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„Gehirne von Kreativen haben eine erhöhte Anfälligkeit für Verzweiflung.“ (Aus: Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen)

Am 5. Juni stellt Frank Berzbach bei uns sein Buch über „Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen“ vor. Ein Gespräch mit dem Autor und seiner Verlegerin, Karin Schmidt-Friderichs, über Kreativwirtschaft, Teeschalen und Tätowierungen.

Lieber Frank, im Verlag Hermann Schmidt Mainz sind bis jetzt zwei Bücher von Dir erschienen, die sich mit dem kreativen Arbeiten auseinandersetzen: Kreativität aushalten – Psychologie für Designer und Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen – Anregung zu Achtsamkeit. Wie war der Weg vom ersten zum zweiten Buch, was hat sich verändert?

Das erste Buch ist ein praktisches Buch, welches auf den Ergebnissen der Arbeitspsychologie aufbaut. Ich wollte die gesicherten Erfahrungen vor allem für Menschen in der Kreativwirtschaft verständlich darstellen. Das zweite Buch nimmt das Thema aus einer tiefergehenden Perspektive in den Blick: Worum geht es, wenn Kreativität zur Lebensform wird? In „Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen“ beziehe ich mich daher neben psychologischen Quellen auf die spirituellen Erfahrungen und Praktiken der buddhistischen, christlichen und westlich-philosophischen Tradition. Es ist ein Buch über Lebens- und Arbeitskunst. Der Weg zwischen dem ersten und zweiten Buch ist bestimmt von meiner täglichen Erfahrung mit zen-buddhistischer Übungspraxis; die ist stark auf den Arbeitsalltag bezogen.

Liebe Frau Schmidt-Friderichs, im Vorwort von „Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen“ ist es schon angedeutet: Dieses Buch scheint auch für Sie etwas ganz besonderes gewesen zu sein. Können Sie noch einmal schildern, wie sich die Zusammenarbeit mit Frank Berzbach gestaltete und warum Sie jetzt eine Teeschale neben Ihrer Espressomaschine stehen haben?

Die Zusammenarbeit mit Frank Berzbach und Katrin Schacke, die man in diesem Zusammenhang nicht vergessen darf, war zum einen etwas ganz besonderes, weil beide einfach tolle Menschen sind, aber dieses Glück haben wir öfter. Was ich aber bei diesem Projekt besonders erwähnenswert und angenehm fand, war der Umgang mit der Zeit. Wir haben das Buch in Ruhe reifen lassen. Es gab erst mal keinen Terminplan und keinen vorangekündigten Erscheinungstermin. Wir haben das Thema Achtsamkeit also im Werden des Buches auch gelebt. Und das hat dem Buch – und auch mir gut getan. Im respektvollen Ping-Pong reisten Texte hin und her – und manchmal lag eine Teeprobe vom aktuellen Lieblingstee bei. Am Schluss eine schöne Teeschale, die mich seitdem daran erinnert, dass das Leben auch im Verlag nicht nur aus Espresso besteht!

Frank, ich kann mir vorstellen, dass beide Deiner Bücher, die ja auch kleine buchgestalterische Kunstwerke geworden sind, auf sehr viele Leserreaktionen gestoßen sind. Welches war die für Dich überraschendste?

Ich bekomme noch immer sehr viele Rückmeldungen zum Buch. Eine Modemacherin schrieb mir, sie hätte die ersten drei Jahre ihrer Selbständigkeit ohne „Kreativität aushalten“ nicht überstanden. Ein Agenturchef aus Stuttgart schrieb, er habe sich jetzt 15 Jahre überarbeitet und nun schließe er seine Agentur für drei Monate um mit meinen Büchern auf eine einsame Insel zu gehen. Mich überrascht immer wieder, wie sehr diese beiden Texte auf das Arbeiten und Leben heilsamen Einfluss nehmen können – und das motiviert mich!

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„Preise für das schnellste Beantworten einer E-Mail werden nicht vergeben.“ (Aus: Kreativität aushalten)

Bücher für Kreative: Dieses Motto beschreibt Ihre gesamte Verlagsarbeit sehr gut, Frau Schmidt-Friderichs. Wenn man Frank Berzbachs Bücher in den Händen hält, merkt man aber auch, dass es Bücher von Kreativen für Kreative sind. Ist das Ihr Modell für die Zukunft, wenn man beispielsweise an das Thema E-Books denkt?

Alle unsere Bücher sind von Kreativen für Kreative und immer versuchen wir, dabei Herz, Hirn und Hand zu erobern. Das ist bei „Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen“ in einem besonderen Maße gelungen, wenn man den vielen positiven Rückmeldungen (beinahe Liebeserklärungen oft übrigens) Glauben schenken darf. Wir versuchen, Bücher zu machen, die man lieber als Buch denn als E-Book lesen mag. Was nicht heißt, dass wir zum E-Book grundsätzlich „nein“ sagen. Aber „Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen“ kann – und will – ich mir als E-Book nicht vorstellen.

Noch eine abschließende Frage an Dich, Frank: Du bist ein großer Popmusikfan und beschäftigst Dich mit Körperschmuck und Tätowierungen: Gibt es schon ein neues Buchprojekt, an dem Du arbeitest, vielleicht in eine dieser Richtungen?

Popmusik, Tonträger, Tätowierungen, Kleidung, Kino und Videoclips sind ein spannender gestalterischer Zusammenhang – über den in letzter Zeit auch einiges erhellendes geschrieben wurde. Aber ich bleibe vorerst bei meinen beiden Blogs dosierte kurzzeitliebe und Songs & Stories, in denen ich mich nichtkommerziell diesen Themen widme. Über ein Buch dazu, also eine größere Form, habe ich bisher noch nicht nachgedacht, aber vielleicht bringt mich dieses Interview auf die Idee! In Bezug auf das Thema Kreativität arbeite ich zwar an einigen Ideen, aber noch nicht an einem weiteren Buch.

