Wer LSD nimmt und auf den Horror kommt, hat zuletzt nur noch einen Wunsch: dass in Gottes Namen alles wieder so wird, wie es einmal war. So normal und vertraut, wie man es gekannt hat, bevor die Säure das Bewusstsein kaperte und alles durcheinander brachte.
Gegen einen Horrortrip erscheint ein Albtraum geradezu luftig und leicht, wie Zuckerwatte. Hält ein Albtraum noch die Möglichkeit offen, schweißgebadet aufzuwachen und durchzuatmen, ist ein Horrortrip ein Schockzustand, aus dem man auf Stunden nicht herausfindet. Es ist, als würdest du dir selbst nachwinken, während du krachend in die Tiefe stürzt und dich nur noch danach sehnst, dass alles wieder so wird, wie du es gewohnt warst. Du möchtest mit Freunden zusammensitzen, in eine Tüte Colorado greifen und eine TV-Serie anschauen, du möchtest die normalsten Dinge der Welt tun und glücklich sein.
Dummerweise ist ein schlechter LSD-Trip so unerbittlich, so rigoros und potent, dass man sich die Verrichtung alltäglicher Dinge kaum noch vorstellen kann. Es fühlt sich unerreichbar an. Und je länger dieser Zustand andauert, desto weniger glaubt man daran, dass ein Zurück überhaupt möglich ist. Oder ob man nicht schon zu tief drin steckt im Mutterkorn..
Dabei ist LSD in der richtigen Dosierung am richtigen Ort zur richtigen Zeit eine Erfahrung, die einem das Leben in dieser Klarheit vielleicht nur einmal genehmigt. Vermutlich gibt es auf Erden kein chemisches Material, das einen näher an die Ursprünge der eigenen Existenz führt. Ein guter Trip ist deine eigene Schöpfungsgeschichte, ein guter Trip ist deine Indianererfahrung.
Ein schlechter Trip hingegen klemmt wie ein schwarzer Schatten über deinem weiteren Leben.
Wenn die Rede auf Acid kam, sprachen wir von Linsen. Linsen galten als Könige unter den Drogen, sie herrschten unangefochten über die Subkultur. Gegen eine gute Linse stand jede andere Droge auf verlorenem Posten. Ob Marihuana oder Heroin, ob Koks oder Speed, allen Stoffen fehlte das gewisse Etwas der Linse, der dunkle Zauber des Unwägbaren.
Die erste Linse teilte ich mir im Frühsommer 1977 mit Pepe, eine Yellow Sunshine. Es war nicht nur die erste, es war auch die bei weitem beste Linse, die ich je eingeworfen hab. Danach hätte ich meine LSD-Experimente eigentlich einstellen können. Was auch besser gewesen wäre.
LSD ist ein Spiel mit dem Feuer, im Mikrofunkenbereich. Eine Messerspitze zu viel oder zu wenig kann darüber entscheiden, ob dir muckelig warm zumute ist wie am idyllischsten Lagerfeuer der Menschheitsgeschichte oder ob du dich im Wahn selbst entzündest und plötzlich Feuer fängt. Es gibt keinen Löschzug für einen schief laufenden LSD-Trip, die Brandwehr rückt erst gar nicht aus. Und die Substanz legt dich innerlich in Schutt und Asche. Oder wie Albert Hofmann, Entdecker von LSD, im Alter erschüttert meinte: “Ich glaubte nie, dass ein Stoff mit dieser Kraft auf der Strasse landen könnte..” Nein, das hatte er nicht gewollt.
Das konnte er gar nicht gewollt haben.
*
Wir waren seit Monaten hinter einer Yellow Sunshine her, doch Pepes großer Bruder hielt uns hin.
“Ein Trip ist nicht wie Kiffen, Jungs. Das kann schwer ins Auge gehen. Man muss mit jemanden zusammen sein, dem man blind vertrauen kann. Wartet einfach noch ein bisschen. Wenn ich eine Yellow Sunshine in die Finger kriege, denk ich an euch. Versprochen.”
