Zauber der Lyrik – Hellmuth Opitz beim Poesiefestival in Konstanz

Michael Lünstroth, Redakteur des “Südkuriers” stellte mir seinen Beitrag von gestern zur Verfügung. Vielen Dank!

Vom Zauber der Lyrik erfasst

Wunderbare Momente, verstörende Momente – beim Poesiefestival “dichter dran” gab es beides. Auch deshalb wurde es zu einem Erfolg

Bielefeld hatte man auf der deutschen Humorlandkarte bisher nicht gerade als gewichtige Großstadt verortet. Nachdem vergangenen Dienstagabend dürfte sich das bei einigen Konstanzern geändert haben. Der Grund dafür hat schwarz-graue Wuschelhaare, Teddybärfigur, ein umwerfendes Gespür für Komik und Poesie und heißt Hellmuth Opitz. Der 51-jährige Bielefelder Dichter gastierte beim Poesiefestival “dichter dran” in der Wohlfühlatmosphäre des “wohnform” in dem mehr als 700 Jahre alten Gebäude “Zum hohen Haus” in der Konstanzer Altstadt. Und hatte es noch eines Beweises bedurft, dass dieses Poesiefestival ein Gewinn für die Stadt ist, spätestens an diesem Abend wurden alle Zweifel daran ausgeräumt. Gemeinsam mit der professionellen Sprecherin Annette Kühn saß Opitz auf der Bühne. Abwechselnd lasen sie Gedichte von Opitz vor – der Abend stand schließlich unter dem Titel “Vom Unterschied der Leseweisen”.

Tatsächlich wurde der Unterschied schnell deutlich, hier die ausgefeilte, präzise Aussprache von Kühn und dort das manchmal genuschelte und immer westfälisch eingefärbte Idiom des Autors. Sie lasen Gedichte über Haushaltsgeräte, Erdbeerstandmädchen und “Göttergatten in verkehrsberuhigten Ehen” und mit jeder Strophe, mit jedem Vers gingen die Mundwinkel der Besucher steiler nach oben. Das Glück, das Opitz` Werk verbreitete, war in fast jedem Winkel des Raumes zu spüren. Als ehemaliger Musiker und Songschreiber hat Opitz sich ein Gespür für Rhythmus und pointierte Verse behalten.

Wer Hellmuth Opitz hört, muss auch automatisch an einen anderen Sprachvirtuosen aus Nordrhein-Westfalen denken: Den Duisburger Liedermacher Tom Liwa. Mit ihm verbindet Opitz das Talent, wunderbare Sprachbilder formen zu können, die mal komisch, mal berührend sind, und oft so plastisch daher kommen, dass jeder Zuhörer genau fühlen kann, was in diesem Moment gemeint ist. Zum Beispiel wenn Opitz über die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr schreibt: “Tage, die nicht leben wollen und nicht sterben, die zerrieben werden zwischen Bäuchen und Bräuchen”, an denen der Bahnhofsvorplatz aussehe wie “ein Teller Milchreis mit Zimt”. Das ist so konkret, so schlüssig, dass jeder Zuhörer ein Bild hat, still in sich hinein schmunzelt und denkt: “Ja, genau so ist das”. Nur wenige zeitgenössische Lyriker haben diese hinreißende Gabe, nur wenigen Dichtern gelingt es, dies so unprätentiös und sympathisch zu vermitteln wie dem 51-jährigen Ostwestfale.

Dass es auch anders geht, haben vier Dichter am Abend zuvor im Konstanzer Ratssaal bewiesen. “Zeit atmen. Kritische Lyrik” war die Veranstaltung überschrieben und Brigitte Oleschinski, Christian Filips, Swantje Lichtenstein und Tom Schulz wollten hier das gesellschaftskritische Moment moderner Lyrik aufscheinen lassen. Zumindest Lichtenstein und Filips hatten offenbar so wenig Lust auf diesen Abend, dass sie ihre Werke derart schnell vortrugen, dass der Sinn an einem vorbeirauschte. Blitzlichtartig tauchte Kritisches in ihren Werken auf, aber je länger der Abend dauerte, umso deutlicher wurde die Erkenntnis, dass diese verdichtete Form der Lyrik wenig geeignetes Mittel der Gesellschaftskritik ist. Sie scheitert an der Komplexität der Welt und dem eigenen Willen zur Verrätselung. Kritik, die nicht verständlich ist, verpufft auf dem Weg zum Empfänger.

Nichtsdestotrotz war die Premiere des Poesiefestivals ein Erfolg: Rund 1000 Zuschauer kamen zu den Lesungen der vergangenen sechs Tage. Sie erlebten verstörende bis wunderbare Momente. Viel mehr kann ein Festival nicht bieten. Bitte wiederholen.

(c) Michael Lünstroth. Aus: Südkurier, 25. November 2010

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