Vielen Dank für das Gespräch!

Lesung mit Frank Berzbach am 5. Juni 2014, 20:30 Uhr bei ocelot, not just another bookstore. Fotos: Hermann Schmidt Verlag Mainz/Natalie Mayroth.

Büchertipps für Draußenleser

Posted on: Mai 22nd, 2014 by Fabian Thomas No Comments

 

Jetzt, wo man sich wieder getrost mit einem Buch auf den Balkon oder in den Garten wagen kann, stellt sich die Frage: Was ist die beste Lektüre für draußen?

Zu dick oder schwer sollte das Buch schon einmal nicht sein, damit man es bequem in der einen Hand halten kann und die andere frei für einen Kaffee oder ein kühles Getränk ist. Ideale Kandidaten sind da aktuell Matthias Nawrats kurzer Roman Unternehmer, die Short-Story-Sammlung Zehnter Dezember von George Saunders oder Junge Verlierer von Emrah Serbes, dem aktuellen Star der jungen türkischen Literatur.

Wem der Frühling emotionale Karrussellfahrten beschert, der ist vielleicht mit einem Lyrikband gut beraten, etwa Clemens J. Setz' Vogelstraußtrompete, in der dieser herrlich skurril und melancholisch Bibi Blocksberg, Charles Darwin und Harry Houdini besingt.

Und auch wenn zwischen Frühjahrsputz, Brunch und Picknick nicht viel Zeit bleibt, ist der Frühling eine gute Gelegenheit, noch einmal zu einem der Klassiker zu greifen, die man schon immer einmal wieder lesen wollte: Wie wäre es da zum Beispiel mit John Steinbeck, dessen Romane gerade im englischen Original in schönen neuen Paperback-Ausgaben herausgebeben wurden?

Zum Schluss noch ein E-Book-Tipp: Bei Matthes & Seitz kann man gerade einen sehr kurzweiligen Essay des Philosophen Slavoj Žižek herunterladen, der sich mit den Zusammenhängen zwischen Christopher Nolans Batman-Verfilmungen und gesellschaftlichen Fragestellungen unserer Zeit beschäftigt.

Was sind eure Frühlings-Highlights? Schreibt uns einen Kommentar unter diesen Beitrag oder auf Facebook!

Fabian Thomas ist Herausgeber von The Daily Frown, dem Magazin für Musik, Literatur, Alltag. Im ocelot Blog beobachtet er die Literaturszene der Hauptstadt und stellt Classics einmal im Monat Lieblingsbücher und Wiederentdeckungen vor.

Katherine Dunn: Binewskis

Posted on: Mai 15th, 2014 by Ralf Diesel No Comments

 

Die Binewskis sind eine Familie. Eine Zirkusfamilie. Crystal Lil, die Mama; Al, der vergötterte entgeisterte Papa; Olympia, die etwas außen vor ist und die Geschichte erzählt; Arty, der Unartige; Elly und Iphy, die musischen Zwillingsschwestern, die sich nicht voneinander trennen können, auch wenn sie selten einer Meinung sind; und Chick, der niemandem etwas zuleide tun kann und dennoch Bewegung in die Sache bringt. Und wie in jeder Zirkusfamilie bringt jeder seine ganz speziellen Fähigkeiten ein in die Show. Manege frei für den Rand der Gesellschaft.

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© Joe Coleman - A Mother and Two Children

Denn Lil und Al haben ein Experiment. Das Überleben des ungewöhnlichen Wanderzirkus', in dem auch schon mal Hühnern der Kopf abgebissen wird, muss gesichert werden. Als der Großvater stirbt und Al die Urne mit der Asche seines Vaters als Kühlerfigur auf die Motorhaube ihres Autos montiert, steht das Familienunternehmen vor einer schwerwiegenden Entscheidung: aufgeben oder härter ran. Härter ran! Lil lässt sich von ihrem Mann Drogencocktails verschiedenster Mischung, die sie von einer Abhängigkeit in die nächste führen, und radioaktive Strahlen verpassen – während sie schwanger ist. Aus den Abhängigkeiten kommt sie heraus, sie weiß ja wofür sie es tut. Die nächste Generation ist vollendet deform. Eine Attraktion, einzigartig. Die Zwillingsschwestern teilen sich einen Körper, Arty ist der Aquaman, statt Armen hat er Flossen, Olympia ist ein verwachsener Albino-Gnom, und Chick schließlich ist normal, soll deshalb nach seiner Geburt ausgesetzt werden, wobei entdeckt wird, dass er mehr als normal ist, paranormal nämlich, er bewegt Objekte mit mentaler Kraft besser als mit seinen Händen. Die Misslungenen, die nicht lebensfähig waren, werden in Glas in einem Extrawaggon ausgestellt, eine Sonderattraktion, für die gesondert Eintritt verlangt wird.