Yellow Sunshines, soviel hatten wir schon gehört, waren legendär. Sanft und lang anhaltend in der Wirkung, wenig Halluzinationen, kaum Speed. “Was denn, was denn, keine Hallus..!?” sagten wir verstört. Was zum Teufel sollten wir mit einem Trip, der keine Hallus bescherte? Pepes Bruder lachte nur. “Wartet ab.” Na schön. Was blieb uns auch anderes übrig.
Pepe war dafür bekannt, gut sitzende Blue Jeans zu tragen, immer die neueste Importware aus den USA. Sein von Selbstbräunern maskierter Vater, Inhaber mehrerer Herrenmodegeschäfte sowie einer Jeansladen-Kette, wollte Pepe frühzeitig zum Junior-Chef aufbauen. Der ältere Bruder wurde hauptsächlich als Fahrer eingesetzt, ab und zu er durfte im Zentrallager kommissionieren, wenn die Bestellung nicht über zehn Rifle-Jeans hinausging.
Pepes Bruder war ein lieber Kerl, nicht der gescheiteste, etwas weich in der Birne. Er war ständig auf Pille und bekifft und kicherte und verrechnete sich auf der Arbeit, er brachte alles durcheinander und wenn die Bestellscheine aus den anderen Filialen mit Fragezeichen verziert retour kamen, machte er eine Woche blau, schmiss Pillen ein, kiffte und kicherte.
Pepe hingegen machte etwas her, hatte vom Vater die Durchsetzungskraft geerbt. Hätte Pepe länger gelebt, aus ihm wäre noch ein richtig strammer Kapitalist geworden. Das mitfühlende, beinah feminine Herz seiner Jugend, gepaart mit der späteren Knast-und Heroinerfahrung, es wären sicher nicht die schlechtesten Voraussetzungen für eine Businesskarriere gewesen, hätte das Pulver ihn nicht dahingerafft, mit 25, auf einem Wirtshausklo in München.
So wie sein Vater nichts anderes im Sinn hatte als Geld, galt Pepes Interesse ausschließlich Drogen. Die beiden lagen gar nicht so weit auseinander, wie sein enttäuschter Herr Vater wohl annahm, als er während der Beisetzung seines ältesten Sohnes, der zwei Jahre nach Pepe ebenfalls einer Überdosis erlag, seine von ihm geschiedene Ex-Frau anherrschte, “ich habe niemals Söhne gehabt, meine Liebe!” Worauf er sich umdrehte, in die wartende Limousine einstieg und nie wieder einen Fuß auf den Friedhof setzte.
*
An einem Frühlingstag war es endlich soweit. Eine Lieferung Yellow Sunshine war angekommen. Pepes Bruder hielt sein Versprechen. Wir zahlten 15 Mark für die kleine orangefarbene Tablette.
“Bleibt auf jeden Fall zusammen, egal was passiert, und geht raus in die Natur”, gab uns Pepes Bruder noch mit auf den Weg. “Bleibt bloß nicht auf dem Zimmer hocken.”
Dann wünschte er seinem kleinen Bruder und mir einen angenehmen Flug.
Jedes Mal, wenn ich eine Droge neu ausprobierte, war Pepe mit an Bord. Das war Gesetz. Der erste Trip, das erste Mal Heroin, das erste Mal Koks, selbst beim ersten Mal Kiffen war ich mit Pepe zusammen. Es war spätabends vor der Kirche Unter St. Clemens. Nach der zweiten Purpfeife hockten Pepe und ich auf den Treppenstufen der katholischen Innenstadt-Kirche und staunten in den Straßenverkehr. Wir ergötzten uns an den warmen Wechselfarben der Ampelschaltungen, an den roten Rücklichtern der Mopeds und dem Sound dahinjagender Ambulanzwagen. So homogen schien alles, so perfekt, als hätte jemand zu unseren Füßen die grosse Elektrische aufgebaut, nur eben in lebensecht: vor unseren Augen präsentierte das Haschisch seine große Märklin-Show. Und wir beide saßen unvermittelt an der Trafostation, Pepe und ich, und ließen es laufen.
