November, 2013

Berlin on Vinyl

Posted on: November 13th, 2013 by Annekathrin Walther 1 Comment

 

Grossstadt Rhythmus (1970)

Grossstadt Rhythmus (1970)

Um's ocelot, herum passieren viele spannende Geschichten: Der Plattenhändler Bernd Leyon, zum Beispiel, möchte über crowdfunding einen ganz anderen Berlin-Bildband realisieren. Dazu braucht er unsere Unterstützung!

Meine Oma hat einen Lachkrampf. Sie steht gebückt im Oberdeck eines Doppeldeckers und lacht sich schlapp. West-Berlin, Mitte der 80er. Ich bin vielleicht fünf und lache auch. Wir sind gerannt. Mir wird erst jetzt klar, dass ich Oma weder davor noch danach jemals habe rennen sehen. Aber an diesem Tag sind wir gerannt: vom Deutsch-Französischen Volksfest zur Bushaltestelle durch monsunartigen Regen. Der Doppeldecker röhrt, seine Scheibenwischer kommen nicht mehr hinterher, aus Omas grauen Locken tropft das Wasser und sie lacht. Aber Moment, warum erzähl ich das eigentlich?

Ganz einfach: Es ist schwer über Bernd Leyon und seinen Bildband zu schreiben, ohne dass einem Bilder und Anekdoten in den Sinn kommen, die man selbst in (Ost- oder West-) Berlin vor 1989 erlebt hat. Doch noch gibt es das Buch nicht! Im Moment gibt es die Idee, viele begeisterte Reaktionen und eine crowdfunding-Initiative auf startnext.de.

Mr. Ypsilon (1972)

Mr. Ypsilon (1972)

Berlin-Cover aus der Zeit zwischen 1960 und 1989 hatten schon lange eine eigene Rubrik in seiner Plattensammlung, sagt Bernd. Er ist seit 24 Jahren Plattenhändler, angefangen hat er bei City Music am Kudamm und war dann unter anderem bei FNAC zuständig für die Weltmusikabteilung, bevor er sich entschied seinen eigenen Laden aufzumachen. Seine Berlin-Cover-Sammlung zeigt Stadt-Impressionen aus Ost und West, die dokumentieren wie sehr sich Berlin in diesem Zeitraum verändert hat. Auf den Betrachter von heute haben die Cover den merkwürdigen Effekt bekannte Orte wie durch einen Filter wahrzunehmen. Das Vertraute scheint einem fremd, aber eben doch vertraut. Bernd faszinierte diese etwas andere Art der Dokumentation von städtischem Wandel und so präsentierte er über die Jahre immer mehr Cover als Wanddekoration in seinem Plattenladen. Vor zwei Jahren schnappte er zufällig auf wie ein Kunde im Rausgehen sagte: "Schade, das müsste es als Buch geben.". Damit war die Idee geboren, er begann noch gezielter auf Flohmärkten und im Netz nach Berlin-Covern zu suchen und startete am 25. Oktober 2013 seine crowdfunding-Initiative.

Es ist Coverart aus dem letzten Jahrhundert, sagt Bernd als er mir in seinem Laden Teile seiner Sammlung zeigt. Das stimmt, die Welt, wie sie auf den Covern zu sehen ist, gibt es nicht mehr. Trotzdem stellt sich die Frage: Warum nur bis 1989? Alles nach 1989 ist nicht mehr Berlin, findet Bernd. Das meint er nicht so hart, wie es klingt. Natürlich lebt er auch heute noch in Berlin, aber eben nicht mehr in dem Berlin. Die Plattencoverindustrie gibt ihm in gewisser Weise recht, denn, so Bernd, seit 1990 finden sich Stadtansichten von Berlin kaum noch auf Plattencovern. Der historische Bruch hat sich offenbar (bisher unbemerkt) auch auf der Ebene des Plattencoverdesigns vollzogen.

Berlin ist eine Stadt, in der (noch immer) wie in kaum einer anderen aufgebaut, abgerissen, neu gebaut und umgebaut wird. Das Lebensgefühl von damals und die mit ihm verknüpften Ideologien sind nur noch in der Erinnerung Einzelner wirklich lebendig. Es ist interessant, dass Ost und West damals offenbar gleichermaßen den Drang verspürten ihren Teil der Stadt vorteilhaft auf Plattencovern in Szene zu setzen: so eifern Plattenbau- und Kudammkitsch um die Wette, sehen wir auf der einen Seite uniformierte Parteimusiker vor übergroßen, geballten Fäusten, auf der anderen John F. Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus mit Absperrvorichtungen, über die heute jeder Kleinstadtbürgermeister lachen würde. Natürlich hat Bernd auch Cover in der Sammlung, die aus heutiger Sicht schlicht absurd wirken: zum Beispiel der Titel "Putzparty mit dem BSR-Orchester", der das knallorange gekleidete Orchester auf einem polierten Müllauto vor einer Kudamm-Kulisse zeigt.