Chick, der Kleinste, kann keiner Fliege etwas zuleide tun und isst vegetarisch, da aus Fleisch das tote Tier zu ihm spricht. Seine Fähigkeiten werden genutzt, um Geld aus Börsen zu entwenden und Spielkarten, Würfel und Roulette-Kugeln zu manipulieren. Einträglich, wenn auch nur vorübergehend. In Arty versammelt sich Böses, vor allem Neid. Sein Ehrgeiz treibt ihn an, seine Intelligenz hält ihn auf Trab. Rhetorisch auf höchster Höhe, doch kein Gespür für Liebe. Schon gar nicht für die Liebe, die ihm Olympia entgegenbringt, die Romantische, die Einzige, die nicht an der Show teilnimmt, aus Mangel an Talent. Ihr Talent liegt darin, die Binewskis als Geschichte zusammenzuhalten, auch oder vor allem nach dem Auseinanderbrechen der Familie. Elly ist die Pragmatische, Iphy die Mitfühlende, ein konfliktives Eins, das auch ohne großes Brimborium ein großes Echo im Publikum erweckt.
Dieses Echo hallt in Artys Eifer nach. Als Chick in der Welt angekommen ist, nimmt Arty sich die gesamte Familie zur Brust. Seine Flossen sind zu kurz, um sich zu berühren, mit seinem Verstand verlängert er seine Tätigkeiten in die Außenwelt, die der Normalen. Er begehrt auf gegen das geballte Unnormale seiner Familie. Seine Intriganz untergräbt die Einheit, die manipulierte Mikrogesellschaft aus Aussätzigen. Er zerstört den Traum einer Familie, eines Abenteuers.

THE TRIUMPH OF BURLESQUE IN THE AGE OF SODOM AND GOMORRAH

© Joe Coleman - The Triumph of Burlesque in the Age of Sodom and Gomorrah

Ist dies ein Abenteuerroman, ein Märchen, ein Sittengemälde, eine Familienchronik, gehört es zur Phantastik oder zu allgemeiner Literatur oder ist es ein Klassiker – Fragen, die sich nicht beantworten lassen. Der Roman ist äußerst konkret auf Handlung angelegt und ist auch nicht erstaunlich in seiner Erzählweise, wenn beispielsweise die Nachgeschichte vorweggenommen wird. Die realistische Darstellung des nicht Normalen spielt allerdings in Höhen, die durchaus als ultra-realistisch bezeichnet werden können. Das Deforme platzt geradezu aus der Erzählung heraus, bewegt sich zwischen Erstaunen und Schock. Es ist ernsthaft und spielerisch zugleich. Die selber deforme Erzählerin Olympia behandelt das Unnormale als Besonderheit, als Eigenart dessen, der dieses Un-Uniformierte trägt, als Auszeichnung. Mit ihr als Sprachrohr ist der Autorin ein großer Coup gelandet. Vor allem, da sie weder am Mitgefühl noch am Schock entlang arbeitet. Sie erzählt einfach eine Geschichte von Menschen, die etwas Außergewöhnliches auszeichnet und die damit in Konflikte geraten. Doch ist es nicht ganz so einfach, denn diese Konflikte greifen tief, sie greifen tief in den Leser. Wie die Figuren, so ist auch der Leser einzeln auf sich selber angewiesen.

Das Normale steht dem Unnormalen gegenüber. Moralisch sind beide Seiten. Die Eltern nehmen eigenmächtig Gott das Spiel aus der Hand, sie liefern ihre Kinder einem unaufhebbaren Schicksal aus und geben ihnen dafür ein beträchtliches Zuhause, das sich auf der anderen Seite kaum finden lässt. Dies bedeutet bei aller Brandmarkung Freiheit, welche auf der anderen Seite als Einschränkung, Ausbeutung und Geldmachen auf Teufel komm raus eingeschätzt wird. Die Normalen sind zum einen Einnahmequelle, „Al hegt das Publikum wie eine Horde Gänse …, aber er liebt sie, weil sie ihm seinen Lebensunterhalt sichern“. Sie sind die Begeisterten, solange es eine Show gibt, bei der sie ihren Voyeurismus oder ihre Neigungen ausleben können. Finden Begegnungen im Alltag statt, führt das zu Entsetzen, sogar zu einem Mordanschlag, bei dem mit den Binewskis das eigene Entsetzen eliminiert werden soll. Das birgt wiederum auf beiden Seiten Tragik. Der Anschlag misslingt, beide sind weiter dem Entsetzen ausgeliefert. Der Ausweg der Binewskis ist sowohl die Abschottung in einer räumlichen Nische außerhalb des normalen Alltagsgeschehens als auch die Inszenierung, von der sie leben.
Da ist Todd Brownings „Freaks“ nicht weit. Der Film, als fotografische Form, bildet etwas Tatsächliches ab. Das Medium macht ansichtig, bietet aber gleichzeitig einen Schutz, die mediale Oberfläche hält auf Abstand, verstärkt durch die filmische Inszenierung. Die Zirkusshow baut dasselbe Nähe-Distanz-Verhältnis auf. In der Literatur, so erstunken und erlogen sie auch ist, wird über die Vorstellungskraft eine Eigenbebilderung angestoßen, das Tatsächliche spielt sich im Inneren des Lesenden ab, dort treffen beide Welten tatsächlich aufeinander. Es sind die eigenen Bilder, die vor dem inneren Auge erstarren.
So bewegt und handlungsorientiert der Roman auch ist, die Vorstellungskraft wird arretiert, die Bilder bleiben stehen. Und sie bewegen sich nicht mehr fort. Die Vorstellungskraft in all ihrer Beweglichkeit generiert Bilder, an denen sie eine Fraktur erleidet.
Diese Fraktur entsteht am Knotenpunkt der schon angesprochen Themen: Geld machen, Ausbeutung, Konsum, Einschränkung und Freiheit. Es ist ein hochkapitalistischer Roman aus einem System, das diese Fraktur generiert, wenn nicht sogar notwendig macht. Das Unnormale ist eine Fraktur des Normalen. Die Schnittstellen, an denen sich das Unnormale mit dem Normalen verbindet, sind begrenzt, es passiert nur an den Rändern, dort, wo das Normale ausfranst und sich nach außen einem Anderen öffnet. Doch auch dort, am Rand, geben wir nur einen Teil unseres Normalen ab. Mit diesem Teil kann sich das Unnormale verbinden.
Und das muss man erstmal zulassen. Das hieße, sich der eigenen Fraktur zu öffnen. Harter Tobak, dieses Leben. Doch wieviel Leben das Leben birgt, dafür steht dieser Roman. Er hat etwas Vollendetes, wie ein Garten, erstanden aus einer Gesellschaft, der er jedoch nie entwächst. Diese Unmöglichkeit der Ent-Bindung, einer Abnabelung, ist tragisch. Es bleibt ein unsichtbarer Strang wie ein Spinnennetz um einen herum gewoben, nichts ist unabhängig, keiner kann entweichen.
Joe Colemans Gemälde entspringen einem solchen Garten der Vollendung. Das Normale ist Planierung von Leben, welches dessen Ränder durchbricht und die gesellschaftliche und kulturelle Grundsubstanz in sich trägt.
Die Eigenbebilderung wird im Lesen dieses Romans erzwungen. Wie der Aussätzige den Blicken und Meinungen, so ist der Lesende seiner Vorstellung ausgesetzt, wird in sie, in sein Inneres, sein eigenes Bild hineingepresst. An dieser Stelle ist das Lesen des Romans weit weg von einem Konsumieren. Man konsumiert höchstens sich selber, an einer äußersten Stelle, der Empfindsamkeit. Wie die Wege laufen, wenn der Finger auf die geöffnete Nervenbahn gelegt wird, wohin die elektrischen Ströme in einem laufen, dies hängt von jeder einzelnen Persönlichkeit ab.
Wie in keinem anderen Roman werden wir Teil des Romans, eines der Familienmitglieder, ein Binewski. Eine erhöhte Identifikation: nicht der Lesende identifiziert sich mit den Figuren und nimmt sie als Stellvertreter, sie identifizieren sich mit uns, wir sind ihre Stellvertreter. Wir sind plötzlich Spiegel für sie, wir sind die Geschichte. Das Leben wird gespiegelt.