Mit Pepe konnte man die Dinge ganz wunderbar laufen lassen.
*
Die Yellow Sunshine genehmigten wir uns nach kurzer Überlegung am Hippergrund, dem Landschaftsschutzgebiet, in dessen Nähe ich heute noch wohne. Und ab und zu, wenn ich am nahen Treppenbach stehe, sehe ich uns noch vor mir, Pepe und mich, wie wir die Linse brüderlich in zwei Hälften teilen und entspannt durch den Wald spazieren, Seite an Seite.
Es dauerte über eine Stunde, und nichts passierte. Als wir uns schon beinah verschaukelt fühlten, vom Geheimnis entkoppelt, ging es, leicht noch zunächst, los. Ein erster sachter Einschlag. Wer LSD nicht kennt, wer es nie ausprobiert hat, der erwartet alles mögliche, Krimi, Totschlag, Sensationen, (oder wenigstens drei Stunden lang wie ein Hund hören und riechen zu können, Explosionen in blau und ein inneres Orchester), aber eines bestimmt nicht – dass man sich fühlt wie ein unaufdringlicher Gast an einem milden Apriltag. Ja, man weiß anfangs nicht einmal, bin ich schon auf Acid? Ist das schon die Linse?
Angenehm, das Licht.
Und erst dieses organische Federn..
(LSD war das Geheimnis der großen Brüder. Wir hörten so viel, sie erzählten so wenig. Sie behielten es für sich. Es war ihr letzter Trumpf. Yellow Sunshine. Eine funkelnde kleine gelbe Sonne. Wir hatten regelrecht betteln müssen, bis wir sie endlich in den Händen hielten. Und nun steckte sie in unserem Kopf, und es geschah – nichts.)
Und urplötzlich ist man mittendrin. Ohne viel Worte. Wie immer, wenn es wichtig wird im Leben, wenn es wirklich drauf ankommt, sind Worte nichts als tapsige Urlauber, die im falschen Augenblick durchs Bild rennen. Man kann auf sie verzichten. Man kommt ohne sie besser klar. Niemand braucht so was.
(Das irrste Erlebnis auf LSD, wenn auch auf einem späteren, mehr von Speed dominierten Trip: Wie der jüngere Bruder vom dicken Hansen und ich nebeneinander auf dem Scheisshaus hockten und uns eine Klobrille teilten. Wir mussten beide zur selben Zeit: GROSS! Es war, als wollte der Stuhlgang überhaupt nicht enden, als würden wir ganze Planeten ausscheiden.
“Boh..”, grunzte der Bruder vom dicken Hansen.)
Wir flanierten den Panoramaweg entlang. Eine dicht bewachsene Talsenke, wo die Sonne unerbittlich knallt, weil kein Baum Schatten spendet, obwohl genug Bäume herumstehen. Sie weigern sich, Schatten zu werfen. Es sind eigensinnige Bäume. Wir spenden nicht, sagen sie. Im Sommer ist der Boden von der Glut der Sonne so trocken und rissig, als laufe man in Kuba über ausgerupfte Tabakblätter.
Am Zedernweg, wo sich Feldwege und Pferdewiesen kreuzen, ließen wir uns im Gras nieder. Wir streckten uns lang aus, die Ohren nah am Bachlauf, am eben noch blassen Frühlingstag. So mächtig kam der Klang des kleinen Wasserlaufs, so unmittelbar, als senkten sich gewaltige Tonarme in die Rille einer Geräuscheplatte. Es flogen Wassertropfen durch die Luft, wie von Ping Pong-Schlägern geschmettert pfiffen und giggelten sie uns um die Ohren, wir beobachteten Finger, die von Norden kommend durch geweihtes Wasser schlenderten. Geweihte Finger. Aprilrote Hände.
