Am 20. Februar liest David Pfeifer bei uns aus seinem neuen Roman Schlag weiter, Herz.
Frank Berzbach teilt mit uns seine Gedanken zum Buch:
"RING OF FIRE
David Pfeifers neuer Roman über Boxsport und Liebe
Von Frank Berzbach
Romane können sein wie gute Reportagen: Man bleibt einfach an ihnen kleben, selbst wenn das Thema zuerst einmal fremd schien. Ich habe keine natürliche Nähe zum Boxsport und auch nicht zu einer Buchreihe, die der Heyne Verlag „Hardcore“ getauft hat. Was will er uns damit bloß sagen? Aber schon die gelungene Gestaltung des Covers unterläuft mein Fremdeln und nach dem ersten Satz – „Der Tag trifft ihn wie ein Schlag.“ – wollte ich doch die folgenden 350 Seiten nicht mehr aus dem ring of fire des Protagonisten steigen. Der Held „liebte das Gefühl, durch die Seile zu steigen, wenn alles andere unwichtig wurde.“ – außer Nadja, die liebt der halbtürkische, in Deutschland geborene Mert und sie wird ihm nie unwichtig. Im Vordergrund steht die Liebesgeschichte eines Boxers, eine scheiternde Liebe, die immer ein Kampf bleibt. Von den 14 Jahren mit Nadja sind viele wunderbar, roh und leidenschaftlich. Sie ist mit dem Boxsport nur über ihren kämpfenden Bruder verbunden – Merts härtester Konkurrent –, sonst neigt sie eher zu Büchern und Buchläden; beides bleibt dem restlichen Romanpersonal völlig fremd. Doch Nadja ist fasziniert von der Männlichkeit und dem Kampfgeist, von der einfachen Direktheit und dem zwar hinter Muskeln gepanzerten, aber doch unverbildet vorhandenen Herzgeist. Intellektuelle sind feingeistig, aber eben auch kompliziert und eitel. Boxer sind stolz und stark. Der Protagonist hat viel Herz, liebt aufrichtig und doch führt seine Unfähigkeit im Umgang mit Gefühlen immer wieder dazu, dass er falsch abbiegt: in sporadische Gewaltausbrüche, wenn er argumentativ unterlegen ist; in Affären, wenn sich ihm ein heißer Arsch entgegenstreckt und schließlich in die Klischeewelt, die wir diesen Kerlen unterstellen. Vom Türsteher hin zum Aufpasser bis in die Unterwelt von smarten Drogendealern, die ja gern im Arbeitsalltag einen starken Mann neben sich wissen. Mert findet zwar wieder heraus und als Trainer ins Fitnessstudio, aber zu Nadja wird er im Laufe des Romans immer seltener finden – obwohl sie fraglos die Frau seines Lebens ist. Die Härte seiner Ersatzreligion – Boxen – kollidiert nicht einmal mit der Weichheit der „weiblichen“, leicht depressiven Leserin Nadja; sie berühren sich kaum, laufen oft aneinander vorbei. Ohne die Liebe erscheint Mert, wie Nadja es verbittert am Ende sieht: „Sie wurde zornig, fragte sich, warum sie mit ihm zusammenblieb. Mit diesem egozentrischen Gewaltmenschen. Mit einem Kind, dessen Zerstörungstrieb mit den Muskeln und der Potenz eines Erwachsenen ausgestattet war.“ Der Roman unternimmt den Versuch, diese Frage zu beantworten und er bringt uns bei, dass nur nachts alle Katzen grau sind. Wer seinen Klischeeblick auf Gewaltmenschen behalten will, der sollte anderes lesen.
