsam folge ich / im Schnee der Hasenfährte / auch ein Gejagter // am schwarzen Wasser / schneeweiß der Reiher im Schnee / steht ganz still wie ich // oben und unten / warten die Mondsicheln auf / Reiher Hase mich
Hier hat sich der Schneid des Autors ausgezahlt, dem auch in der gegenwärtigen Literatur mitunter scheinbar so wichtigen Turbogewimmel und – gebimmel eine nur scheinbar statische, nur scheinbar unzeitgemäße Stillansicht entgegenzustellen. Fein gewoben wie ein Teppichtibet entfaltet er die Opposition von „oben und unten“, führt vor, wie „ein Gejagter“ rasend entfliehen, aber auch „mühsam“ stapfen kann. Aus solchem Stoff sind glücklicherweise immer noch diejenigen Gedichte, die bleiben können sollten.
Alle möglichen Tiere freuen sich also über des Dichters tiefe Solidarität, meist Vögel: Kuckuck, Sperling; erst recht namenlose „kleine Vögel“, die das Kind Jesus sich einst aus Ton erschaffen hatte und die ihn nun auf seinem letzten Gang umschwirren.
Im biblischen Kontext auch, Gedicht „adamitisch“, wird der Dichter poetologisch, programmatisch, erläutert seine Vorliebe des kurzen Gedichts, das den unspektakulären Gestus des Büßers in Sprache und Sujet bevorzugt, dabei auf die Eigendynamik geheimnisvoller Wortoffenheit setzt:
… als Adam allen Tieren Namen gab / verbannte er sich selbst mit jedem Wort / in einer Sprache die sie nichts anging // als Adam allen Tieren Namen gab / krähten bellten zwitscherten sie weiter / und trotteten flogen zogen bloß fort // zu dunklen Wundern und zum / stummen Grund zum / stummen Grund
Ein Dichter, der die fulminante Metapher demnach scheut, eine sehr gelungene aber doch zu finden im Stande ist (Gedicht „Kuckuck“):
… die kleinen Wellen leckten vom Ufer / alles Erinnern dann kam Nacht
Ein Dichter, der hier in gemeinsamer Abneigung gegen eine vorherrschend mathematische Welt mit Novalis auf der Lauer gelegen haben könnte, denn
… wir lagen am Seeufer wir zählten nicht // die kleinen Wellen …
Warum sollte es aber nicht auch die LeserInnen geben, die Deterings rein begrifflich moderner, großstädtisch anmutenden Gedichte in diesem Band schätzen werden?
Wenn in „Samstagnacht, Angelo’s“ die Rauschstrecke einer Barbesucherin nachgezeichnet wird:
… die Zeit verliert von selber an Bedeutung / der Brechreiz geht wie unbemerkt vorbei / es fühlt sich an als zählte man bis drei / es fühlt sich an wie eine letzte Häutung …
Oder im Gedicht “Birmingham“ pietätslose Heranwachsende neben einen routinierten Bettler platziert werden:
die Jugend von Birmingham sitzt auf den Gräbern / bleich mit gefärbten Haaren und schwarzen Jacken // … der obdachlose Mann … / … zieht die Matratze höher / hustet spuckt aus und sagt für ein Pfund God bless you
Wobei das Hauptinteresse des Dichters aber nicht dem sozialen Aspekt gilt sondern dem existenziellen, der drohenden Namenlosigkeit eines menschlichen Lebens:
… weicher Sandstein die Namen nicht zu entziffern …
Reflexionen über Tod und die Toten bilden überhaupt einen Höhepunkt in Wundertiere. Angesichts der allerschwersten Lebensaspekte kann Detering seine Lakonie, die andernorts manchmal fast bis ins Undichterische treibt, besonders wirksam ausführen, wobei ihm in „die Toten“ eine so schlichte wie wunderbare Schlusszeile gelingt:
die Toten altern schneller als man denkt // die Toten sind die die man bei drei Grad Frost in ein Erdloch legt / die Toten sind die die achtlos im blühenden Löwenzahn liegen / die Toten sind die die einfach liegenbleiben wo sie sind // den Toten ist alles egal / sie haben alle Zeit der Welt / sie haben gar keine Zeit // sie sind ja nicht mal hier
Heinrich Deterings Gedichte in Wundertiere wirken sympathisch. Der jeweilige Sprecher entzaubert Ideologien, gibt sich naiv, dann gebildet, lehnt sich an Kindheit und Tier, hat Bedenkenswertes zu sagen zu Tod und Vergänglichkeit. Hauptaugenmerk liegt aber auf der Sprache selber, den gewähnten Gewissheiten, den Namensgebungen. Denen habe man sich nach scheinbar allgemein gültiger Festlegung wieder in Demut zu entfernen.
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