Das vergisst man nicht.

Nach 17 Jahren Schreibarbeit 1989 das erste Mal vollständig veröffentlicht (Originaltitel: Geek Love), nun die erste Übersetzung ins Deutsche.

 

 

Binewskis. Verfall einer radioaktiven Familie

Katherine Dunn

Berlin Verlag

510 Seiten

22,99

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Carson McCullers: A Tree, a Rock, a Cloud

Posted on: Mai 8th, 2014 by Fabian Thomas No Comments

 

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Ein eher ungewohnter Blick: The Ballad of the Sad Café in Knallbunt (gefunden bei Strand Books)

Carson McCullers wurde 1917 in einer Kleinstadt in Georgia geboren, etwas mehr als fünfzig Jahre später starb sie in Upstate New York. Ein glückliches Leben war ihr kaum beschieden: Rheuma, Herz- und Kreislaufprobleme begleiteten sie, ein Schlaganfall führte zur halbseitigen Lähmung; ihr mittleres bis schweres Alkoholleiden war da auch alles andere als zuträglich.

Vielleicht sind deswegen, einem alten Künstlerklischee zufolge, in den Jahren nach ihrem Tod bei Carson McCullers stets das große Empathievermögen, die Vorliebe für Figuren am Rande der Gesellschaft und eine sensible Schilderung des Südstaaten-Mikrokosmos hervorgehoben worden. The Heart is a Lonely Hunter, der berühmte Debütroman, erschienen 1940, steht schon mit seinem mottohaften Titel sinnbildlich für die Themen, die Carson McCullers immer gerne zugeschrieben werden: Liebe, Einsamkeit, Bitterkeit, das passt doch nur zu gut ins rührselige Bild der sensiblen, vom Leben geprüften Autorin. Ähnlich wie bei Sylvia Plath oder Ingeborg Bachmann scheint es auch in diesem Fall unmöglich, einen klaren, unverstellten Blick auf die literarische Arbeit von Carson McCullers zu werfen. Ihre Bücher werden währenddessen regelmäßig als hübsche Klassikerausgaben neu aufgelegt, der Kanon scheint seinen Platz für sie gefunden zu haben.

Wer es trotzdem wagen möchte, Carson McCullers' literarisches Können jenseits von allen Autobiographismen und vorgefassten Klischees in einer packenden Liebesgeschichte zu erleben, dem sei die Kurzgeschichte „A Tree, A Rock, A Cloud“ ans, nun ja, Herz gelegt. Hier spielt Carson McCullers mit großer Raffinesse das Überraschungsmoment einer zufälligen Begegnung aus: Ein offenbar betrunkener Mann an der Bar beginnt völlig aus dem Blauen heraus ein tiefsinniges Gespräch mit einem Zeitungsjungen. Aber statt in Weinerlichkeit oder sinnloses Geplapper zu verfallen, führt er dem Jungen – und damit gleichsam dem Leser – seine herzzereißende Lebensgeschichte, die gleichzeitig eine Liebesgeschichte ist, vor Augen. Und die geht so durch Mark und Bein, dass man sich danach am liebsten zu dem Erzähler an die Bar setzen möchte: „Son, do you know how love should be begun? A tree. A rock. A cloud.“

Nachzulesen in den gesammelten Erzählungen von Carson McCullers, etwa der Ausgabe aus dem Diogenes Verlag, oder im englischen Original bei Penguin Classics.

