Felix Philipp Ingold im Perlentaucher (Volllektüre empfohlen):
“(…) Elektronisches Schreiben ist, im Unterschied zur herkömmlichen Schriftkultur, nicht mehr vorrangig auf die Fertigstellung und Stabilisierung des Texts angelegt, sondern auf dessen Verflüssigung, das heißt auf die stetige Modifikation des Corpus durch Umschichtung, Verschiebung, Löschung, Wechsel des Schrifttyps u.a.m. Die stetige Unfertigkeit dichterischer Werke, von der schon Francis Ponge weitläufig gesprochen hat, scheint sich neuerdings in vielen Bereichen der Textproduktion als Normalität durchzusetzen; sie ergibt sich – soll man sagen: naturgemäß – aus den neuen funktionalen Möglichkeiten elektronischen Schreibens, war aber in den avancierten literarischen Schreibverfahren des 20. Jahrhunderts bereits vorgebildet, auch wenn diese damals noch im Kopf konzipiert und von Hand praktiziert wurden. – Heute benennt man diese Verfahren mit Begriffen wie “Cut & Paste”, “Hyper_Scriptionen”, “Hypertext”, “Hyperfiction”, “Cyberfiction”, “Concreativity”, “schwebendes Schreiben” u.ä.m., doch all das geht über die längst erprobten Techniken von Schnitt und Montage, von Serialität und Permutation, wie die klassische Moderne sie entwickelt hat, nur unwesentlich hinaus.
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Schriftsteller, die mit dem PC aufgewachsen und als digitale Schreiber zu Autoren geworden sind, bilden heute unter den Literaturschaffenden sicherlich die Mehrheit. Dass aber das gewandelte, technisch hochgerüstete Schreibgerät die Textproduktion – nicht als Verfahren, sondern im Ergebnis – nur unwesentlich modifiziert und auch die Poetik kaum berührt hat, ist belegt durch eine Vielzahl aktueller Publikationen, welche insgesamt – meist beglaubigt durch Kritiker und Juroren – die “zeitgenössische Literatur” ausmachen, zumal die deutschsprachige.
Da stellt man nun erstaunt fest, dass das erzählerische oder lyrische “Ich” seligen Angedenkens nach wie vor fröhliche, bisweilen auch wehleidige Urständ feiert; dass es den Schreibenden mehrheitlich und vorrangig um die Kommunizierung privater Befindlichkeiten oder Erfahrungen geht; dass dafür jedoch (wiederum mehrheitlich) entweder auf kanonisierte Stilformen und Textsorten zurückgegriffen oder ein rezenter, in hohem Maß formelhafter, syntaktisch schwacher Alltagsdiskurs bemüht wird, der in Schriftfassung – da die Intonation entfällt – subjektive Einfärbungen weitgehend vermissen lässt, obwohl unentwegt “ich” gesagt wird und auch “ich” gemeint ist. (…)”
aus: Felix Philipp Ingold, Ego_Firmen im Alltagsdiskurs
Mit einer impliziten Erklärung, warum Matthias Politycki verschwunden ist …
Nur dass man den Computer, statt zur Generation hyperer Literaturen oder zur Präsentation multimedilallaler, auch zur Analyse, zum Rausziehn, Pressen, Umformen, Abfragen … Miss (? scheint fast so) Brauchen kann – nee, ne, das kommt nicht vor, das Kollokationenzählgedicht usw. Ach, schade, geht es mir, dem PC wie dem Wolf, dem der Pauker das Weib nicht beugt so lang. Und warum? Keinen Blick auf sich werfen, so Bloch, das sei doch was.
Doch, ein feines Textchen, nur manches klingt nach Hörensagen.
stimmt. und gerne wird auch foucault dem zitatmilieu von der sterberei zugeschoben, was so gar nicht stimmt, im gegenteil, beinahe. aber hörensagen ist ja auch schon mal was. (dennoch musste ich bei der dokumentation der poetischen sprengsel einer jungen literaturzeitschrift schmunzeln …)
Bei aller Wertschätzung früherer Texte F. Ph. I.’s : Ist dies nicht ein diskursiv HOCHGERÜSTETES Schrift – und Belegstück klassischer Kulturkritik ? – Selbige kann sich – wie Exempel Geert Lovink lehrt – ja auch durchaus progressiv geben , was der oben zitierte Artikel allerdings durchaus NICHT betreibt .