Der Autor weiß, worüber er schreibt; er hat in Berlin den legendären Schach-Box-Club gegründet. Als ich das Buch in die Hand nehme, schaue ich zuerst auf das Autorenfoto. Wilhelm Genazino hat in einem schönen Essay einmal behauptet: Das Bild des Autors ist der Roman des Lesers. Und hier trifft genau das zu: Ein körperlicher Autor und im Hintergrund ein Box-Sack; fraglos weiß dieser Mann, wie sich harte Schläge gegen den Kopf anfühlen. Die immer wiederkehrenden, genau geschilderten Kämpfe ziehen einen tief hinein – seit Raging Bull von Martin Scorsese musste ich nicht so viel einstecken – aber zugleich wurde mir bei aller Brutalität auch klar, welche Eleganz und Differenziertheit dieser Wettkampf (ein passenderer Begriff als „Sport“) bietet. Merts Geschichte ist auch eine Bildungsgeschichte, nur leider bleibt der Ring sein Klassenzimmer; würde er die Eleganz, Kraft und Dynamik auch außerhalb aufbringen, die Sache mit Nadja hätte gut enden können. Der Roman enthält all die markigen Sprüche, mit denen Boxer sich resistent gegen den Schmerz machen. Es sind Parolen, die einem im Alltag ab und zu gegen Sentimentalitäten helfen könnten – nur fraglich, ob die Kampfmetaphorik noch Raum für Liebe lässt: „Wenn du nicht verlierst, kann der andere nicht gewinnen“ ... das reicht nicht für die Ehe.
Am Ende bleibt Mert zurück wie „ein Krieger in einer Welt, die für Krieger keine Verwendung mehr hatte.“ – und ihn ereilt damit literarisch ein Schicksal, das Iwan Turgenjew im 19. Jahrhundert für den Adel beschrieb: Er setzt sich zusammen aus Überflüssigem, und ihre Krise besteht in der Wahrnehmung dieser Tatsache. Warum eigentlich der permanente Kampfzustand? Mert ahnt es, zumindest behauptet das der allwissende Erzähler: „Doch je älter Mert wird, umso deutlicher spürt er, dass er andauernd gegen sich selbst antritt. Und wer gegen sich selbst kämpft, kann am Ende nur verlieren.“ Das trifft für jeden zu, aber der Roman suggeriert glaubhaft, dass man über Waffenwahl und Kampfstil einmal länger nachdenken sollte. Auch der Philosoph Karl Jaspers fand die Existenz gekennzeichnet von einem andauernden Kampf, ebenso kennt der Zen-Buddhismus diese Daseinsmetapher, aber es muss ein „liebender Kampf“ sein, damit er gewonnen werden kann. Mert hingegen betrachtet seine Gegner, also auch sich selbst, nur als „Beute, die sich wehrt“. Wieder ein Baustein in seiner Welt, die zu einfach aufgebaut ist und die an der Komplexität zerbricht. Gegen sie nützt kein soldatischer Kampf und kein Protest.
Der Roman ist regional verankert, meist befinden wir uns in Hamburg. Die Reisen des Boxclubs in den Osten halten wunderbare Schilderungen bereit – zum Teil das pure Leserglück. Wer hatte nicht schon mal die Fantasie, an der Tanke von Neonazis bedroht zu werden, aber eben einer zu sein, der mit 15 anderen Boxsportlern zusammen aus einem Bus ausgestiegen war. Die Archaik des Boxens erzeugt in Kombination der verschiedenen Gegner eine eigene Spannung. Man wird parteiisch und fiebert mit. Was Ian McEwan in „Saturday“ mit seinem legendären Squash-Match gelingt, gelingt Pfeifer in vielen Passagen im Ring. Und es ist heimlich doch auch ein Roman, der eine Nähe zum Schach entwickelt, obwohl das Spiel selbst nicht einmal vorkommt. Das ist verständlich, weil nach „Lushins Verteidigung“ von Nabokov kein halbwegs literaturaffiner Schreiber einen Schachroman schreiben will. Lushin verwechselt das Schachbrett mit dem Leben, und Mert verwechselt das Leben mit einem Ring ... und wundert sich, dass die Liebe K.O. geht, sobald der innere Ringrichter die Oberhand über sein real existierendes Leben gewinnt. Gefühle lassen sich nicht so einfach reduzieren wie das Körpergewicht.
