Leo Perutz: Nachts unter der steinernen Brücke

Posted on: Februar 27th, 2014 by Fabian Thomas No Comments

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Leo Perutz ist einer der Autoren, die alle paar Jahre einmal wiederentdeckt werden und dann wieder in der Versenkung verschwinden.

Ende der achtziger Jahre legte Rowohlt im Taschenbuch seine Romane noch einmal auf, dann, etwa ab 2002, machte sich der Deutsche Taschenbuchverlag noch einmal um eine Wiederauflage verdient. Wenn man Glück hat, findet man in größeren Buchhandlungen eines der gelben Bändchen mit so seltsamen Titeln wie Wohin rollst du, Äpfelchen... oder St. Petri-Schnee. Bekannt ist er auch zumindest mittelbar über den nach ihm benannten Leo-Perutz-Preis, eine Auszeichnung für Kriminalromane mit Wien-Bezug.

Vergleichbar vielleicht mit B. Traven, war Leo Perutz, bevor er in Vergessenheit geriet, in den zwanziger und beginnenden dreißiger Jahren ein überaus erfolgreicher Schriftsteller. Seine Romane waren meist kurz, schnell geschrieben und bedienten sich beliebter historischer Stoffe wie der Eroberung Südamerikas durch die spanischen Conquistadores. Aber Perutz, 1882 in Prag geboren, von Beruf Versicherungsmathematiker und daher manchmal in einem Atemzug mit Franz Kafka genannt, konstruierte seine Romane so raffiniert und voller literarischer Kniffs, dass neben einer spannenden Handlung die Lektüre dieser Bücher auch immer ein intellektueller Hochgenuss ist.

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Blick auf das jüdische Prag um 1900

Nachts unter der steinernen Brücke, sein vorletzter Roman, der 1953 nach langer Pause, bedingt durch Perutz’ Exil in Palästina, in der Frankfurter Verlagsanstalt erschien, wurde kaum mehr gelesen oder besprochen. Zu stark scheint er mit der jüdisch geprägten, lebendigen Kulturszene der Vorkriegszeit verhaftet zu sein – und dem alten, jüdischen Prag, das schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durch die Zerstörung der uralten, verwinkelten und mittlerweile baufällig gewordenen Gassen, dem Untergang geweiht war, setzt dieser Roman tatsächlich ein unvergessliches Denkmal.

Es ist das 16. Jahrhundert, Kaiser Rudolf II. sitzt, von Alchimisten und Wunderheilern umgeben, auf seinem Thron in der Prager Burg, in der Judenstadt lenkt hingegen der reiche Kaufmann Mordechai Meisl die Geschicke. Eine schöne Frau, in die beide verliebt sind, wird zum Auslöser zahlreicher phantastischer Geschichten, die man wie Kurzgeschichten lesen kann, aber im Zusammenspiel eben auch als ein wunderbares Zeitbild, das Leo Perutz in einer Sprache entworfen hat, die unbeschreiblich schön ist, aber auch melancholisch stimmt. Man macht Bekanntschaft mit sprechenden Hunden, fahrenden Künstlern, dem Rabbi Löw und einem ehemaligen Hofnarren. Am Ende, im Epilog, beschreibt der Erzähler dieser Geschichten, man mag ihn mit Perutz identifizieren, wie er das letzte Mal die alte Judenstadt aufsucht, wo sein Hauslehrer ein winziges Kämmerlein bewohnt, und es treibt einem die Tränen in die Augen, wenn man diese letzte Beschreibung des alten Prag liest:

Aneinandergedrängte altersschwache Häuser, Häuser im letzten Stadium des Verfalls, mit Vor- und Zubauten, die die engen Gassen verstellten. Diese krummen und winkeligen Gassen, in deren Gewirr ich mich auf das hoffnungsloseste verlaufen konnte, wenn ich mich nicht vorsah. (…) Ja, ich kannte das alte Judenviertel.

Wenn manche Bücher, wie man das so oft dahersagt, tatsächlich so etwas wie Zeitkapseln für vergangene Zeiten sind – in Nachts unter der steinernen Brücke ist Leo Perutz ein Meisterstück von einer Zeitkapsel gelungen.

Nachts unter der steinernen Brücke

Leo Perutz

Deutscher Taschenbuch Verlag, 2002

9,90 €

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Fabian Thomas ist Herausgeber von The Daily Frown, dem Magazin für Musik, Literatur, Alltag. Im ocelot Blog stellt er in der Rubrik Classics einmal im Monat Lieblingsbücher und Wiederentdeckungen vor und beobachtet die Literaturszene der Hauptstadt. Außerdem ist er selbst Mitgründer des digitalen Verlags shelff, der im Dezember die ersten beiden E-Books veröffentlichte.

Bildnachweis © Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek

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