Dass auch “problematische Naturen” das Konzept einer “eigentlichen Avantgarde” und deren adaequates Verständnis für sich reservieren möchte , ist doch klar . Andernfalls müsste sie Kommentare zu den Zeit- & Schreib- läuften nicht derart HOCHRÜSTEN .
der text rührt mit grosser kelle an. das verwundert nicht, möchte auch er sich betrieblich behaupten und ein textich (goetz) mit koordinate erzeugen. (daher die beerdigung der metapher). und ja: er spielt mit den modi klassischer kritik (das aus einer immanenten position „nach-hinten- vorne-UND-zur-seite-gucken“). aber in manchen punkten muss man doch recht geben. wo poetik draufsteht und befindlichkeit drinne ist, darf da schon darauf hingewiesen werden. (damit mein ich jetzt aber nicht kurzeck). es geht da ja auch um instanzverwischungen: des textes, des verfassers und am ende: des begriffs, der selber in bestimmten umgebungen zur strahlkraft von erzeugnissen eingesetzt wird, die eingeschrieben werden wollen. gegen den einschreibungswillen ist auch nix zu sagen. es ist da nur eine frage des ortes …
Allerdings bin ich mir nicht sicher , ob der “verflüssigte” , resp. : der ” syntaktisch schwache Alltagsdiskurs” notwendig auf das ( elektronische ) Schreibinstrument zurückzuführen ist . Betrachten wir die Ich- Texte der 60er und 70er , Produkte des Aufschreibsystems “Typewriter” ( + Durchschlagpapier ) lassen sich parallele Ich- Schlieren beobachten , egal ob bei Brigitte Reimann oder sogar Hubert Fichte . Wobei bei Fichte oder etwa Kurzecks früheren Romanen die einzeln beschriebenen Blätter – an die Wände gepinnt und rekombiniert – sozusagen die Funktion der “movable types” des heutigen Textblock- “Copy- and- Paste” übernehmen .
Persönlich würde ich für die Herleitung des “syntaktisch schwachen Alltagsdiskurses” auf Bedürfnisse und Nachfrage seitens des MARKTES plädieren . Man sehe sich die mit dem “deutschen Buchpreis” oder dem “Bachmannpreis” AUSGEZEICHNETEN Ich- Texte der jüngeren Vergangenheit doch mal darauf hin an -
so gesehen könnten wir da noch (bildlich) ein bisschen früher einsetzen und ludwig hohl nennen, der seine manuskriptseiten auf wäscheleinen, quer durchs zimmer gespannt, an- und umordnete. (sicher war er da nicht der einzige und erste). aber die „copy- and paste“-technik, die ja immer auch nicht nur eine organisationstechnik (das wäre das „cut- and paste“), sondern zusätzlich schnelle multiplikationstechnik ist (wir haben hier: schnelligkeit und vielfachheit, der die endlichkeit abhanden kam). und das ist neu. natürlich auch die beliebige manipulierbarkeit, auf verfasser- wie auf leserseite. so verstehe ich auch den text, wenn davon gesprochen wird, dass keine fertigkeit (ende, abgeschlossenheit, „werk“) eines textes (von vorneherein) mehr angestrebt wird. man kann das als ausrede benutzen. man kann das aber auch produktiv nutzen (s. BC). ich (ich!) will aber sagen, dass diese(s) verfahren der textverarbeitung wahrscheinlich auch auf lektüreseite verfolgt werden/wird. die lektur der leserschaft (die endverbraucherin, die verbraucherinformation) wächst ja mit den verwendungen der techniken mit den techniken mit. „copy- and paste“ auf rezeptionsseite hiesse dann vielleicht immer noch: ich (als versatzstück) bin das organisationsprinzip des textes. meine texterwartung selbst wird „copy- and paste“ in den text hineingetragen. damit feiert natürlich auch das gebet darüber „fröhliche, bisweilen auch wehleidige urständ“. (es existiert ja nur, was in buchhandlungen und feuilletons vorhanden ist. andererseits passt die bildidee des „copy- and paste“ auch durchaus auf die vergabepraxis anderer aufmerksamkeitsökonomien). allein: was früher gebet war, ist heute notwendiges mantra, denn: von wo aus gesprochen wird diese zeitgenössische meinung über zeitgenossenschaft? (hier also wieder die frage nach ort und funktion der sprecherschaft, ganz diskursanalytisch). die spitze eines eisberges rezipiert die spitze eines anderen eisberges und stellt fest, dass da nicht viel zu sehen ist. sie haben also recht. am branchendispositiv hat sich nicht viel verändert, wie sie auch hergeleitet haben. aber: im gegensatz zu früher (sagen wir: vor 10 bis 15 jahren), können wir heute uns gegenseitig (schnell und vielfach) zeigen, dass dem nicht (nur) so ist (was da existiert). auch ein grund vielleicht, dass es einen (massenmedialen) funktionswandel auf diesem sektor geben wird. das wird vielleicht nicht die verkaufszahlen ändern. ich glaube aber, dass es zu einer (unsubventionierten, freilich) formenvielfalt kommen kann, die problemlos den kriterien genügen, die da ausgegeben wurden …
angesichts dieser diskursiven Eiger – Nordwand gibt sich czz mal geschlagen , rettet sich allenfalls in einen erneuten bild- wechsel , indem wir auf die lange debatte im FOINTBLOG hinweisen :
dort ging es speziell um den bild- aggregator FFFFOUND und wie dessen feeds sich aufs akute desgin ( buchstäblich ) niederschlagen :
“FFFFUCK OFFF … oder: Warum ffffound.com das Gehirn der Designer verklebt”
http://www.fontblog.de/ffffuck-offf-oder
hier wird die zeitgenossenschaft und “diskursteilhabe” am thema der bidlnerischen gestaltung ( und lehre ) in vielen aspekten abgehandelt . zum beispiel : wielviel ABSTAND ist vom fauernden flow der feeds und streams zu halten , um noch einermassen raum zu haben , die so schön wiedereinnerten Hohl’schen wäscheleinen mit EIGENmaterial spannen und bestücken zu können . die kombinatorik dieses EIGENmaterials halte ich da für das geringere problem ( ich behalte mir vor , bücher wie den “Ulysses” nach MEINER eigenen reihen- un – folge zu lesen , also prinzip “BC” ) als dasjenige , wie blog- bzw. textgenese überhaupt die richtige balance zwischen laufend eingespeisten FREMDmaterialien und EIGENton zu finden vermag .
