„Ich möchte Ihnen keine Probleme wegen Ihrer Frau bereiten.” Sagte sie. Ich hatte an der Theke des >>>> Soupanovas gesessen, es war proppevoll gestern nacht. Ob sie mich wohl gleich erkannte? >>>> „Junge Frau”, das hatte ihr g a r nicht gefallen, war mein Gefühl; vertraute ich ihm, dachte ich vorher, dürfe ich auf gar keinen Fall Krawatte tragen.
„Ich habe erwartet, Sie im Anzug zu sehen”, sagte sie denn auch, die junge Frau.
„Nicht im Soupanova.” Was gelogen war: ich zieh an, wonach mir ist. Bei ihr war mir nach harter Lederjacke. Lammfellweste drunter, was dann erst recht zu warm war. Cigarillos, logisch. Ich erkannte sie sofort, als sie eintrat. Au weia, dachte ich. „Ich möchte Ihnen keine Probleme wegen Ihrer Frau bereiten”, war der erste Satz, den sie zu mir sagte.
„Das gibt keine Probleme. Meine Frau und ich, wissen Sie, das ist ein seltsames Verhältnis. Sie lehnt mich sexuell ab… nein nein, ich habe kein Problem damit, das offen zu sagen. Man kann sagen: sie lehnt meine sexuellen Neigungen ab. Dennoch sind wir zusammen. Dennoch, sie ist meine Frau. So ist das.”
„Sie sind in sexueller Hinsicht ziemlich frei, oder?”
War das bereits der Flirt? „Das Problem sind mehr meine Geliebten. D i e finden meine Eskapaden nicht lecker. Meiner Frau sind sie egal.”
„Geliebten? Immer gleich in der Mehrzahl?”
„Sehen Sie”, sagte ich, „Sie jetzt auch schon.”
Ich half ihr aus der Jacke. Sie ist relativ hochgewachsen, wie viele junge Menschen heutzutage, ich bin dagegen ein Kleinwüchsler von einsneundundsiebzigeinhalb. Eine Geliebte hatte mal gesagt, sie trage in meiner Gegenwart besser keine hohen Schuhe. Was mich verstimmt hatte. Daß „es” nicht der Körperwuchs sei, hatte ich erwidert und mir spontan angewöhnt, von j e d e r Frau ab, sagen wir, 1.77 einzufordern, um EmmanuelleArsansWillen nie auf hohe Schuhe zu verzichten. „Ich trage keine hohen Schuhe”, sagte nun d i e s e Arsan. Sie war auch sonst jugendlich gekleidet: Jeans, Pulli, darüber ein dunkles Blouson – eine schmale Frau, die einmal elegant werden wird. Weiß sie aber noch nicht. Spontan die Lust, ihre linke Brust zu berühren. Man sagt mir zwar anderes nach, aber das stimmt nicht: ein Grabscher war ich nie. Nur die Augen halt. Ich schaue immer direkt, nie verstohlen. Sie merkte das und ging ein wenig ins Hohlkreuz.
„Das hat Ihnen nicht gefallen, das mit der jungen Frau.”
„Ich bin 26.”
„Eben.”
„Wissen Sie: rotes Haar ist an sich nicht mein Revier.”
„Sind Sie enttäuscht, weil sich das ändert?”
Da war ich erstmal sprachlos.
Sowieso.
