Arbeitswohnung, 8.54 Uhr.
Ich schreibe Dir, Liebes,gar nichts heute zu mir, und nichts zu meiner Arbeit. Denn zwar gestern schon rief der Profi an – aber ich scheute mich noch -, ich solle bitte die Nachrufe auf Fritz J. Raddatz lesen, der seinen Fortgang in Zeitpunkt und Art auf eine Weise selbst bestimmt hat, die uns allen zu wünschen wäre: daß sie uns nicht verboten wird, so daß man seine Zuflucht in der Behinderung oder gar Schädigung anderer nehmen muß wie einer jener hoch verzweifelten Leute, die sich vor Züge werfen. Freilich hatte Raddatz, anders als die, noch genügend Geld und, so zu tun, wie er nun tat, vor allem die Bildung.
Wir sind uns zweimal begegnet, einmal als Gäste einer Talkshow, einmal in halbprivatem Rahmen und hatten uns nichts zu sagen; er kannte mich nicht, bis jetzt zu seinem Tod; für mich war er allenfalls als ästhetisches Phänomen interessant, auch als Dandy, der sich durchzusetzen vermochte, aber eben in seiner solchen Erscheinung als Homosexueller akzeptiert war, wenn auch nicht unumstritten. Die Klarheit seiner Worte gefiel mir, seine radikale Offenheit gefiel mir, seine ätzende Kritik am Betrieb, dem er indessen zugehörte und zugehören auch wollte, dessen Weichen er aber auch jahrzehntelang mitgestellt hat. Ich kam da als Zug nicht vor, vielleicht auch meiner Homophobie wegen. Das tut hier alles nichts zur Sache.
Der Profi hat recht. Einen der besten Nachrufe, die ich heute früh las – erst heute früh, weil ich gestern instinktiv auswich – hat >>>>> in der FAZ Volker Weidermann geschrieben – wenn auch mit der euphemistischen Headline, er sei, also Raddatz, „gestorben“. Die Zeile ist bigott, dem Mann nicht angemessen, denn sie stützt ein Tabu, das dem Menschen die Würde der letzten eigenen Entscheidung nimmt. Weiterhin lesenswert ist >>>> das von der Süddeutschen Zeitung noch einmal ins Netz gestellte Gespräch, das Sven Michaelsen mit ihm geführt hat. Sehr wichtig darin scheint mir die Unterscheidung von Eitelkeit und Narzissmus zu sein.Wir hätten uns selbst dann, wäre meine Arbeit für ihn von irgend einem Interesse gewesen, wahrscheinlich nicht verstanden. Zwischen uns lagen verschiedene Herkünfte, verschiedene Vorlieben, von denen die sexuellen die mit bestimmendsten sind, verschiedene Generationen, verschiedene poetische Werte; verbunden hätte uns die Idee, das am Anfang all dessen, was wir groß nennen, die Leidenschaft steht: die Fähigkeit und vor allem Bereitschaft zur Hingabe, sowie eine radikale, nichtbürgerliche Offenheit, die sich gefährdet.ANH, 28.2.2015
Berlin
Wir sind uns zweimal begegnet, einmal als Gäste einer Talkshow, einmal in halbprivatem Rahmen und hatten uns nichts zu sagen; er kannte mich nicht, bis jetzt zu seinem Tod; für mich war er allenfalls als ästhetisches Phänomen interessant, auch als Dandy, der sich durchzusetzen vermochte, aber eben in seiner solchen Erscheinung als Homosexueller akzeptiert war, wenn auch nicht unumstritten. Die Klarheit seiner Worte gefiel mir, seine radikale Offenheit gefiel mir, seine ätzende Kritik am Betrieb, dem er indessen zugehörte und zugehören auch wollte, dessen Weichen er aber auch jahrzehntelang mitgestellt hat. Ich kam da als Zug nicht vor, vielleicht auch meiner Homophobie wegen. Das tut hier alles nichts zur Sache.
Der Profi hat recht. Einen der besten Nachrufe, die ich heute früh las – erst heute früh, weil ich gestern instinktiv auswich – hat >>>>> in der FAZ Volker Weidermann geschrieben – wenn auch mit der euphemistischen Headline, er sei, also Raddatz, „gestorben“. Die Zeile ist bigott, dem Mann nicht angemessen, denn sie stützt ein Tabu, das dem Menschen die Würde der letzten eigenen Entscheidung nimmt. Weiterhin lesenswert ist >>>> das von der Süddeutschen Zeitung noch einmal ins Netz gestellte Gespräch, das Sven Michaelsen mit ihm geführt hat. Sehr wichtig darin scheint mir die Unterscheidung von Eitelkeit und Narzissmus zu sein.Wir hätten uns selbst dann, wäre meine Arbeit für ihn von irgend einem Interesse gewesen, wahrscheinlich nicht verstanden. Zwischen uns lagen verschiedene Herkünfte, verschiedene Vorlieben, von denen die sexuellen die mit bestimmendsten sind, verschiedene Generationen, verschiedene poetische Werte; verbunden hätte uns die Idee, das am Anfang all dessen, was wir groß nennen, die Leidenschaft steht: die Fähigkeit und vor allem Bereitschaft zur Hingabe, sowie eine radikale, nichtbürgerliche Offenheit, die sich gefährdet.
Raddatz ist nicht gestorben, sondern gegangen. Das ist, Geliebte, der Unterschied, den das Wort aufrecht markiert. Dessen wie seiner gedenke ich hier.
Berlin