Jean-Luc Nancy: Vom Schlaf

Posted on: Januar 16th, 2014 by Ralf Diesel No Comments

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Wer beklagt, keinen Schlaf gefunden zu haben, beklagt das Ausbleiben einer Abwesenheit aus der Realität – oder auch das Ausbleiben eines Ausbleibens aus dem Wachsein – und bezieht sich mehr auf den (in dem Fall störenden) Zustand des Wachseins, also auf die physische und psychische Notwendigkeit des Schlafens.

An dieser Stelle unternimmt Jean-Luc Nancy eine Unterscheidung: Das Schlafen des Schlafenden bildet die äußere Hülle. Der Schlaf ist das Innere. In dieses dringt er mit seinem Essay „Vom Schlaf“, im französischen Original „Tombe de sommeil“. Hier sind gleich mehrere Bezüge hergestellt: In direkter Übersetzung ist `tombe´ das Grab, womit hingewiesen ist auf den Schlaf als kleiner Bruder des Todes, zugleich bildet das Grab eine feste Hülle für den Inneliegenden. Der Schlafende, der dem Schlaf Inneliegende, ist insofern der Existenz entnommen, als er keiner Abgrenzung oder Unterscheidung seiner selbst von Anderen und von der Welt unterliegt – er ist im Schlaf undifferenziert. Nicht wie der Tod einmalig, so ist der Schlaf ein immer wiederkehrender Gleichmacher. Ein jeder befindet sich in seinem Schlaf, ein jeder in einem immer anderen, doch stets fällt er in das immer Gleichmachende. Dies das Vereinende, nicht nur unter Liebenden, des Schlafes. Die Auflösung von Raum und Zeit im Traum steht bei Nancy der Ununterschiedenheit des Ichs im Schlaf hintan, fern einer Analyse.

Desweiteren verweist `tombe´ auf `tomber´, fallen. Hiermit eröffnet Nancy. Nicht wir finden den Schlaf, der Schlaf findet uns. Nicht allein fällt man in den Schlaf, der Schlaf fällt in das Wachsein, er fällt in uns. Er gleitet in das Ich, in die Sinne und in das Bewusstsein, was u.a. mit einer Trägheit einhergeht. `Sommeil´ bezeichnet nicht nur Schlaf, sondern eben diese Trägheit - der Sinne wie des Sinnlichen. Der Schlafende fällt von einem Ich in ein Selbst, bis hin zum „Selbst der Dinge“.

Neben z.Bsp. „Das fremde Herz“ oder „Zum Gehör“ vollzieht Nancy eine Philosophie, in die der Körper miteinbezogen ist, vielleicht könnte man sogar von einer Philosophie des Körperlichen sprechen. Gleichsam erfüllt Sprache bei Nancy auch eine Körperlichkeit, sind seine philosophischen Schriften doch durchweg poetisch. Er verdichtet sich quasi in das zu Beschreibende, mehr noch nimmt es sich als Versuch aus, aus dem zu Beschreibenden heraus zu schreiben. „Vom Schlaf“ erscheint oftmals vom Schlaf selber her eingedichtet. Dies leistet wiederum die Übertragung des Titels: nicht über, nicht zum, sondern vom Schlaf (her).

 

 

Vom Schlaf

Jean-Luc Nancy

Aus dem Französischen von Esther von der Osten

diaphanes

64 Seiten

12,95

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