Doch kaum nahmen wir die Ohren vom Bachlauf und legten uns ins hohe Gras, machte sich Ruhe breit. Ein blauer Nachmittag nahm seinen Anfang. Wenn die Lichtgeschwindigkeit eine Milliarde Stundenkilometer schnell ist, beträgt die LSD-Innengeschwindigkeit genau Null, aber man bleibt nicht stehen. Man wandert einfach weiter, in die Geborgenheit hinein.
*
Höhepunkt: Wie Pepe und ich Schulter an Schulter auf der Wiese stehen und zur Sonne aufblicken. Wir schoben den blassen Bombenkopf am Himmel entlang, platzierten ihn neu am Firmament, fixierten ihn, ließen ihn kopfüber abtropfen, liessen ihn purzeln, tanzen, glühen – mit der bloßen Kraft des Hinguckens. Egal, was der eine auch vor hatte, der andere folgte und machte es nach. Wir spielten großes Sonneverschieben. Blickte Pepe nach links, rückte die Sonne nach links, blickte ich nach rechts, rutschte der gesamte Himmel nach rechts. Ein Wimpernschlag reichte..
“.. und meine Sonne schlägt Rad”, rief ich.
“Kuselkopp”, schäumte Pepe. “Meine macht Kuselkopp.”
Mit einer Genickstarre wie im Kino, erste Reihe, Hauptfilm, schlenderten wir weiter; die Eidechsen am Strassenrand, in tiefer Aufmerksamkeit,
grüßend.
Gezwitscher ging auf uns nieder, wie Landregen. “Vögel sind freundliche Menschen”, sagte jemand. Wir beobachteten Eichhörnchen, die sich von Baum zu Baum jagten und die überhängenden Zweige als Zubringer nutzten, da war ein Rascheln im Wald, das Gehuste einer alten Hexe. Der Trip dauerte bis in den frühen Abend. Nur allmählich leierte das chemisches Band aus und wir erreichten die Hofschaft Theegarten, wo Sonnenblumen ihre Köpfchen ausstreckten wie Richtmikrofone, die alles aufzeichneten für die Ewigkeit.
(Kann gar nicht sein, sagte einer.)
*
Spätere Trips, mit Speed gepanscht, gingen hauptsächlich in die Beine, stifteten Unruhe. Einmal steppten wir zu fünft die Wupperstrasse hoch, den schläfrigen Basslauf von “Clever Trever” von Ian Dury in den Oberschenkeln, eine Prozession dynamisch-bekloppter Beine. Nicht übel, aber flüchtig. Speedig. Kein Vergleich mit der inspirierten Ruhe einer Yellow Sunshine.
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Zuletzt bröselte Pepe einige Cracker, die er in der Hosentasche hatte, in den Bach, und wir schauten versonnen den Krümeln hinterher, ihrem Verschwinden.
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Ostern 1978. Die große Patti Smith gastierte in Düsseldorf. Sie war so populär geworden, dass wir die Karten im Vorverkauf besorgen mussten. Zwar war das neue Album Easter nicht so gut wie Horses und Radio Ethopia, aber es enthielt Because the Night, ihren ersten echten Single-Hit.
Horses, das Debüt, war eins meiner absoluten Lieblingsalben. Das Stück Birdland, eine sechsminütige Landschaft aus Baum und Bass, sowie ihre rauh und sexy hingerotzte Einleitung zu Gloria, “Jesus died for somebody’s sins but not mine”, hatte ich so oft gespielt, dass die LP an diesen Stellen wie ein Scheiterhaufen knisterte. Eine verdammte Jesusverbrennung. Patti Smith war meine erklärte Heldin, ich war angesteckt von ihrer fiebrigen weissen Energie. Sie war eine Druidin, und ihr Zaubertrank wurde auf Vinyl ausgeschenkt. (Dummerweise ist ihr Name für mich bis heute mit meinem grössten Desaster verbunden.) (Auch wenn ich andererseits vermute, dass ich schon mit einem Nervenscharren zur Welt kam.)
Einen Tag vorm Konzert rief Pepe an und meinte, er könne für Patti Smith etwas Acid klar machen.
