Studie: Börsennotierte Unternehmen skeptisch bei innovativen Instrumenten der Online-Finanzkommunikation
Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) und die Unternehmensberatung und Agentur NetFederation haben im September 2010 die Studie „Innovative Instrumente der Finanzkommunikation – Eine Umfrage unter börsennotierten Unternehmen“ durchgeführt. Per Online-Umfrage wurden die Investor Relations Abteilungen von 540 börsennotierten Gesellschaften des Prime und General Standard der Frankfurter Wertpapierbörse angeschrieben. Ein Fragebereich befasst sich mit der Bedeutung von Social Media in den IR-Abteilungen, wobei wiederholt Twitter, Facebook und IR-Blogs als Beispiele genannt werden. Dabei zeigt sich, dass deutsche Unternehmen für Social Media in den Investor Relations tendenziell mehr Nachteile als Nutzen sehen.
Die Studie stellt in meinen Augen ein unvoreingenommenes, valides und hochaktuelles Stimmungsbarometer zu diesem Thema dar. Die Erstellung von Benchmark-Studien zu unterschiedlichen Themen der Online-Kommunikation ist eine Kernkompetenz von NetFederation. Lediglich das Vorwort von Prof. Dr. Rüdiger von Rosen mutet etwas gestrig an, da „Social Media“ in Anführungszeichen gesetzt ist und mehr oder weniger als „Online-Trend“ dargestellt wird.
Rücklauf und Struktur der Unternehmen
Von den 540 Unternehmen haben 81 geantwortet. Eine Rücklaufquote von 15 Prozent ist bei knappem Zeitbudget der IR-Abteilungen sicherlich positiv zu beurteilen. Mit fast zwei Dritteln Antworten aus den 30 DAX-Gesellschaften ist die Untersuchung tendenziell von den größten Unternehmen geprägt.
Aktuelle Bedeutung von Online Investor Relations
Rund zwei Drittel der Unternehmen rechnen damit, dass die Online-IR gegenüber den klassischen „offline” IR-Instrumenten künftig an Bedeutung zunehmen wird. Insbesondere die befragten DAX-Unternehmen sind davon überzeugt.
Interessant ist die Angabe des Personalaufwandes, den die Unternehmen für die Pflege und Weiterentwicklung ihres Online IR Auftritts angeben. Zwei Drittel der Umfrageteilnehmer verwenden für die Website insgesamt weniger als acht Stunden, 30 Prozent acht bis zwanzig Stunden pro Woche. Kaum ein Unternehmen leistet sich einen Mitarbeiter, der Vollzeit ausschließlich mit Online-IR beschäftigt ist. Ich halte diese Information für sehr aussagekräftig und vermute, dass das Online Medium ohne Vollzeit zuständige und technisch versierte Spezialisten lediglich als einer unter vielen Kommunikationskanälen gesehen wird.
Rund 56 Prozent der Unternehmen nutzen die Möglichkeiten einer Online Erfolgsmessung (beispielsweise Logfile-Analysen) ihres Investor Relations-Internetauftritts. Rund 18 Prozent planen eine Erfolgsmessung. Über 25 Prozent der Unternehmen dagegen verfügen derzeit über keine Erfolgsmessung und planen auch nicht, diese zu implementieren. Ich finde beachtlich, dass ein Viertel der Unternehmen keine Analyse von Klickzahlen, Besuchern, Keywords usw. durchführen möchte. Diese aufschlussreichen Informationen könnten mit minimalem Aufwand ermittelt werden. Eine Reihe professioneller und kostenloser Analysetool stünde jedenfalls zu Verfügung (beispielsweise Piwik – Open source web analytics). Ohne jegliche Datengrundlage wird es schwer sein, die Online Investor Relations zu managen.
Verbreitung, Nutzen und Nachteile von Social Media in den Investor Relations
In einem erläuternden Teil mit gibt die Studie einen Überblick, welche Social Media Kanäle theoretisch wie für die Finanzmarktkommunikation genutzt werden könnten. Blogs werden darin aus IR-Perspektive beispielsweise für die Equity Story und Hintergrundinformationen aus dem Unternehmen empfohlen. Möglich sei auch die Berichterstattung zur Hauptversammlung oder die Veröffentlichung des Geschäftsberichts. Die Studie sieht Blogs auch für die Kommunikation im Krisenfall oder für die Aufklärung von Missverständnissen als adäquates Werkzeug. Mit einem Blog verfüge die IR-Abteilung zudem über einen „One to Many“-Kanal, in dem häufig wiederkehrende Fragen von Anlegern und Journalisten behandelt werden können.
