Frank Berzbach über David Wagners Mauer Park

Posted on: Februar 1st, 2014 by Frithjof Klepp No Comments

WagnerEs scheint sich zu einer sehr schönen Tradition zu entwickeln, dass Frank Berzbach seine Gedanken zu gelesenen Büchern hier mit uns teilt. Diesmal: David Wagners Mauer Park - im vergangenen Herbst im Verbrecher Verlag erschienen. Wir freuen uns sehr auf David Wagners Lesung bei uns am 13.02.2014. Fühlen Sie sich herzlich eingeladen, und lassen Sie sich mit Frank Berzbach gern schon einmal darauf einstimmen.

 

 

MAUER PARK

Von Frank Berzbach

DavidWagner

„Das vorliegende Buch will herausfinden, was geschieht, wenn man geschichtliche Vorgänge immer auch als räumlich und örtliche denkt und beschreibt“, lesen wir in den großartigen wissenschaftlichen Essays von Karl Schlögel. „Im Raum lesen wir die Zeit“, so ist der Sammelband programmatisch benannt. Und das neue kleine Büchlein von David Wagner folgt eben dieser Mission; nur in ganz anderer Manier. Er ist nicht als Wissenschaftler in den Archiven und Texten der Welt unterwegs, sondern geht wieder einmal durch Berlin. Und Geschichte entsteht nicht im Blick über die Jahrtausende, sondern in einem Mikrokosmos: Mauer Park enthält die Stadterkundungen, die der Autor zwischen 1998 und 2001 schrieb. Sie sind von der Gegenwart des heutigen Berlin aus betrachtet „alt“, aber die meisten Leser werden sich deutlich an diese Jahre erinnern. Diese Vergangenheit ist nicht weltgeschichtlich relevant, aber sie ist biographisch für uns Leser auch keine kurze Strecke. Wagner besucht Orte, die er als Flaneur findet. Er streift herum, er schreibt über die Bars, Restaurants und Clubs, in die er geht und die Größe von Berlin wird in der Zusammenschau der Texte deutlich – die Orte bleiben meist unverbunden, sie sind alle „Berlin“, aber korrespondieren nicht miteinander. Der Alltag wird für David Wagner zum poetischen Prinzip; jeder kann über die Momente der Weltgeschichte schreiben, er hingegen steht mit seinem Kind verloren auf dem neuen Potsdamer Platz und erinnert sich daran, dass Curt Bois im Film von Wenders verloren im Bild steht und diesen Platz nicht mehr findet. Lesenswert ist das Buch aber vor allem wegen der Orte, die keinen Eingang finden werden in die Geschichtsbücher. Leere Restaurants, die es nicht mehr gibt. Orte, die nicht so bleiben werden, Orte, die nicht mehr so sind, wie vor 10 Jahren. Er besucht Räume und die Zeit scheint verloren.

 

Der Test für diese Art literarischen Stadtführern muss sein: Würde ich diese Orte selbst gern besuchen? Ja, ich möchte sie besuchen. Ich werde mir das Bändchen mit nehmen und umherlaufen. Über Flaneure ist viel geschrieben worden und der Begriff schillert, aber wer kann überhaupt noch flanieren? David Wagner kann es und er wird damit hoffentlich nicht aufhören; diese kleine Form enthält immer wieder wunderbare Beobachtungen und ich kam mir vor wie beim historisch-örtlichen Perlentauchen. Die Ironie tanzt immer mit in diesen Texten, wird aber nie zum Zynismus und auch nicht zur Klage. Er ist nicht traurig, dass es manches nicht mehr gibt, weil es eben diese Zeit noch gibt, solange jemand darüber schreibt. Sein Büchlein ist daher erneut ein Archiv. Der historische Reiz in diesen räumlichen Erkundungen entsteht durch einen schönen Trick: Wagner hat seine älteren Stadtrundgänge aus heutiger Sicht kommentiert, er hat die Orte erneut besucht. Er macht damit etwas, das filmisch inzwischen mit Tilda Swinton verbunden ist. In Cynthia Beatts Filmen „Cycling the frame“ und „The invisible frame“ radelt die mit dem Fahrrad entlang der (ehemaligen) Berliner Mauer, einmal 1988 und dann wieder 2009 – diese beiden Filme sind viel zu wenig bekannt geworden! Ein solcher erneuter Besuch birgt, ob filmisch oder literarisch, das Risiko der Melancholie, aber Wagner hat neben seiner verblassenden Erinnerung immer auch seine Texte, in denen er nachlesen kann. Und ihm ist der verbreitete Gedächtnisirrtum fremd, früher sei alles besser gewesen. Das heißt nicht, dass er übermäßig Hoffnung hätte oder seine erneuten Besuche zu dem Resultat kämen, irgend etwas sei besser geworden. Es wird anders, das interessiert ihn, ob besser oder schlechter, diese Bewertung widerspricht der Haltung des postmodernen Flaneurs.