“Ein Konzert auf Linse..?! Bist du übergeschnappt?”
“Keine normale Linse”, meinte Pepe fröhlich, “eine Yellow Sunshine..”
Das war was anderes, auch wenn man sich nie sicher sein konnte, was man da schluckte. Weil der Markt illegal war, konnte jeder alles zusammenpanschen und unter Phantasienamen verkaufen. Niemand garantierte einem, dass in einer Yellow Sunshine das drin war, was man von einer früheren Yellow Sunshine kannte und erwartete.
Ich hatte kein gutes Gefühl, von Anfang nicht. Zumal eine Linse definitiv nicht in die Konzerthalle gehört, sie gehört in die Natur, nach Faustregel Nummer 1: Keine Wände! Nichts, was dich irgendwie einkesseln und beschränken könnte! Ich beging einen Riesenfehler damals: Ich hatte eine Befürchtung, und ich ignorierte sie.
Eine fatale Entscheidung.
*
Wir waren vorm Mumms verabredet an diesem Samstag, Pepe und ich sowie drei oder vier andere Leute, die ihre Karte für Patti Smith schon in der Tasche hatten. Pepe nahm mich beiseite.
“DieYellow Sunshine hat sich erledigt”, sagte er, und ich war schon fast erleichtert, “aber mein Bruder hat eine Red Star abgedrückt.”
Am liebsten hätte ich die Sache auf der Stelle abgeblasen, doch Pepe wollte das Konzert unbedingt auf Linse erleben, das brachte mich in einen Konflikt. Es war nicht nur ungeschriebenes Gesetz, einen Trip in der Natur zu schmeissen, man liess auch einen Freund nicht allein auf Linse. Soweit nachvollziehbar. Warum wir den Red Star aber, einen gezackten roten Stern, der wie ein mit Zuckerglasur überzogener winziger Kirmesapfel funkelte, in zwei Hälften aufteilten und einwarfen, anstatt ihn erst mal zu vierteln und eine halbe Stunde abzuwarten, dafür gibt es im Nachhinein nur eine einzige Erklärung: Wir waren 17.
Ich seh uns noch vorm Mumms stehen, an den Parkscheinautomaten gelehnt. Wie Pepe den Stern in der hohlen Hand entzweibricht und jeder seine Hälfte schluckt, Schluck Bier hinterher, und wie der dicke Hansen Wind von der Sache kriegt und neugierig angeschlichen kommt, von hinten.
“He! Was pfeift ihr beide euch denn ein? Ne Linse?”
“Was? Nee”, sagte Pepe.
Auch ich schüttelte nur den Kopf. Der dicke Hansen auf Drogen, das bedeutete bloß Scherereien. Und was kann man auf Acid partout nicht gebrauchen? Scherereien. Dafür ist LSD nicht gebaut.
Wir fuhren mit zwei Wagen nach Düsseldorf.
Ich stieg beim Schuh ein, im roten Kasten-R4, Pepe im Wagen dahinter. Schuh, ein charmanter langer Schlaks, der stets skeptisch in die Welt guckte und mich mit “He, du Spezialist” zu grüßen pflegte. Schuh war nicht nur ein paar Jahre älter, er fiel schon von der ganzen Ausstrahlung in die Kategorie Großer Bruder, auch wenn er Einzelkind war.
Nach nicht mal einer halben Stunde setzte die Wirkung ein – mitten auf der Autobahn Richtung Oberbilk. So rasch hatte es mich noch nie erwischt. Ich konnte kaum stillhalten, die Füße drängelten unterm Sitz hervor wie Flöze. Ich war heilfroh, als wir endlich in den Parkplatz vor der Philipshalle einbogen.
Kaum war ich aus dem Wagen gestiegen, stürzte Pepe auf mich zu.
“Alter, was.. ist das denn..?!” zischte er, unterfüttert von einem in die Breite blubbernden Grienen, das ich so noch nie gesehen hatte, weder bei Pepe noch bei irgendwem sonst, doch ich konnte nichts erwidern. In meiner an Strommomenten nicht gerade armen Drogenkarriere steckte ich im funkelndsten aller Strommomente fest – und hatte keine Worte dafür.