 

Gesammelte Erzählungen

Carson McCullers

Diogenes Verlag, 2004

19,90 €

 

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Fabian Thomas ist Herausgeber von The Daily Frown, dem Magazin für Musik, Literatur, Alltag. Im ocelot Blog stellt er in der Rubrik Classics einmal im Monat Lieblingsbücher und Wiederentdeckungen vor.

Bilderspaziergang durch’s Ocelot – Folge 3

Posted on: April 23rd, 2014 by Annekathrin Walther No Comments

 

In der dritten und vorerst letzten Folge unserer Bilderspaziergänge durch den Laden unterhalten Frithjof und ich uns über Hip Hop. Schaut auch auf facebook vorbei - es gibt was zu gewinnen!

J DILLA the SpeciaLIST - Joseph "Joe Buck" Buckingham (2011)

J DILLA the SpeciaLIST - Joseph "Joe Buck" Buckingham (2011)


J Dilla-Won't Do from self aviary on Vimeo.


Madlib - Andreas Schiko (2007)

Madlib - Andreas Schiko (2007)


Madlib - Slim's Return from theghostfile on Vimeo.

Kool Savas - King of Rap - Andreas Schiko (1999)

Kool Savas - King of Rap - Andreas Schiko (1999)



Leipzig in Berlin: Die Tippgemeinschaft 2014

Posted on: April 15th, 2014 by Fabian Thomas No Comments

 

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„Von Arztsöhnen und gleichgeschalteten jungen Schreiber_innen, Häkchen über Nachnamen und braven entpolisierten Texten gab es in den vergangenen Wochen allerhand zu lesen“, informiert der Pressetext der aktuellen Tippgemeinschaft, der Jahresanthologie der Studierenden des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, kühl-reflektierend über die Debatte zur deutschen Gegenwartsliteratur, die, von Florian Kessler in der ZEIT angestoßen, weiterspielend an Maxim Biller und Dietmar Dath, um nur zwei weitere Beispiele zu nennen, das Frühjahrs-Lokalderby des Feuilletons schlechthin war.

Was macht man, wenn man währenddessen als junge Autorin oder junger Autor (oder jemand, der erst einmal so etwas werden will), an einem der Orte studiert, wo das, was man „deutsche Gegenwartsliteratur“ nennt, oder vielmehr das Schreiben von etwas, das vielleicht einmal „deutsche Gegenwartsliteratur“ sein könnte, gelehrt wird?

Man macht sich Gedanken. Denn soviel ist dem Pressetext zu entnehmen: Die Debatte stößt bei den Schreibschülern schon einmal nicht auf taube Ohren. Aber statt laut zu protestieren, wird ein angenehm leiser Ton angeschlagen: „Mit der jetzt erscheinenden Anthologie wird es keine einstimmige Gegenposition der Studierenden des DLL geben, denn ebenso wie die Texte sich in ihrer Ästhetik und Thematik unterscheiden, variieren auch die Haltungen zu den aufgeworfenen Fragen.“

Vier der Schreibschüler, die in der neuen Werkschau des DLL vertreten sind, werden am kommenden Donnerstag ihre Texte bei uns vorstellen. Hören wir, was sie uns zu sagen haben: Yevgenij Breyger, Christina Esther Hansen, Saskia Nitsche und Markus Sehl!

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Donnerstag, 17. April 2014, 20:30 Uhr, ocelot, not just another bookstore, Brunnenstraße 141. Eintritt: 5 €. Mehr Informationen zur Anthologie auf www.dll-tippgemeinschaft.de.

Fotos: Lara Rüter, privat, privat, Artur Krutsch

Auf ein Wort: Vorrückschau

Posted on: April 10th, 2014 by Ralf Diesel No Comments

 

Die Leipziger Buchmesse im Über-Blick

buchmesse

Zu vorgerückter Stunde lassen sich in der Presselounge Dinge in Erfahrung bringen, die man lieber nicht erfahren möchte. Darum ist es besser, sich dort rauszuhalten. Unerhörtes ist deshalb hier auch unerwähnt. Allein Begegnungen, die sind wichtig. Und genau das ist das Schöne an der Leipziger Buchmesse, man kann auf sich zukommen, quasi die Hallen an sich vorbeiwandern lassen, nur ab und zu die Hand ausstrecken, damit etwas unter den Augen verweile, oder das Wort richten und in dem ruhigen Fluss momenthaft ankern, mehr erfahren, Neues.

Wenn Leipzig sich zur Bühne umgestaltet, auf dem Messegelände wie über die gesamte Stadt verteilt mit dem Programm „Leipzig liest“, geht das literarische Familienleben in einem spazieren. Das muss an Leipzig liegen, nicht das Familiäre, sondern das In-Einem. Wo in Berlin das, was von außen kommt, nachgerade devoriert wird (für den Anderen kommt man selber auch von außen!), hat Leipzig eine wenig konsumierende Gangart.

Vor allem wird Zeit nicht konsumiert. Das Schiff Leipzig scheint unerhört unneurotisch – eine Reise ist nicht allein das Ziel, eine Reise ist eine Reise, ein Hier und ein Jetzt, und dabei ein Woanders-Sein. Das ist genau das Moment des Lesens, wie auch des Schreibens: Ganz Leipzig ist während der Buchmesse woanders, im Jetzt hinfort. Das Buch ist in Leipzig, und Leipzig ist im Buch.

Das Buch greift in den Leser, der Leser greift in das Buch. Und während des Lesens eine Zeit in einer Zeit. Von daher hier eine zeitlose Empfehlung, an und für sich und da nicht neu zu dieser Messe erschienen, „Stoner“ von John Williams, die Geschichte eines Unprätentiösen, dem die Literatur unvorhersehbar ins Leben griff, welches er nun, als Professor, der Literatur widmet. Die Literatur hat sein Leben aufgelesen. John Williams schreibt ein Leben, nicht einen Roman, William Stoner, der Protagonist, liest und wird gelesen. (Was er wohl dabei empfinden mag, wenn er gelesen wird?)

