Sentimentalitäten muß man sich nicht nur leisten können, sondern sie sich auch gestatten dürfen. Mir machen sie keine Freude, also verkneife ich sie mir gemeinhin, allerdings vor allem deshalb, weil sie mir geradezu körperliche Schmerzen verursachen. Meist geht, erinnere ich mich intensiv oder auch in unwillkürlichen Tagträumen an Vergangenes, ein scharfer Riß von unten nach oben durch mich hindurch. Friedrich Hebbel schreibt: “Unser Leben ist der aufzuckende Schmerz einer Wunde” (Tagebücher. Nr. 2294) und meint unter Umständen eben dies. Dabei sind es ja keineswegs schlimme Erinnerungen an das Frühere, sondern oft solche, die eher angenehm sein könnten. Hebbel war, wie ich bereits gestern schrieb, da von anderer Art, denn er führte ausführlich Tagebuch, um sich zukünftig erbauen zu können. (Der zweite Grund war, seinem künftigen Biographen einen Gefallen zu tun.) Natürlich werde ich mich anhand meiner kleinen Glossen in den Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! später mal an Zurückliegendes erinnern können, und wer weiß, vielleicht dienen sie dann wirklich meiner Erbauung. Hebbel schreibt an einer Stelle aber auch “Dichten heißt, sich ermorden”, und sicher meinte er damit, die Gegenwart unwiderruflich zur Vergangenheit zu machen, sie im Wort abzulegen und damit zu verallgemeinern, loszulassen, sie der Nachwelt zu offenbaren. Der Dichter selbst stirbt somit jedes Mal ein klein wenig, aber er lebt dadurch auch fort, denke ich, denn er erringt sich ein unvorstellbar winziges Stück Unsterblichkeit, was aber eben zu Lebzeiten ordentlich weh tun kann und sich anfühlen mag wie ein schleichender Selbstmord. Samuel Beckett betreibt eben dies in seinem Stück Das letzte Band. Da ringt einer mit seinem vergangenen Ich, daß die Schwarte kracht. Keine schönen Aussichten.
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