(Zumal LSD keine Droge ist. Es ist eine Form von Wahrheit.)
Im gleißenden Flutlicht der Laternenmasten marschierten Pepe und ich Seite an Seite über den Parkplatz der Philipshalle, Stars auf schwarz geteerten glänzenden Bühnenbrettern. Ein rot glitzernder Aufgalopp.
Als in meiner Nähe jemand versehentlich den Schlüsselbund fallen ließ, schepperte es in meinen Ohren, als stürzten riesige Stahlträger in einer leeren Fabrikhalle zu Boden. Ich duckte mich erschrocken, während Pepe lässig weiter stolzierte, hin zum Gemurmel der Halle, zum Gelächter der In-Crowd, die, zurecht gemacht fürs Konzert, den Kassenbereich ansteuerte.
“Guck dir all die Gockel an”, hörte ich jemand kichern.
Umtost vom Hupen ankommender Autos und dem Club-Sound schwerer Motorräder verschmolz alles zu einem einzigen großen pulsierenden Super-Ereignis. Willkommen auf dem Acid-Trip, machs gut, Kamerad, verlier mich nicht.
Das Universum erklärt sich immer dort, wo man sich gerade aufhältst. Nur dort entfaltet es sämtlichen Glitzer.
Ich holte Pepe ein. Wir blickten uns an, halb irre schon (Innerlich noch am wegducken, ich.)
“Shit, ist das hell hier”, hörte ich Pepe, während ich mich schon sorgte, was denn erst drinnen werden sollte, in der Philipshalle. Zusammengepfercht, unter Tausenden Leuten. Und richtig mulmig wurde mir, nachdem ein Ordner unsere Eintrittskarten abgerissen hatte und wir die Vorhalle betraten, das Reich der Bierstände, der T-Shirt-Verkäufer, und wo mir schlagartig bewusst wurde, dass ich für die nächsten Stunden hier gefangen sein würde. Dass es kein Entrinnen geben würde aus diesem flachen Betonquader.
Jeder Acidhead kannte einen Acidhead, der einen Acidhead kannte, der hängen geblieben war auf Acid, nicht mehr zurückgekehrt war, der es nicht mehr geschafft hatte.
Der in der Klapse gelandet war.
*
(Bernie Wester hatte sich im Übermut eine Handvoll Trips in den Mund werfen lassen, wie verdammte M&M’s. Einige spuckte er wieder aus, andere nicht, sie rollten in sein Hirn. Es hieß, seine Augen wären damals fast geplatzt, vor lauter Innendruck, die Ärzte hatten ihre liebe Mühe, sein Augenlicht zu retten. Er blieb zwölf Monate im Landeskrankenhaus. Der nette Bernie Wester.)
*
Bedrängt von Fans in speziell punkigen Patti Smith-Capes, die sich nach vorne kämpften, um die besten Plätze zu ergattern, schoben wir uns in den Innenraum der Philipshalle. Aus Bühnen-Boxen, zu Türmen übereinandergestapelt, dröhnte Miss you von den Stones. Miss you mit dem rollenden Disco-Basslauf und der fröhlichen Mundharmonika, Miss you, gerade überall Nummer 1 – und dieses eine Mal noch grinsten wir uns verschwörerisch an, Pepe und ich, ein letztes Mal, bevor wir uns für den Rest des Abends aus den Augen verlieren sollten.
Unterhalb der Tribüne bildete sich eine Gasse, in der das Publikum hin und her strömte, hin zu den Bierständen, zurück zu den teuer erkauften Plätzen. In diesen Gesichtern begann der Horror. Fratzen, breit wie Brotkästen, das Maul eingekleistert, bebuttert, mit blutig geratschten Augen. Ich blickte in Schlachthof-Visagen, teigige Fleischwunden. Als mampften alle aufgeweichtes Krepp.