Auf der Messe viele Worte, gestapelt, aufgereiht, nachgeschoben, vorverlegt, aufgeschoben. Von daher noch eine andere Empfehlung, „Flut“ von Eric Drooker, eine Graphic Novel ohne Worte. Ein Protagonist stolpert in New York durch die Apokalypse seiner eigenen Bedürfnisse, eine Apokalypse sintflutet die Zivilisation. Buchstäblich ohne Worte wortgewaltig, bildgewaltig, und es sticht heraus, da es druckgewaltig ist, ein Schwarz, schwärzer als Schwarz, man ertrinkt drin. Diese Bilder sind zum 'Auslesen'.

Quasi abgesaugt wurden die Manga-Kostümierten, nicht wie früher das Gedränge verdichtend, tröpfeln sie nurmehr als konspirative Gestalten über das Messegelände, sammeln sich an ihrem eigenen Pool, einer eigenen Halle, mit eigenem Eintritt und eigenen Events. Gehen so viele Unkostümierte nicht hin, fühlen sich ohne Verkleidung wohl ertappt.
Alles andere über alle anderen und von allen anderen wurde schon gesagt. Denis Scheck trennte mehrfach das Gute vom Bösen, das Sofa ist immer noch blau, die Schweiz die Schweiz, ein Buchpreis ein herrliches Geschöpf. Geschichten werden gemacht.

Nun denn, auf die diesjährige blickend, mit dem Rücken voraus zur nächsten Leipziger.

Mit Ralf Diesel

 

 

Flut!

Eric Drooker

avant Verlag Berlin

192 Seiten

19,95

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Stoner

John Williams

dtv

348 Seiten

19,90

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Foto: Leipziger Messe GmbH / Tom Schulze

Wes Andersons Bilderbuch

Posted on: April 3rd, 2014 by Frank Berzbach No Comments

 

Manche Romane sind eher Filme, aber in Zeiten des iconic turn sind manche Filme eben auch Bilderbücher und große Romanerzählung. Der neue Film von Wes Anderson, Grand Budapest Hotel, ist vieles zugleich: Stefan Zweig-Rezeption und rückwärts gewandte Utopie, geniale Bild- und Handlungsfolge, ein Schaulauf wundervoller Darsteller und der seltene Fall intellektuellen Hochgenusses bei zugleich großem Unterhaltungswert. Die Einstellungen sind so überfüllt mit guten Ideen, dass man im Kino laut „Stop!“ rufen möchte und den Film zurückspulen. Es will einem gar kein Film einfallen, der offensichtlich tragisch endet und einen dennoch so glücklich entlässt – ein guter Beleg dafür, dass der Plot bei guten Filmen und Romanen eben nur die Oberflächendimension ausmacht.

Es geht um eine Frau, die vor einem skurrilen Denkmal einen Roman liest; dann sehen wir den gealterten Schriftsteller des Buches, der sich daran erinnert, wie ihm eine Geschichte in einem verlassenen Hotel erzählt wurde. Die Erzählposition ist etwa die von Ecos Der Name der Rose: ein Novize erinnert sich an die Erlebnisse mit seinem Meister; nur ist der kein Mönch, sondern ein Concierge. Der Unterschied zwischen Klöstern und Grandhotels wird überschätzt, beides sind Heterotopien. Und auch sonst geht es postmodern zu, in der verspiegelten Geschichte. Der Film ist ein offenes Kunstwerk, obwohl wir ihm halbwegs chronologisch folgen können; er ist es allein auf der Bildebene. Wir folgen der Verfilmung der fiktiven Geschichte des Grand Budapest Hotels in einer fernen osteuropäischen Welt, die in den Farben Stefan Zweigs koloriert ist, eine „Welt der Sicherheit“, wie er sie nannte, und wir sehen mit Thomas Mann’scher Ironie den Verfall dieser Welt, ihre Zerstörung durch die Nazis. Die Traurigkeit dieses Verlaufes wird durch den Schwung endloser Bildideen zwar nicht unsichtbar gemacht, aber thesenhaft überdeckt: Die Gewalt kann die Tugenden von Stil, Anstand und Sinnesfreude zwar negieren, aber dennoch gilt für den Don-Quichote-haften Concierge Monsieur Gustave immer noch ungebrochen Dostojewskis Diktum, dass Schönheit die Welt rettet. Wer heute Die Welt von gestern von Stefan Zweig liest, der verfolgt den Irrtum des damals meist übersetztesten Autors der Welt, die ihm die spezifische deutsche Bildungstradition eingab: Die Politik ist nichts für schöne Geister, der Pragmatismus ist nichts für die gebildeten Stände, Stil und Anmut veredeln die Welt und verhindern die Barbarei. Hitler und seine Helfer zeigten, dass dagegen ein Kraut gewachsen ist, das der rohen Gewalt, der Unfähigkeit zu Feinsinn. Der Film feiert zwar die Nostalgie, aber die Szenen in denen das Böse auftaucht, ändern die gesamte Farbgebung. Der Protagonist bleibt höflich, aber an den Schergen prallt das ab. Dennoch stirbt die Hoffnung zuletzt: Könnten Anmut, guter Stil und kultivierte Sprache nicht doch Mittel sein gegen dieses Böse? Die Antwort stimmt traurig.