Dies sind auch in meinen Augen einige der wichtigsten Möglichkeiten eines IR-Blogs. Blogs stellen in Social Media oft die „zentrale Schaltstelle“ dar, von der aus Informationen des Unternehmens in unterschiedlichste Kanäle verbreitet werden, auf der jedoch auch Inhalte, Fragen und Feedback aus dem Netz zusammenlaufen (Stichwort Social Media Newsroom). Der „One to Many –Kanal“ und die FAQ von Anlegern und Journalisten adressieren den Bereich der Wirtschaftlichkeit. Zur Wirtschaftlichkeit der Sozialen Medien für die Investor Relations hat Patrick Kiss 2009, wie ich finde sehr passend, geschrieben: „Die Kosten der Nutzung Sozialer Medien sind ähnlich zu den Kosten, die bei der Nutzung von E-Mail entstehen. Die Kosten-/Nutzenabwägung ist im Ergebnis sicher vergleichbar mit der Pflege einer Unternehmenswebsite: Je umfassender die gebotenen Informationen, desto weniger repetitive Telefonate oder E-Mail-Anfragen sind zu bewältigen.“
Im Bereich der Microblogs weist die Studie im Allgemeinen auf Twitter und im Speziellen auf für die Finanzkommunikation besonders wichtigen, dedizierten IR-Plattformen wie Stocktwits hin. Ein deutsches Pendant dazu wäre beispielsweise Sharewise. Hier tauschen (in erster Linie private) Anleger Informationen und Empfehlungen zu Unternehmensanteilen nach dem web 2.0 Gedanken untereinander aus.
RSS (Really Simple Syndication) wird häufig einfach als den Social Media zugehörend dargestellt (Beispiel). In der Studie dagegen wird der RSS-Feed korrekterweise nicht der Social Media zugeordnet. Er erleichtert lediglich das Abonnieren sowie automatische Verbreiten von Informationen.
Zielgruppen, Nutzen und Nachteile von Social Media
Die Unternehmen sehen vor allem Privatanleger und Journalisten als geeignete Zielgruppe für Social Media Aktivitäten. Nicht hingegen Institutionelle Anleger und Analysten. Die Studie fragt die Unternehmen explizit nach dem von ihnen gesehenen Nutzen von Social Media. Konkret schlägt sie, wie ich finde sehr durchdacht, folgenden Nutzen vor:
- Kostengünstige Informationsverbreitung
- Erkennen aktueller Stimmungen
- Ansprache jüngerer (potenzieller) Anleger
- Erschließen neuer Zielgruppen
- Spezifischer Zuschnitt des Informationsangebots
- Dialog in Echtzeit
- Bindung an das Unternehmen
- Erfolgsmessung
Wahrscheinlich werde ich diese unterschiedlichen Nutzendimensionen später in meine wissenschaftliche Arbeit einfließen lassen. Neben theoretischen Nutzenansätzen aus der wissenschaftlichen Literatur bieten sie vermutlich eine praxisnahe Sicht, da die NetFederation Erfahrung in verschiedenen Kundenprojekten angesammelt hat.
Die Ergebnisse zeigen eine insgesamt skeptische Einstellung der Umfrageteilnehmer zum Einsatz der meisten Social Media Funktionalitäten.
Es wird deutlich, dass die Umfrageteilnehmer die Funktion von Social Media nicht in erster Linie als Plattform des Dialogs, sondern eher als zusätzlichen Informationskanal ansehen. Ich denke, als solcher kann Social Media auch durchaus angewendet werden – jedoch sollte die Aktivität grundsätzlich nicht darauf beschränkt bleiben.
Dem Nutzen stehen die Risiken bzw. Nachteile der Social Media Nutzung aus Sicht der Unternehmen gegenüber. Hier gab die Befragung folgende Aspekte zur Auswahl:
- Öffentlichkeit des Dialogs
- Kontrollverlust
- Höhere Ansprüche der Zielgruppe
- Rechtliche Unsicherheiten
- Ressourcenaufwand
- Notwendigkeit der Aktualität
Am stärksten scheuen die Unternehmen dabei die notwendige Aktualisierung und Pflege entsprechender Aktivitäten und den damit verbundenen Ressourcenaufwand. Zudem empfinden viele die rechtlichen Unsicherheiten als großen Nachteil.
Für mein Empfinden antworten die Unternehmen hier eher operativ fokussiert sowie kurzsichtig und unterschätzen die wahre Herausforderung der Sozialen Medien. Diese liegen nach meiner Einschätzung eher im Kontrollverlust der Kommunikation und der revolutionären Öffentlichkeit des Dialogs als im Zeitaufwand, den es kostet das Twitter oder Facebook Profil zu aktualisieren.
Aktueller Entwicklungsstand der deutschen Unternehmen
Es ist bekannt, dass Unternehmen in Deutschland bei der Nutzung von Social Media in den Investor Relations hinter Unternehmen beispielsweise aus den USA, Kanada oder Australien liegen. Die Studie belegt meiner Meinung nach nun, dass sich die Unternehmen in eine sehr frühen Phase des „Going Social Media“ befinden, dem Zuhören: Mehr als die Hälfte monitoren Social Media die das eigene Unternehmen betreffen könnten.
Die fortgeschrittene Phase des Mitredens dagegen, haben erst wenige Unternehmen erreicht: Bislang stellen lediglich rund 11 Prozent der Umfrageteilnehmer ihren Mitarbeitern dazu notwendige Social-Media-Richtlinien zur Verfügung.
Vermutlich müssen die Unternehmen noch viel Praxiserfahrung sammeln, eher Social Media als relevanter Kommunikationskanal für die Investor Relations genutzt werden kann.