••• Was ich mit Ablenkungen meinte? Da kann ich mit einem Beispiel dienen, das literarische Qualitäten aufweist. Erinnert sich jemand an Howard Kochs literarischen Handstreich von 1938? Orson Welles hatte seinen Roman »Krieg der Welten« zu einem Hörspiel umgearbeitet. Inszeniert wurde es vom Mercury Theater in Form einer fiktiven Reportage nach einer Adaption von Howard Koch. Der amerikanische Radiosender CBS strahlte es am Abend vor Halloween am 30. Oktober 1938 aus. Dazu wurde der Handlungsort von England nach Grover’s Mill (New Jersey) in den USA verlegt und die Geschichte entsprechend angepasst.
Das Hörspiel führte Zeitungsberichten zufolge zu heftigen Irritationen bei der Bevölkerung von New York und New Jersey, die teilweise das Hörspiel für eine authentische Reportage hielt und einen tatsächlichen Angriff Außerirdischer befürchtete. Die Berichterstattung über diese Vorfälle machte die Sendung und damit auch den jungen Orson Welles weltberühmt. Einige Beschreibungen einer landesweiten Massenpanik sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Die kommunikations- und literaturwissenschaftliche Forschungsliteratur, allen voran eine Feld-Untersuchung von Hadley Cantril aus dem Jahr 1940, stellen die allzu gerne geäußerte kopflose Hysterie in Frage. Vielmehr war Orson Welles mitten in einen Medienkrieg geraten; ein Bericht unterstellte Orson Welles sogar, für den Tod eines Menschen verantwortlich gewesen zu sein. Orson Welles und sein Drehbuchautor Howard Koch nutzten das Spektakel als Karrierechance. Welles gab später zu Protokoll, er habe nicht mit dem Erfolg des Hörspiels gerechnet und daher den Bezug zu Halloween hergestellt, um wenigstens irgendwie aufzufallen. (s. wikipedia)
Die galoppierende Finanzkrise bietet derzeit Nährboden für Verschwörungstheorien, die an einigen Orten im Web in einer an diesen Radio-Coup erinnernden Form ausgestaltet werden. Letzten Freitag beispielsweise machte uns im Büro ein Kollege ganz kirre mit seiner Behauptung, am kommenden Wochenende, spätestens jedoch zu Pfingsten stünde den Deutschen eine Währungsreform mit Haircut ins Haus, also nicht einfach nur eine Währungsumstellung etwa zu einer DM 2.0 mit festem Umrechnungskurs gegenüber dem abgewirtschafteten Euro, sondern eine echte Währungsreform, bei der Guthaben nur bis zu einem bestimmten Niveau fest getauscht, Guthaben darüber jedoch entwertet würden. Wie so etwas funktioniert, kann man in der Wikipedia nachlesen, beispielsweise in dem sehr ausführlichen Artikel über die Währungsreform in Deutschland 1948, als die DM eingeführt wurde.
Die Quelle, auf die sich der Kollege berief, ist eine Website, deren Inhaber mit Edelmetallen handelt, also ein gewisses Interesse an Panik gegenüber den so genannten Fiat-Währungen hat. Die Website ist technisch in grausigem Zustand. Aber die ständig aktualisierten Infoseiten zur offenbar unausweichlichen Währungsreform in Deutschland sind lesenswert. Und bitte: wenn ihr dort lest, beobachtet, was diese Texte mit euch anstellen.
Howard Koch und Orson Welles hätten es nicht besser machen können. Der Funke des Zweifels wird überspringen, wenn nach der Lektüre nicht sogar der eine oder andere fest überzeugt sein wird, dass die DM 2.0 am kommenden Wochenende handstreichartig in Deutschland eingeführt wird. Ich meine: Immerhin ist die Polizei und das Heer schon in Alarmbereitschaft, diverse Geldtransporte wurden – getarnt als Gemüselieferungen – bei diversen Banken gesichtet. In ungezählten Geschäften werden die Preise bereits ohne Währungsangabe ausgewiesen, und auf immer mehr Kassenzetteln erscheinen die Beträge wieder in zwei Währungen (Euro und DEM, die Herzdame hatte doch letztens auch so einen Kassenzettel von unserem koscheren Metzger!). Nicht zuletzt spinnen die Banken derzeit, sehen sich außerstande, die Abgeltungssteuerbescheinigungen auszustellen oder weisen – wie gerade bei der Comdirekt – Billiardenguthaben in den Online-Depots aus, »Focus Money« titelt bereits wieder mit der DM, und und und… Wieviele Beweise braucht man denn noch?
Heute habe ich gedacht, dass es doch passender wäre, in Zeiten wie diesen eher mein Dystopie-Projekt »Pans Wiederkehr« zu verfolgen als »Diamond District«. Anderseits: Diamanten sind auch krisensicher – also: wenn man sie hat. So ein richtig heftiger Währungsschlamassel würde auch dem Diamant-Thema Auftrieb geben.
Und so etwas soll einen nicht ablenken? Ich bin heftig gespannt, ob nicht vielleicht doch was dran ist. Sollte sich Frau Merkel tatsächlich am kommenden Wochenende mit einer Rede an die Nation richten, um die Währungsreform zu verkünden? Wenn es so wäre, könnte ich nun immerhin sagen: Old news, im Turmsegler stand das schon letzte Woche.
- von Benjamin Stein
in Turmsegler