Der Film ist so umwerfend schön fotografiert, dass man sogleich Asserates großes Buch über die Manieren wieder lesen möchte – allein um anderen die Wünsche von den Augen abzulesen, wie der Concierge von Wes Anderson. Und die Novellen von Stefan Zweig sollten die Buchläden mal wieder ins Fenster stellen, zusammen mit den Romanen des späteren Meisters der k.u.k-Sehnsucht, Heimito von Doderer. Der Film ist ein Roman und es scheint, dass einige Autoren der Vergangenheit ihn in Texte gefasst haben.

Wes Anderson: The Grand Budapest Hotel. Seit 6. März in den deutschen Kinos

...und zum Weiterlesen:

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Fischer Taschenbuch, 512 Seiten, 11,95 €

Stefan Zweig: Ungeduld des Herzens. Fischer Taschenbuch, 464 Seiten, 9,95 €

 

Ein Roman, der sich selber zum Thema hat.

4012_fernndez_sw_carchivo Zu Beginn einer Buchbesprechung steht zuweilen, zumeistenweilen, eine Inhaltsangabe, eine Beschreibung des Korpus'. Sucht man allerdings einen Korpus in Macedonios Roman, wird man sich vielleicht ein Bein abbeißen. Dieses fehlende Bein ist dann allerdings eines, das gerade durch sein Fehlen immer präsenter wird, selbst über den Tod hinaus. Wer sagt schon über einen Verstorbenen: „Er starb. Er hatte zwei Beine.“? Dieses Bein überlebt seine eigene Nichtexistenz, da es nicht ist, bleibt es. Nur was Korpus ist, stirbt. „Das Museum von Eternas Roman“ hangelt am Tod vorbei. Und das nicht ohne Grund: das Bewusstsein ist das Ziel.

Der Roman fußt auf Aufschiebung. Macedonio schrieb über Dekaden an ihm, kündigte ihn immer wieder an und versicherte damit dessen Vorhandensein, und er wurde erst posthum veröffentlicht. Mehr noch allerdings, da der Roman gut zur Hälfte aus Prologen besteht. Eine unausgesetzte Verzögerung, im Leben wie im Roman selber. Dieses Verzögern, das Pendeln des Geistes des Romans über einem Zwischenraum, bewirkt etwas, nämlich die Schaffung des Lesers. Er ist derjenige, der dem Roman seine Existenz gibt, insofern ist er ein „schreibender Leser“, die höchste Form. Er wird Teil des Kunstwerkes und somit selber Kunstfigur. Ihm steht genügend Zeit zur Verfügung, seinen Platz an diesem Ort, im Roman, zu suchen.
Macedonio legt dabei ironische Fallstricke aus. So werden Figuren vorgeschlagen, was den Leser den Roman präfigurieren lässt, einige finden jedoch keinen Einlass, werden quasi an der Tür abgewiesen, dürfen gerade mal anklopfen und spielen danach keinerlei Rolle. Der Leser kalkuliert durch, wird dann aber mit einer Nullstelle belassen, die weiterarbeitet. Dem Aufschieben, an dessen Ende das Zustandekommen stehen soll, folgt ein teilweises Aussetzen, mit dem umgekehrten Effekt, dem Nichtzustandekommen. Unvorhersehbarkeiten sind Konstituenten in Macedonios Denken, die „Erschütterung des Bewusstseins“ ist für ihn zwingend notwendig, öffnet und macht frei. Als (apokalyptischer) Vorreiter war er Ideal, Idol und bestimmend nicht allein für Julio Cortázar oder Jorge Luis Borges, der eng mit ihm befreundet war.
Nach Macedonios theoretischen Ausführungen in „Das Museum“ und anderen seiner Schriften baut eine Literatur, die Realität nachbildet, nichts als eine Illusion auf, wo sie davon ausgeht, keine eigene Wirklichkeit abzubilden. Sie ist dann keine Kunst. Damit diskutiert er natürlich die Moderne. Und stellt sie mit diesem Roman gleichsam aus. Selbstreferentialität beispielsweise wird bis zu dem Punkt getrieben, wo der Roman den Leser anspricht.

(Diese Besprechung zieht ein Bein nach, hier nun eine Inhaltsangabe: 'Der Roman', das ist der Name eines Landgutes, das 'Der Präsident', Metaphysiker und Hedonist, mit seiner Geliebten Eterna und weiteren ausgewählten Persönlichkeiten bewohnt. Es tauchen auf die Herzallerliebste, ihr Vater, Quasigenius, der Nicht-Existente-Kavalier. Sie wissen, dass sie gelesen werden und nur dadurch und nur hier existieren. Ihre Aufgabe ist im Buch, ist es, Buenos Aires auszukundschaften, ihre Erfahrungen auszuwerten und die Stadt letztendlich zu verbessern. Das scheitert schon in der Auswertung.)

Es ist alles gar nicht so kompliziert:
In diesem Roman steht, was in jedem Roman steht. Nein, man muss da präziser sein: In diesem Roman steht, was in allen Romanen steht, und zwar gleichzeitig. Dieser Roman ist alle Romane, alle, die gewesen sind, alle, die sind, und alle, die sein werden. Er war also schon immer, er ist jetzt, und er wird immer sein. Dieser Roman stellt nicht die Seinsfrage, er ist die Seinsfrage, die Seinsfrage an sich selber. Er ist also nicht ein Roman, sondern der Roman. Und er bündelt die Ewigkeit in sich. Von daher ist er der Ausgangspunkt und der Endpunkt, da es keinen Ausgang und kein Ende gibt. Von daher findet er keinen Anfang, da der Anfang das Ende mitbegreift, und er findet kein Ende, da dies eines Anfanges, den es nicht gibt, bedarf. Er ist das Aleph aus Borges' gleichnamiger Geschichte („der Ort, an dem, ohne sich zu verwirren, alle Orte des Orbis' sind, gesehen aus allen Winkeln“), er ist das Aleph des Romans und der Kunst. Er steckt in jedem Roman, so wie jeder Roman in ihm steckt. Daher müssen wir ihn nicht lesen, haben wir ihn doch schon gelesen, gleich mit unserem jeweilig ersten Roman und mit jedem weiteren nochmals und nochmals. Aber wir müssen ihn lesen, da wir ihn tatsächlich nie gelesen haben. Er ist in jedem Roman, aber wir haben ihn nie bemerkt. Der Roman an sich ist in jedem einzelnen Roman der Protagonist. Gleich der Erfindung von Macedonio: ein Protagonist, der nie in Erscheinung tritt, dennoch anwesend ist und alles bestimmt.