Ich hatte auf Acid Hallzuninationen gehabt, doch dieses Fratzenhafte, Zerstörte sprengte alles bislang Gesehenes und war eine Dimension näher am Irrsinn, ich bewegte mich auf Stromschnellen und das Schlimmste: ES würde anhalten, so schnell würde ES keine Erlösung geben, mein Zustand, diese LSD-Vollvergiftung, würde noch eine ganze Weile anhalten, (und niemand gab mir die Gewähr, dass es nicht noch schlimmer kommen könnte): Das Weiterschwappen der Acidsäure durch alle Schichten war längst durchprogrammiert, da kam ich nicht mehr heraus – es WAR ZU SPÄT ZUM RÜCKKEHREN.
Eine Angst, wie ich noch nie Angst verspürt hatte, umfing mich. Ich suchte Pepe, fand ihn nicht. Ich fand niemand von meinen Leuten.
Ich schloss die Augen, versuchte mich dem Schwarz anzufreunden, doch da war ja noch das Speed in den Beinen, das mir keine Ruhe liess. Säure schoss die Beine hoch, ich lief wie auf aussuppenden Batterien umher, mit Augen, die sich nicht trauten, in entgegenkommende Gesichter zu blicken, weil dort Fratzen warteten. Unmöglich, irgendwo anzuhalten. Luft zu holen. Zu überlegen.
Ich
fand niemanden von meinen Leuten; ich mied Gesichter – inmitten siebentausend Gesichtern.
*
Einmal stand der dicke Hansen neben mir und brüllte etwas in mein Ohr, ich verstand ihn nicht, ich starrte nur zu Boden, um seiner Fratze zu entgehen.
“Keine Vorgruppe..”, wiederholte Hansen, und ich floh aus dem Innenraum.
Als ich die Gasse unterhalb der Tribüne erreichte, wo man etwas Platz hatte, blickte ich hinauf zu den Rängen, und jetzt geriet meine Wahrnehmung komplett durcheinander. Die Bewegungen der Menschen, die auf der Tribüne ihre Plätze einnahmen, deutete ich falsch. Ich glaubte, das Publikum sei in Panik. Ich sah Menschen fliehen, über die Sitze stolpern, ein einziges großes Gewimmel war es, was sich dort oben abspielte. Und das schlimmste – es interessierte niemanden. Um mich herum war alles wie zuvor. Leute kamen mit Bier, Leute gingen neues Bier holen.
Vielleicht war auf den Tribünen ein Feuer ausgebrochen und jetzt kletterte alles wild durcheinander und stürzte Richtung Notausgang, dachte ich. Nur merkwürdig. Nirgends war ein Schrei zu hören, keine Hilfe-Rufe, es war eine lautlose Panik, die die Halle ergriffen hatte.. was zum Teufel war mit den Leuten um mich herum los, wieso gaben sich alle so unberührt? Sah denn wirklich niemand außer mir, was dort oben vor sich ging!?
JA, MERKT DAS DENN NIEMAND?
Erst als das Hallenlicht unter Gejohle erlosch und schrille Pfiffe den Beginn des Konzerts forderten, verschwand das Gespenst einer Massenpanik. Ich versuchte mir irgendwie klarzumachen, dass es Halluzinationen gewesen sein mussten, nur Hallus.
Dumm nur, dass auf LSD definitiv kein nur existiert. Alles ist gleichsam wichtig, man bewegt sich wie in tausendfacher Vergrößerung unterm Elektronenmikroskop, schwimmt auf der Pipette. Das Selbst ist gleichsam monströs groß und winzig und enthauptet. Es gibt kein Ich mehr.
Nur noch Ichs.
Auf Resten einer entglittenen Seele, niedergedrückte Versuche, mir zu entkommen, Abgrund überall, Wege weg vom Abgrund –
hier entlang!
Ich versuchte, Vorsprung zu gewinnen, Vorsprung vor mir selbst inmitten rempelnder Körper, einem brutalen MILLIARDENGEMURMEL, o Herr – hätte ich es doch nur ungeschehen machen können. Ich blieb wie zugeschnürt, randvoll pulsierend.