Ich war davon ausgegangen, daß wir uns duzen würden, von Anfang an; sie ließ mich aber, bis zum Schluß, aus meinem inszenierten Sie nicht heraus. Ihr das Du anzubieten, hätte was von einem etablierten Herrn gehabt, der sich zu einer „Kleinen” herunterbeugt, was in unserem Fall schon wegen Arsans Körperhöhe nicht geht, aber vor allem meinem Jagdtrieb vors Schienbein, nein: vor beide, getreten hätte; Lederjacke, sag ich nur. Ich saß auf dem Barhocker, sie stand neben mir. Ich hatte keine Lust, chevaleresk zu sein. Heute mal nix Alte Schule. Übrigens ließ sie ihre Blicke genau so sinnlich über mich laufen. Genau so klar war aber, daß sie mich heute nicht mit ihr schlafen lassen würde. Noch nicht. Leser, Sie werden meinen Genuß kaum ahnen, das hier hinzuschreiben und dabei zu wissen, daß sie es lesen wird. Ich schreib das eigentlich auch nur für sie, nicht für Sie; daß Sie dabei zugucken, garantiert die kleine pikante Perversion, die ich bei so etwas schätze. Was diese (ich insistiere:) junge Frau ziemlich gut weiß. Überhaupt war sie informiert über mich, man kann sagen: sie hatte sich vorbereitet. Nicht für ein devotes Vorstellungsgespräch (sowas inszeniere ich ja auch immer mal gerne für Blinddates), sondern auf einen Ringkampf. Sie sagte das nicht, aber ich hörte: „Ich bin keine Trophäe”. Wahrscheinlich stellte sie sich um meinen Schreibtisch herum lauter Souvenirs von Frauen vor. Vor noch drei Jahren hätte sie recht gehabt. Über meiner Schreibtischlampe hingen damals zwei Nylons, nein, nicht von einer Frau, in meine Schreibtischschublade tat ich fast zwei Jahre lang Slips von Frauen, die sie mir beim allerersten Treffen gaben, an der Bücherwand hing ein BH. Sowas gefiel mir. Ein Ohrreif, den ich einer Schönen nachts aus dem Läppchen riß, nicht absichtlich, nein, sondern wir fielen so übereinander her, und das Blut schmeckte mir, ich kann ganz versessen auf Blut sein, auch auf jenes mit dem starken Metallgeschmack… – also der Ohrreif, fein, silbern, liegt bis heute auf meinem Schreibtisch, ich schaue ihn immer wieder an. A u c h eine hochgewachsene Frau, übrigens, Basketballerin, Profisport. Dann fing ich eine Liste aller Frauen an, mit denen ich jemals geschlafen habe, ich numerierte sie durch, das wäre sonst unübersichtlich geworden – ich brach das aber ab, weil ich hätte auch diejenigen Frauen mit draufschreiben müssen, die ich wirklich geliebt habe und immer noch liebe. Das wollte ich nicht. Es waren bis da hundert/hundertfünfzig Namen, ich weiß nicht mehr, so schwindlig war mir. Die Angelegenheit selber ist kein Grund, sich zu schämen; ein Grund, sich zu schämen, ist, daß einem manche Namen nicht mehr einfallen, man hat nur noch den Vorschein eines Gesichtes, oder einen Sprechklang, oder eine besondere – „technische” ist falsch – Vorliebe; auch sehr schwere Brüste bleiben in der Erinnerung, die in den Handflächen sogar taktil erhalten ist. Eine andere Frau, die momentan eine Rolle zu spielen beginnt, schrieb: ihre Art (ihre A r t, stellen Sie sich vor!) sei immer auf den Samen des Mannes aus. Das sind so Sätze, denen keiner entkommt. Es sind nämlich nicht Sätze, sondern Fallen: hier ist es sogar eine Rutsche, über die man hoffnungslos in den Schlamm der Seeufer glitscht. Dann wird gefaßt, er wird gezogen und ertränkt. Am besten hört man diesen Sätzen gar nicht erst zu. Am besten, man liest weg. Kann man aber nicht, weil sie zu gut, zu perfekt gewundene Schlingen sind; einer wie ich dürfte nicht mehr vor die Tür, wollte er sich nicht verfangen. Das wissen diese Frauen. Den Kokolores von Seelennähe und pochender Verliebtheit, die an den Wänden der Pubertät entlangstreicht, dürfen Sie, Leser, getröstlichst vergessen, wenn die Genetik Arsans herrliche Zähne zeigt. Ich hab mal in einem Porno eine Szene gesehen, very close up, die eigentlich nichts war als die Szene, die man in j e d e m Porno sieht. Hier aber sah man die unpersönliche Gier, eine von der Frau wie von dem Mann als Bewußten völlig abgelöste Gier, eine Gier des Organs, muß man das nennen: und zwar, wie die inneren Labien über den Schaft leckten n a c h dem Erguß: sie leckten ihn a b; da sollte nicht ein bißchen vergeudet werden, nein, alles alles sollte rein. Das war der Wille des Organs und hatte mit den beiden Beteiligten gar nichts mehr zu tun. „Irgend eine Kraft des Universums hatte sich in einer Stelle ihres Körpers konzentriert”, schreibt Pynchon.