 

Es ist die reine Lesefreude, wenn Wagner von einem Ort erzählt, den er mit einem Blogger zusammen besucht, der schon während er unterwegs ist, live davon berichtet. Diese Ebene der Veränderung findet nicht nur im Raum, sondern auch im virtuellen Raum statt – „Die Ironie tanzt immer mit, daneben tanzt die Erleichterung, bis in die große Stadt und dazu auch noch, zum Glück, gerade an diesen Ort gefunden zu haben.“ Es hat sich in den letzten Jahren viel mehr verändert, als Architektur und Musik: heute ist alles Retro und damals war es second hand, damals las man und hing herum, heute schauen „sechs von sechzehn Gästen auf Notebooks; vier der sechs Notebooks sind MacBooks. Eine Person, es muss ein Snob sein, liest in einem echten Buch, einem Buch aus Papier“. Früher stand und saß man herum und sah den Szenemenschen ihre „Laufstegunsicherheit“ an, heute schauen alle auf ein Smartphone, egal wo, und wenn acht von zehn iPhones sind, weiß man, wo man ist; auch ohne GPS.

 

Mit dieser leichten Aufmerksamkeit, die sich nie in Abstraktion oder historische Belehrung flüchtet, geht David Wagner erneut über die Schönhauser Straße und die Friedrichstraße, isst Kuchen und trifft einen Minister, der sich als Kinokenner gibt, geht in die Staatsbibliothek oder in den Mauerpark. Der abschließende Essay ist eigens für den Band geschrieben, und dennoch fehlt nicht der Moment, in dem er zurück blickt. Die letzte Seite enthält eine Fußnote mit dem Hinweis „Wunder geschehen ...“, fatalistisch wird Wagner also nicht, nicht einmal im manchmal kalten und harten Berlin. Es ist zu hoffen, dass David Wagner neben den großartigen Romanen immer die Lust und Zeit bleibt, durch Berlin (oder andere Städte) zu streifen, ob mit oder ohne Kind, ob als journalistische Gelegenheitsarbeit oder als Recherche für einen Roman. Gute Literatur existiert nicht ohne regionale Verankerung – ob Norbert Scheuers Eifel oder Peter Kurzecks Frankfurt, wir sind in guten Romanen nie „irgendwo“; jede Metropole, aber auch jede Provinz hat ihre spezifische Literatur. Wer nicht weiß, wo er ist, schwebt nur über dem Boden. Wagner steht mit beiden Beinen in Berlin, sein neues Buch über die alte und neue Stadt macht große Lust ihm zu folgen – in Raum und Zeit. Ich werde das tun, mit öffentlichen Verkehrsmitteln und beginnen wird meine Lektüre dann erneut mit der „Netzspinne“, seinem Essay über das U-Bahn-Netz ... irgendwie muss ich ja da hinkommen, wo auch Wagner war. Und sein flanierender Blick lädt dazu ein, hinzuschauen und eigene Orte zu finden, die Erdung bringen. Ich werde vielleicht statt dem Smartphone eine alte Karte mitnehmen; im Band von Karl Schlögel heißt gleich ein ganzes Kapitel „Kartenlesen“ und vielleicht findet ich ein Antiquariat mit alten Karten oder Reiseführern, wie sie Uwe Johnson für seine Romane verwendet. Auch der schrieb schon über die „Netzspinne“, von der Mauer damals unterbrochen.

 

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Dr. Frank Berzbach, geb. 1971, unterrichtet Psychologie und Kulturpädagogik in Köln. Sein letztes Buch denkt über unsere Form Berzbachzu arbeiten und zu leben nach. „Die Kunst ein kreatives Leben zu führen“, Hermann Schmidt Verlag.

Mehr Gelesenes von Frank Berzbach gibt es in seinem Heilig/ Profan. Lesetagebuch.

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