Neben der zurückliegenden Handlung in Hamburg wechseln die Kapitel und wir folgen Mert durch die Gegenwart in Thailand. Er ist als gealterter Boxer dorthin geflüchtet und lebt von Showkämpfen und der Erinnerung an Nadja. Es zieht sich noch eine weitere Ebene durch den Roman: Der tiefe und differenzierte Einblick in die Familienbiographien verschiedener Boxer, die sich zwar von der Herkunft wenig unterscheiden, aber doch hoch individuell sind. Manche sind frühtalentierte Söhne von Boxtrainern, andere Spätberufene. Manche sind Migranten, andere aus ihrem Viertel seit Generationen niemals herausgekommen. Für alle beginnt der Zugang zum Leben erst, als sie in den Ring steigen. Hier wird es ernst, die Trainer und Gegner werden zu Ersatzvätern und konkurrierenden Freunden, die sich im Schmerz solidarisch verbunden wissen, ohne dazu noch über Gefühle reden zu müssen. Sieg und Niederlage sind eine klare Ordnung dieser männlichen Welt. Es sind Männer, die noch nie im Leben Urlaub gemacht haben, für die aus Hamburger Sicht schon München ein anderer Planet ist, von dem man möglichst schnell und unbeholfen wieder flüchtet. Diese Männer legen sich in der Kabine nach einem verlorenen Kampf ein Handtuch über den Kopf, damit keiner sieht, dass sie heulen. Mit Nadja begegnen wir einer Biografie, die sich aus diesem Milieu heraus entwickelt hat, sie hat studiert und liest Romane – und die Kosten sind eine völlige Fremdheit gegenüber dem brutalen Vater. Als dieser Stirbt ist sie erleichtert.
Etwas irritierend ist der Hang des Autors zum Product Placement; warum Nescafé und M&Ms immer wieder so benannt werden, warum es Yahoo sein muss und Nutella, das erschließt sich mir nicht. Es gibt Produkte mit Eigenbotschaft, aber diese hier wirken sie wie ein Werbekanal, während in Bezug auf die Boxklamotten selbst Markennamen fehlen – obwohl sie Kennern sicher etwas mitteilen könnten. Das sollte keinen vom Lesen des hervorragenden Buches abhalten. Es ist ein Roman über Liebesformen: zu Menschen, zu einer der letzten noch archaischen faustkämpferischen Kulturen; zu einer Großstadt, die Heimat ist; und in der Summe auch zum Schreiben und Lesen selbst. Der Roman ist nicht „hardcore“, wie es die Buchreihe verspricht, es geht nicht ums Draufhauen und Draufhalten. David Pfeifer lässt uns eintauchen in eine Welt leidender und kämpfender Männer, die meisten Romanleser werden sich dabei fühlen wie Ethnologen. In den Buchläden trifft man immer noch selten Boxer, es sei denn, sie kaufen Bücher übers Schachspielen. Umwege erhöhen die Ortskenntnis und ich konnte nach dem Beenden sofort mit dem Türsteher einer Kölner Bar sprechen. Es wunderte mich nicht: Klar hat er mal geboxt, er nannte sofort den Verein. Ein Buch über Boxen – klar – würde er auch mal versuchen zu lesen, sonst sei das nicht so seins. Noch etwas anderes schafft der Roman: Ich fühle mich ständig fett, untrainiert und schwach! Bei aller härte: Diese Jungs trainieren und achten auf die Ernährung, und Merts Tag beginnt mit 100 Liegestützen und 100 Situps. Ich möchte lieber nicht preisgeben, wie viele ich schaffe – eine Ehrenrettung wäre nicht drin. Beim nächsten Mal werde ich den Türsteher fragen, wie viele er schafft. Ich habe mehr Bücher, aber er wird stärker sein. Und ich muss dennoch an ihm vorbei.
Dr. Frank Berzbach hat einmal Eishockey gespielt und kennt blaue Flecken und brüllende Trainer, aber schon in der Jugend ist er zum Tischtennis gewechselt. Erst das Rennrad hat ihm später wieder beigebracht, was echte Schmerzen sind. Aber auch das steht seit Jahren im Keller. Sein neustes Buch über die „Kunst ein kreatives Leben zu führen“ ist im Hermann Schmidt Verlag erschienen und liegt nach 10 Monaten in der 4. Auflage vor. Er hätte Angst, in einen Boxring zu steigen und beherrscht nicht einmal Lushins Verteidigung. Gut, dass es Romane gibt."
Mehr Gelesenes von Frank Berzbach gibt es in seinem Heilig/ Profan. Lesetagebuch.