Auch leblose Gegenstände sind wetterfühlig. Gestern – die Temperaturen waren über Nacht noch um ein zwei Grad weiter gefallen, war unseren Einrichtungsgegenständen deutlich anzumerken, dass ihnen nicht wohl war bei der Kälte. Gereizt standen sie in den Räumen herum und verbreiteten schlechte Laune. Wenn ich mal innehielt und tief durchatmete, konnte ich die Möbel maulen hören. Aus dem Schrank, in dem unsere Hausapotheke untergebracht ist, drang lautes Jammern. Am liebsten hätte ich in dem Moment alles Überflüssige aus der Wohnung geworfen, doch auch meiner Frau, die sich von ihrer Operation am letzten Donnerstag erholt, ging’s nicht gut. Bleich und lustlos lag sie auf dem Sofa. Nach dem Mittagessen war die Stimmung im Haus bereits bis zum Reissen gespannt. Ich spürte, wie die Stühle am Esstisch nur auf einen Anlass warteten, ihren angestauten Aggressionen freien Lauf zu lassen. Dann, so gegen 15 Uhr, geschah’s: Meine Frau war im Badezimmer und plötzlich hörte ich sie nach mir rufen. Sie kauerte auf der Kloschüssel und starrte hinein. Ich hörte es zischen und dachte erst, sie uriniere, doch dann sah ich, dass es Blut war, was da in einem kräftigen Strahl aus ihr herausschoss. Es gelang uns nicht, die Blutung zu stoppen, starke Schmerzen kamen hinzu, und so packte ich sie in dicke Tücher, trug sie ins Auto und fuhr zum glücklicherweise nicht fernen Hospital. Wie sich herausstellte, war die Naht aufgeplatzt. Zu allem Übel hatte sich ein Blutpropfen am Scheidenausgang gebildet, so dass das Blut sich dahinter staute und nur durch ein sehr kleines Loch hinausfand.
Als ich sie am Abend wieder nach Hause brachte, konnte sie des starken Blutverlusts wegen kaum noch aufrecht stehen, immer wieder sackte ihr in meinen Armen das Bewusstsein weg. Wenigstens hatten sich die Temperaturen etwas erholt, es regnete nicht mehr und die Möbel in unserer Wohnung boten – etwas versöhnt – Hand, wenn sie sich an ihnen abstützen musste.
- von Markus A. Hediger
in Hanging Lydia