1967 erschienen, 15 Jahre nach Macedonios Tod, liegt hier die erste deutsche Übersetzung des „ersten guten Romans“ vor.


 
Das Museum von Eternas Roman

Macedonio Fernández

Übersetzt von Petra Strien-Bourmer
Mit einem Nachwort von Gerhard Poppenberg

Die Andere Bibliothek

421 Seiten

36,-

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Große Verlosung zum Indiebookday

Posted on: März 17th, 2014 by Fabian Thomas No Comments

 

Hurra! Der Indiebookday ist für alle Freunde des unabhängigen Lesens ein Fest, mindestens so groß wie Weihnachten und Ostern zusammen. Und um euch die Freude noch zu versüßen, haben wir ein paar Buchpakete für euch geschnürt, die garantiert jedes Indie-Herz höher schlagen lassen! Was ihr tun müsst, um eines davon zu ergattern, erfahrt ihr auf der ocelot Facebookseite. Viel Glück!

Paket 1: gestalten Verlag

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Der gestalten Verlag aus Berlin ist ein wahrer Spezialist für tolle Design- und Kunstbücher. Das hier abgebildete Buch Fully Booked: Ink On Paper, das die Digitalisierung sprichwörtlich auf den Kopf stellt, haben wir schon lange ins Herz geschlossen. Dazu gibt es ein exquisites Poster!

Paket 2: diaphanes

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diaphanes macht Literatur, Wissenschaft und seit neuestem auch Krimis – eine wahre Fundgrube für Kult-Fans. Ebenfalls kultig: Die TV-Serien-Begleitbände zu den Sopranos oder The Wire. Ihr könnt das komplette Paket mit schlappen elf Bänden gewinnen!

Paket 3: Jacoby & Stuart

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Einer der ausgesuchten Indie-Kinderbuchverlage ist das Verlagshaus Jacoby & Stuart aus Berlin. Aber nicht nur das: Neben Kinderbüchern werden auch Sach- und Kochbücher, Bildbände und Graphic Novels verlegt, mit einem besonderen Augenmerk auf tollen Illustrationen. Wir verlosen den wunderschön illustrierten Roman Zorgamazoo von Robert Paul Weston sowie Edgar Allan Poes Unheimliche Geschichten, illustriert von Benjamin Lacombe. Beide Bücher sind übrigens signiert!

Paket 4: Verlag Hermann Schmidt Mainz

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Vorbildliche Typografie aus Mainz liefert seit eh und je der Hermann Schmidt Verlag. Vom Handbuch bis zum großformatigen Prachtband machen diese Experten des gedruckten Buches (fast) alles möglich. Exklusiv für unsere Verlosung haben sie uns zwei Notizbücher im Design von Frank Berzbachs Kunst, ein kreatives Leben zu führen zur Verfügung gestellt!

Paket 5: binooki Verlag

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Türkische Literatur aus Berlin – dafür steht der von den beiden Schwestern Selma Wels und Inci Bürhaniye geführte binooki Verlag. Aus ihrem aktuellen Programm könnt ihr die Schmöker Junge Verlierer, Rendezvous auf dem Friedhof Feriköy und eine signierte Ausgabe von Die Verwandlung des Hector Berlioz gewinnen. Und dann am besten schon einmal sicherheitshalber eine Reise nach Istanbul buchen, wenn euch die Sehnsucht packt!

Paket 6: Verbrecher Verlag

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Im Programm des Verbrecher Verlags findet sich, anders als der Name vermuten lässt, nicht etwa Krimiware, sondern Gegenwartsliteratur jenseits des Mainstreams, Politik und Zeitgeschichte von Anarchismus bis zum Diskurspogo. filit, die kleine Reihe, die sich außergewöhnlichen Filmen widmet, ist schon elf Bände stark. Wir verlosen alle auf einmal: Ihr dürft euch auf Schmankerl wie einen Dialog zum deutschen Erotikkino freuen und mit Fantômas die Welt in Atem halten!

Paket 7: Berenberg Verlag

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Der Berenberg Verlag macht Bücher zur Zeitgeschichte ebenso wie Gedichtbände – gemein ist allen Exemplaren aus diesem Haus die sorgfältige Verarbeitung und geschmackvolle Präsentation der Titel, die man einfach in die Hand nehmen muss, und dann ist es meistens um einen geschehen. Bei uns gibt es ein Paket zu gewinnen, das jeden Bibliophiliac wunschlos glücklich macht: Der Dolomitenkrieg von Uwe Nettelbeck, Die Unerwünschten von Gian Carlo Fusco und Eine Abhandlung über Schweinebraten von Charles Lamb und Norbert Miller.

Mitmachen könnt ihr von Mittwoch, den 19.3.2014 bis Mittwoch, den 26.3.2014 auf unserer Facebookseite. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Viel Glück!