*
Auf der Bühne erschien Patti Smith, die sich feiern ließ für ein erbärmliches Gitarren-Solo. Eine Leinwand wurde runtergefahren, ein schwarz-weißer Undergroundfilm voller Ratten in New York und monotonen Maschinengewittern gab mir den Rest. Ich tigerte durch die Vorhalle, vorbei an den Ständen und Freßbuden, versuchte zu entkommen, den Fratzen, lief hin und her, ohne ruhige Sekunde, ohne sitzen bleiben zu können, versuchte es mit einem Bier, das ich irgendwie bestellt bekam am Bierstand, doch was den Lippen entgegenschwappte war nicht fluid, es waren Stoffbahnen. Ich trank an gegen Mäntel, nahm einen Schluck gegen Innenfutter. Ließ es sein. Den Becher stehen. Weiter. Wohin?
Einfach verschwinden, in die S-Bahn setzen, nach Hause fahren, alles, was im cleanen Kopf ein Kinderspiel gewesen wäre, schien unmöglich, ich würde es nicht packen. In meinem Körper riefen sie nach Selbstmord, nach Schluß damit, komm, spring.
SPRING!
Müder Beifall.
Der Vor-Film war zu Ende. Leinwand hochgezogen, die Patti Smith Group enterte die Bühne. Ich verzog mich hinters Mischpult, wo genug Platz war. Patti Smith spielte Ask the angels, ich versuchte zu tanzen, mich in die Musik einzugraben, einen Schutzmantel aus Noten um mich herum zu ziehen, doch ich fand mich nicht ein, konnte die Musik nicht spüren, es blieb ein fernes Hampeln, ich blieb auf der Pipette. Schief, verdreht, verwickelt. Gebet;
Herr!
Runterstürzen, irgendwo: Doch die Philipshalle, ein Flachbau ohne Treppengänge, ohne jedes Oben und Unten, nur flaches Geschoß, das keinen Sprung zulässt. Hängengeblieben, wickelte sich eine Schleife durch meinen Kopf, Hängengeblieben Hängengeblieben, HÄN-GEN-GE-BLIE-BEN.
Beifall brandete auf. Ich spürte die Musik nicht. Ich spürte mich nicht. Ich lief hin und her und wusste nicht weiter. Ich wusste nur eins: so schnell würde sich dieser Zustand nicht ändern.
Schuh begegnete mir an der Garderobe. Wir waren nicht gerade das, was man Freunde nannte. Was sagt man einem Bekannten, wenn einem die Seele gerade von zu starkem LSD zerschossen wird?
“Schuh.. ich bin auf Trip.. ich pack das nicht mehr..”, mehr brachte ich nicht heraus. Die Worte eines Hängenbleibenden. Nüchternes Zeugs. Doch Schuh zögerte keinen Moment.
“Lass uns hier verschwinden. Mir gefällt das Konzert eh nicht. Und ich hab einen dicken Brösel im Wagen.”
“Nein. Nicht kiffen”, sagte ich, “bloß nicht!”
Ich hatte Angst, dass mit Haschisch alles nur noch schlimmer werden würde, doch Schuh ließ sich nicht beirren.
“Auf Horror hilft nur viel kiffen, so viel wie möglich.”
In seinem R4 holte er ein Piece aus dem Handschuhfach, groß wie ein Hühnerei. Wir rauchten fünf oder sechs Joints, bis Schuh nicht mehr konnte und nur noch für mich drehte. Es war, als drückte das THC allmählich die Säure aus meinen Beinen, als würde sich mit jedem Zug aus der Haschischzigarette eine weitere leichte Decke über meine rohen Sinne legen, in der kühlen Stille des Renault. Wir sprachen kein Wort. Ich hatte keins, Schuh wollte nicht. Als der Brösel fast ganz aufgeraucht war, gaben die Dämonen allmählich Ruhe.
Schuh gähnte ausgiebig.
“Du Spezialist.”
- von Andreas Glumm
in Glumm