und wir sprechen da jetzt nicht von der MONTAGE als kunstform ( klass. avantgarde ) , sondern von der freiwilligen selbstgleischschaltung der immergleichen
ICH- literatur bzw. der immergleichen RIVVA- bzw. heise- abschriften .
war das jetzt SEHR “off topic” ?! – Hope not !
an einer anderen stelle (http://tinyurl.com/5u3yet) heisst es gerade: “3. Literatur im Netz geht. Aber Literaturportale im Netz gehen nicht. Schriftstellertum lebt von Vereinzelung der Autoren und nicht vom Zusammenschmeissen, bei dem der gerade verfügbare Möchtegernautor den Könner runterzieht. Qualität muss die oberste Maxime sein.” (weiss nun nicht, ob sich das auch auf best. aggregatoren beziehen soll). aber immerhin hat ffffound damit eine normative rolle bekommen, soz. eine stimme etabliert (oder ein label?), die jenseits der offizialkultur des segments bedeutung erzeugt. (widersprechen sie mir bitte, ich kannte diese seite noch gar nicht). das meinte ich ua auch mit funktionswandel (jetzt der verbraucherinfo) … die transformation von gatekeeperstrukturen. aber im literarischen? ja, da sehe ich allerdings noch nichts bis wenig. verstehe aber nicht, warum das da nicht auch so laufen kann …
Dies ist ein Zitat aus einem Artikel in der Blogbar. Wer den gesamten Artikel lesen will, findet ihn hier.
@ Markus : Aus selber Quelle lautet allerdings die neue Kanzelrede ( von hab wird der Artikel , wie ich eben sehe , eh auch zitiert ): “Literatur zur Auflockerung? Gerne.”
@ hab : Hinsichtlich des Gatekeeping an der Schnittstelle zur Agentur : Siehe die Krokodilstränen , welche man dem angeblichen “LITERATUR”- Design- Dingens “mindestens haltbar” nachweint
(http://medienlese.com/2008/07/03/literaturseite-mindestens-haltbar-verfallsdatum-abgelaufen/) – ) .
Dazu an anderer Stelle ein nicht ganz unzutreffender Kommentar :
“Ein schönes Märchen zu glauben, ein anspruchsvolles Webmagazin wäre zunächst einmal an irgendwelchen Kosten gescheitert. Literaturwissenschaftlich war das nicht, was da abgeliefert wurde, also zu hoch war der Anspruch auch nicht … Aber wenn ich diesen Web-2.0-Jargon gepaart mit BWL-Geraune höre (‘Am Ende des Tages ist Knallgrau ein Dienstleister und kein Medienunternehmen’ oder ‘Wir haben dieses Projekt eben nicht mit dem Ziel der wirtschaftlichen Refinanzierbarkeit vereinbart’)…”
(http://www.medienrauschen.de/archiv/mindestenshaltbarnet-sucht-neuen-herausgeber-dieter-rappold-von-knallgrau-im-interview)
- ‘Tschuldigung die langen Links -
den link da oben nicht zu ahreffen war ein dummes ding von mir. sorry. dann muss ich auch noch anmerken, dass ich mich (bei dem eingegangenen) auch mal zu einem beitrag habe verführen lassen. (das sah zu anfangs auch ganz interessant aus). ich glaube aber gerade nicht, dass so etwas inhaltlich hält, wo l. zum decorum degradiert wird. wir sprechen hier nicht von wirtschaftlichkeit, denn die wenigsten (auch print-) publikationen, die da essentiell verfahren, sind unsubventioniert oder können sich alleine tragen. das wird im netz nicht anders sein, wo sogar marktgängige themen und inhalte nicht mal monetarisiert werden können. (wie dort zu recht bemerkt wird). ich frage nur: wenn kümmerts? was mich nur etwas ärgert, ist der sorglose umgang mit l-begriffen, die suggerieren sollen, das dekor ist ein notwendig einzuspeisender mehrwert. dann doch lieber die trockene und dafür essentielle seite ohne getöse und brimborium. dann klappts vielleicht auch mit dem von F. Ph. I. angemahnten fortschritt …