Berliner Luft (60er Jahre)

Berliner Luft (60er Jahre)

Für die, die Berlin noch so gekannt haben, wie es auf den Covern zu sehen ist, wird der Brummkreisel von Erinnerungen sofort in Gang gesetzt. Orte, Gerüche, die Scheibenwischer des beigen Doppeldeckers, die grauen Locken meiner Oma, es ist alles wieder da. Schön ist, dass die Cover das damalige Lebensgefühl in keiner Weise pauschalisieren. Ja, damals sah die Stadt für alle so aus, aber die Erinnerungen sind individuell und die Geschichten, die jeder einzelne mit den Covern verbinden wird, sind es auch. Für die, die Berlin nicht mehr so gekannt haben, sind die Cover eine Möglichkeit im Alten Neues und im Neuen Altes zu sehen. Allein der Eindruck der niedrigen Bäume des Tiergartens, hinter denen die Siegessäule viel zu hoch erscheint, ist den Blick schon wert. Oder die Wirkung der Cover-Farben, die heute kein Instagramfilter überzeugend hinkriegen würde.

Bernds Bildband soll also vieles werden: ein Berlin-Buch, gleichzeitig aber auch  ein Buch über Coverart und Vinylkultur. Platten sind eben noch immer etwas Besonderes -  zumindest ist es schwer vorstellbar, dass in 100 Jahren jemand dasselbe Projekt mit CDs machen wird. Es ist ein Buch über die besondere Stellung eines Ortes in der Welt zu einer bestimmten Zeit, über Veränderung und Erinnern. Diese Erinnerungen hervorzuholen und unkonventionelle Formen Geschichte(n) zu erzählen, liegt uns im ocelot, natürlich am Herzen.

Auf die Idee, das Buch über crowdfunding zu finanzieren kam Bernd durch Freunde. Er greift damit ein Prinzip auf, das jetzt schon mehrfach toll funktioniert hat: viele kleine (oder auch größere) Investitionen ermöglichen ein Projekt von dem jeder am Ende etwas hat und das dem Macher etwas bedeutet. Mit dem Geld will Bernd einen Fotografen und einen Grafiker bezahlen, die seine Sammlung in Szene setzen, und das Buch in einer Berliner Druckerei produzieren lassen - sollte es erscheinen, werdet ihr es die ersten 4 Wochen nur bei ocelot, kaufen können.

Seid mit schon 10€ dabei und macht möglich, dass Bernds Buch bald bei uns im Laden liegt. Das crowdfunding läuft noch bis zum 15. Dezember. Schaut auch auf Bernds Tumblr vorbei, wo er bis zum Ende der Initiative täglich ein Cover posten wird. Oder besucht ihn im Musik Department, seinem Laden im Souterrain der Kastanienallee 41.

Caterina von SchöneSeiten stellt sich vor

Posted on: November 5th, 2013 by Sophie Schmidt 2 Comments

 

SchöneSeiten CaterinaHallo, wer bist Du und wie heißt Dein Blog?

Caterina lautet mein Name, SchöneSeiten der meines Literaturblogs.

 

Warum machst Du bei We read Indie mit?

Weil ich nicht widerstehen kann, wenn jemand mit großen, klugen und aufregenden Ideen auf mich zukommt. Schon gar nicht, wenn es dabei um gute Literatur geht. Es gibt so viel Mittelmaß auf dem Markt, da mache ich gerne bei allem mit, das dem besonderen Buch zu mehr Aufmerksamkeit verhilft. Und genau das hat sich We read Indie zum Ziel gesetzt.

 

Was machst Du, wenn Du nicht gerade für We read Indie oder Deinen Blog schreibst?

Mich trotzdem mit Büchern beschäftigen. Ich arbeite in einer Literaturagentur, prüfe also Manuskripte, lektoriere Texte, betreue Autoren, besuche Lesungen und Buchmessen – und habe irre viel Spaß dabei. Aber ich kann auch ohne Bücher: Wie die meisten anderen liebe ich gute Musik, gute Filme, Reisen an schöne Orte und Begegnungen mit schönen Menschen.

 

Was macht Deinen Blog besonders?

Die Bücherauswahl: in meinen Augen höchst ansprechend, nämlich berauschende Gegenwartsliteratur und anspruchsvolle Krimis. Die Optik: klar und aufgeräumt. Der Inhalt: hoffentlich fundiert, fair und nützlich. Die Sprache: hoffentlich einwandfrei. – Sich selbst zu lobhudeln ist gar nicht so einfach.

 

 Was ist Dein Lieblingsleseort?

Ganz klassisch und in Ermangelung an Alternativen: das Bett, aber nur abends (wer mag, kann mir gerne sein Sofa oder seinen Ohrensessel vermachen). Ansonsten lese ich unterwegs, in der Bahn, in Momenten des Wartens, gerne auch mal allein in einem Café bei einem Glas heißer Schokolade.

 

Was ist Deine Empfehlung für den Literaturherbst 2013?

Das fremde Meer von Katharina Hartwell (Berlin Verlag). Der Roman ist zwar im Sommer erschienen, aber die Lektüre lohnt sich auch im Herbst. Und erst recht im Winter, vom Frühling ganz zu schweigen. Ideal für alle, die von Literatur gerettet werden wollen. Kein Buch hat mich dieses Jahr so sehr bewegt und fasziniert wie dieses.