Wes Andersons Bilderbuch

Posted on: April 3rd, 2014 by Frank Berzbach No Comments

Manche Romane sind eher Filme, aber in Zeiten des iconic turn sind manche Filme eben auch Bilderbücher und große Romanerzählung. Der neue Film von Wes Anderson, Grand Budapest Hotel, ist vieles zugleich: Stefan Zweig-Rezeption und rückwärts gewandte Utopie, geniale Bild- und Handlungsfolge, ein Schaulauf wundervoller Darsteller und der seltene Fall intellektuellen Hochgenusses bei zugleich großem Unterhaltungswert. Die Einstellungen sind so überfüllt mit guten Ideen, dass man im Kino laut „Stop!“ rufen möchte und den Film zurückspulen. Es will einem gar kein Film einfallen, der offensichtlich tragisch endet und einen dennoch so glücklich entlässt – ein guter Beleg dafür, dass der Plot bei guten Filmen und Romanen eben nur die Oberflächendimension ausmacht.

Es geht um eine Frau, die vor einem skurrilen Denkmal einen Roman liest; dann sehen wir den gealterten Schriftsteller des Buches, der sich daran erinnert, wie ihm eine Geschichte in einem verlassenen Hotel erzählt wurde. Die Erzählposition ist etwa die von Ecos Der Name der Rose: ein Novize erinnert sich an die Erlebnisse mit seinem Meister; nur ist der kein Mönch, sondern ein Concierge. Der Unterschied zwischen Klöstern und Grandhotels wird überschätzt, beides sind Heterotopien. Und auch sonst geht es postmodern zu, in der verspiegelten Geschichte. Der Film ist ein offenes Kunstwerk, obwohl wir ihm halbwegs chronologisch folgen können; er ist es allein auf der Bildebene. Wir folgen der Verfilmung der fiktiven Geschichte des Grand Budapest Hotels in einer fernen osteuropäischen Welt, die in den Farben Stefan Zweigs koloriert ist, eine „Welt der Sicherheit“, wie er sie nannte, und wir sehen mit Thomas Mann’scher Ironie den Verfall dieser Welt, ihre Zerstörung durch die Nazis. Die Traurigkeit dieses Verlaufes wird durch den Schwung endloser Bildideen zwar nicht unsichtbar gemacht, aber thesenhaft überdeckt: Die Gewalt kann die Tugenden von Stil, Anstand und Sinnesfreude zwar negieren, aber dennoch gilt für den Don-Quichote-haften Concierge Monsieur Gustave immer noch ungebrochen Dostojewskis Diktum, dass Schönheit die Welt rettet. Wer heute Die Welt von gestern von Stefan Zweig liest, der verfolgt den Irrtum des damals meist übersetztesten Autors der Welt, die ihm die spezifische deutsche Bildungstradition eingab: Die Politik ist nichts für schöne Geister, der Pragmatismus ist nichts für die gebildeten Stände, Stil und Anmut veredeln die Welt und verhindern die Barbarei. Hitler und seine Helfer zeigten, dass dagegen ein Kraut gewachsen ist, das der rohen Gewalt, der Unfähigkeit zu Feinsinn. Der Film feiert zwar die Nostalgie, aber die Szenen in denen das Böse auftaucht, ändern die gesamte Farbgebung. Der Protagonist bleibt höflich, aber an den Schergen prallt das ab. Dennoch stirbt die Hoffnung zuletzt: Könnten Anmut, guter Stil und kultivierte Sprache nicht doch Mittel sein gegen dieses Böse? Die Antwort stimmt traurig.

Der Film ist so umwerfend schön fotografiert, dass man sogleich Asserates großes Buch über die Manieren wieder lesen möchte – allein um anderen die Wünsche von den Augen abzulesen, wie der Concierge von Wes Anderson. Und die Novellen von Stefan Zweig sollten die Buchläden mal wieder ins Fenster stellen, zusammen mit den Romanen des späteren Meisters der k.u.k-Sehnsucht, Heimito von Doderer. Der Film ist ein Roman und es scheint, dass einige Autoren der Vergangenheit ihn in Texte gefasst haben.

Wes Anderson: The Grand Budapest Hotel. Seit 6. März in den deutschen Kinos

...und zum Weiterlesen:

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Fischer Taschenbuch, 512 Seiten, 11,95 €

Stefan Zweig: Ungeduld des Herzens. Fischer Taschenbuch, 464 Seiten, 9,95 €

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