Über alledies sprachen wir, Frau Arsan und ich, aber gar nicht mehr, sondern das war eine Voraussetzung. Es wurde spät, nein: früh, als wir uns trennten. Sie erzählte, wie sie zur Literatur gekommen sei, sie erzählte von Rumänien, vor allem von ihrem Großvater, so kamen wir auch auf >>>> Peter Grosz, kamen auf Hertha Müller und Richard Wagner. Da war sie naiv. Sie g l a u b t e einfach, was geschrieben stand, was behauptet wird, was inszeniert ist; sie war dieser ganzen Heuchelei, bei der es nur um Machtpositionierung im Literaturbetrieb geht, wie ein ganz kleines Mädchen aufgesessen. Ich fand, sowas stehe ihr nicht. Also diskutierten wir. Ich berichtete ihr von den Hintergründen; vieles wußte sie einfach deshalb nicht, weil sie viel zu jung gewesen ist damals… überlegen Sie mal: als die Mauer fiel, war sie fünf. Was konnte sie erlebt haben von den Banater und Siebenbürger Auseinandersetzungen noch zur Ceauşescu-Zeit? Nichts, gar nichts. Alles nur ein Hörensagen. Ich blieb aber sehr ruhig, jetzt wirklich mal der ältere, besonnene Mann. Der einfach nur Verhältnisse geraderückt. Und ihr nebenbei zeigte, wie dieser Betrieb funktioniert und wo die Fußangeln liegen. >>>> Scheel, der als ein solcher peinliche Anhänger John Waynes, weil damit besondrer US-Experte für europäisches Denken, hat sie >>>> mit ihrem Foster-Wallace-Projekt zum >>>> Merkur eingeladen; das muß man sich vorstellen. Andere nicht. Weshalb? „Sie sind eine schöne junge Frau, deshalb.” „Aber er hat mich doch noch nie gesehen.” „Das spielt keine Rolle, weil er eine Projektion von Ihnen hat und weil Sie diese weibliche Fähigkeit h a b e n, Projektionen in Männern auszulösen. In mir auch, klar. Wenn man Sie treffen will, sein Sie damit heikel. Alle wollen eines, in beruflichen Zusammenhängen ist das blöd, wenn Sie dann abweisen müssen. Das hat Folgen. Mir haben die Schwulen immer übelgenommen, daß ich nicht zu ihnen gehöre. Was meinen Sie, was ich deshalb an Aufträgen alles verloren hab. Und was Sie anbelangt: klar, i c h will das auch, selbstverständlich, es wäre außerdem beleidigend für Sie, wollte ich es nicht: mir Ihren Körper nehmen. Aber auf mich sind Sie beruflich nicht angewiesen, es ist sogar besser, Sie erwähnen mich nicht, damit man Sie nicht in Gruppenhaft nimmt. Also haben Sie jede Freiheit, meine Avancen abzuwehren.”
Da lachte sie was. Ganz frei, fast unschuldig. Was sie natürlich nicht ist.
Dann Foster Wallace. Verhältnismäßigkeiten. Was alles nicht mehr bekannt ist. Die Großen Romane. Was Dichtung ist. Was das L e b e n eines Dichters ist. Daß es sich nicht um einen Beruf handelt. Daß man nie wissen wird, ob man wirklich einer war, noch dann nicht, sagt Mahler, wenn man auf dem Sterbebett liegt. Daß da immer eine tiefe Unsicherheit bleibt, die man entweder mit öffentlichem Erfolg bemäntelt oder mit Größenwahn oder mit beidem. Darüber sprachen wir. Ich war erregt, als ich ging. Es war an mir, das Gespräch zu beenden, i c h führe, Punkt. Aber ich war erregt. Es war irgendwas nach eins. Wir werden uns wiedersehen. Abermals: Punkt.