Mythologies

LORENZO LOTTO : KEIN BLIND DATE

Und da wir schon einmal im Kunsthistorischen Museum sind , und da eine heilignüchterne Stimmung an diesem Schliesstag an der Atmosphäre der stickigen Räume parasitiert . Und wo wir doch eben bei den Italienern des Cinquecento und Seicento sind . Da wird doch ein Rendez- Vous fällig , welches über Jahre hinweg zum unantastbaren Ritual sich verfestigt hat . Jeder Besuch des Museums führt daher zwangsläufig zu Lorenzo Lotto , dessen Portraits in einer durch Jalousien abgeschatteten Aussengalerie hängen .

Da aber nun der Aufseher , den uns die Museumsverwaltung mitgab , um schädliche Faktoren wie Blitzlicht oder Bilkderklau zu unterbinden , lieber im relativ kühlen Raum innerhalb der Saalfluchten der Gemäldegalerie auf einem der Sofas ruht . Da aber werden wir uns in die beträchtlich sommerheisse Galerie begeben wo wir – mangels Aufsicht – in unmittelbare Nähe zu den Bildnissen treten und fotografieren können . Wobei “Fotografieren” ( das werden wir auch bei Rubens erfahren ) , eine körperlich und geistig zehrende Komponente aufweist , egal ob im Hinblick auf die Konzentration oder all der Turnübungen beim Fokussieren , sei dies mit Stativ oder ohne . Letzteres ist natürlich der blanke Wahnsinn bei der hier nötigen Belichtungszeit von einer unendlichen Sekunde .

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copyright Zintzen_Lorenzo Lotto_Poertrait Jüngling mit Tierpranke

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TIER- ODER LÖWENPRANKE

Gleichwie : Lorenzo Lottos “Portrait eines Mannes mit Tierpranke” ( 1527 ) hängt wie eh und je an seinem Platz . Immer wieder überraschend erscheint  der effeminierte Schmelz von Gesicht und Blick , wo doch die ganze Inszenierung mit dem mächtigen fellverbrämten Mantel , den kostbaren Ringen an seiner Rechten und womöglich auch der Tiertatze in seiner Linken auf Macht und Reichtum des noch jungen Mannes verweisen . Bis heute weiss man nicht , wer dieser Androgyn mit sekundären männlichen Attributen gewesen sein könnte . Der da seine Rechte aufs Herz legt , mit der Linken die kleine Tatze geradezu vorführt .

Spielt sich hier jemand als Herrscher über Leben und Tod auf oder schmückt sich mit einem sozusagen tierisch wildem Attribut ? – Der im Deutschen kursierende Titel “Mann mit der Tierpranke” schickt unser Klassifikation- Bestreben vergeblich in die Kreise der Marder , Frettchen und ähnlicher Kleinräuber . Dieser Ungewissheit im deutschern Titel steht im Gegensatz zur englischen Version , welche die ominöse Tatze offen als einer gewissen Species angehgörig behauptet :”Portrait of a Gentleman with a Lion Paw” .

Die winzige Löwenklaue zeigte sich solcherart als Machtmotiv , welches das Gestern wie das Heute und das Morgen anbelangt . Wurde in der Vergangenheit das Tier überwältigt und die Pranke vom Körper des Tieres abgehackt , füllt das Zeigen der Trophäe – unterstützt von der Geste , welche womöglich als Zeichen von Innigkeit oder als Bekräftigung von Wahrhaftigkeit zu deuten wäre – ganz die Gegenwart . Für die Zukunft könnte der Löwenfuss einerseits als Objekt apotropäischen Zaubers gelten  ( “kein Löwe , sei dieser menschlich oder ein Tier , wird mich fällen ” ) . Anderseits möge dies hier eine Art Gelübde vorstellen : auf die Winzigkeit der Pranke bezogen folgt ein Ausdruck stiller Gewissheit , in Zukunft grössere Tatzen zu erjagen .

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copyright Zintzen_Lorenzo Lotto_Poertrait Jüngling mit Tierpranke

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SPIEGEL – BILD

Womit der Jüngling sich als Herrscher selbst über den König der Tiere stellt . Als Gegenüber sollte man nicht das im selben Jahr ausgeführte “Potrait des Andrea Odoni” übersehen , wo ein Gelehrter ? Künstler ? inmitten seiner Sammlung von antiken Statuen portraitiert wird : In unübersehbarer Analogie zum “PrankenBild” umfasst und zeigt seine Hand eine kleine Statuette ( womöglich eine Diana von Ephesus ) während die andere Hand , wiederum sehr suggestiv , an die Herzgegend rührt .

Von Interesse ist dabei der Unterschied , ja die Gegensätzlichkeit der HandHaltungen : Ist es im “PrankenBild” die Linke , welche die Trophäe hält und zeigt , derweil die Rechte expressiv über dem Herzen liegt , verhält es sich im “Potrait des Andrea Odoni” geradezu umgekehrt . Hier ist es die Rechte , welche die Statuetten- “Trophäe” vorführt , während die Linke in der Herzgegend zu liegen kommt .

Vielleicht ist diese Verzahnung der Portraits , die in beiden Bildern sehr bewusst inszenierten weiblichen und männlichen Attribute und nicht zuletzt der jeweils expressiv gezeigte Fetisch eine Bekräftigung eines bestimmten Symbolgewebes . Jedenfalls ist es fruchtbar , die beiden Bildnisse als ineinander gespiegelt zu betrachten .

Parkettknarren , Schlurfen , Hüsteln kündigen die sich nähernde Gegenwart des Aufpassers an . Wobei er sein Exemplar der Neuen Kronen Zeitung als kühlenden Fächer neben seinem Gesicht bewegt : Der auf Billigpapier gedruckte Boulevard stinkt ziemlich real und nicht lediglich symbolisch .

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