Widerstand ist zwecklos

Posted on: März 6th, 2014 by Ralf Diesel No Comments

Die Akimuden. Von Viktor Jerofejew

Russlands Invasion kommt von innen, die Toten übernehmen das Leben Moskaus. Aus dem Nichts (=Jenseits) durchdringen sie U-Bahnwände und gesellschaftliche Strukturen, die Lebenden begegnen ihnen mit Schrecken oder sehen sie als Erlöser. Des einen Vor-, des anderen Nachteil – wie bei jedem Systemwechsel. Der Botschafter eines nicht vorhandenen Landes nennt sich Akimud, er zieht die Fäden dieses einmaligen Komplotts, dessen Sinn sich nicht zu erschließen vermag. Absurd kommt es daher wie die realen Verhältnisse des Landes. Im Schlepptau die gesamte russische Geschichte, schickt Akimud seine Schergen voran, lässt Wohnungen und Ämter okkupieren, setzt die Agentin Fink an, erotisch zu intervenieren, „stirbt“ selber drei Mal, kehrt wieder. Sympathisanten begehen Selbstmord, wechseln die Seiten, um als Untote zu agieren. Ein Bankett der lebenden Leichen schließlich krönt die Umwälzung. Das System ist endgültig korrumpiert: Eine Leiche.
Der Zombie ist markiert durch eine einfache Umkehrung. Etwas Existentes ist im Tot nicht mehr existent. Nun wird aus dem Nicht-Existenten, einer Leiche, etwas Existentes. Darin liegt der ganze Kniff. Die Inszenierung einer Bedrohung, deren Sinn sich nicht zu erschließen vermag, kehrt sich in eine reale und andauernde, und somit hat man eine kreiert, die die gesamte Gesellschaft beschäftigt – und beschädigt. Der Terrorismus ist selbstgeschaffen. Er ist dann da und besetzt die Gesellschaft.
Soweit ganz simpel. Doch Jerofejew („Der gute Stalin“, 2004) zerschneidet die russische Gesellschafts- und Literaturgeschichte und setzt sie zu einer morbiden, ironischen, bald zynischen Collage zusammen, gespickt mit Anspielungen und stilistischen Finten. Aus alt mach neu, aus neu mach alt – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zirkulieren in Russland ineinander. Der reinste Horror.
Dieser genreunspezifische Roman ist voll von historischen und gegenwärtigen Gestalten, er lässt einem nicht selten das Hirn auseinanderbrechen. Aber keine Angst, es findet sich wieder zusammen. Ordentlich durchgerüttelt und ordentlich lebendig.

Nur Mut! Ein genialer Knochen Gegenwartsliteratur.

 

Die Akimuden

Viktor Jerofejew

Verlag Hanser Berlin

464 Seiten

24,90

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