“VoRWEg” gehen mit Live-Tweets: Während der Hauptversammlung am 19. April 2012 führte das Team der RWE AG den Dialog mit den Aktionären zum ersten Mal aktiv auch auf Twitter (@RWE_AG). Auf einer speziell und erstmals für eine HV eingerichteten Twitterwall konnten alle anwesenden Aktionäre direkt vor Ort, aber auch alle abwesenden Aktieninhaber und an RWE Interessierte, Fragen stellen und Kritik äußern. Twitter-Nutzer konnten sich mit dem Hashtag #rwehv am öffentlichen Dialog beteiligen. An der HV teilnehmende Aktionäre ohne Twitter-Kenntnisse waren eingeladen, offline Tweets per Post-it „abzusenden“.
Stefan Balázs ist seit mehr als zehn Jahren Referent für Interne und Online Kommunikation bei der RWE AG und maßgeblich verantwortlich für diese Art der Nutzung von Twitter – eine kleine Revolution in der Dialogbereitschaft und Social-Media-Nutzung in der Finanzkommunikation. Im Interview erläutert er Hintergründe und Erfahrungen.

Online Zwitscherwand zur RWE Hauptversammlung 2012
Herr Balázs, die intensive und in dieser Form noch nicht dagewesene Einbindung von Twitter während einer Hauptversammlung kann durchaus als mutig bezeichnet werden. Was waren die Idee und das Konzept dahinter? Wie aufwändig waren Planung und Durchführung?
Auf den bisherigen Hauptversammlungen betreute das Online-Kommunikationsteam der RWE AG ein „Internet-Café“, dessen Zielsetzung war, den Besuchern unsere Web-Aktivitäten näherzubringen. Da RWE aber in den vergangenen Jahren verstärkt auch auf Social Media setzt, wollten wir diesem Thema den Vorgang einräumen und unsere Gäste neugierig machen, sie einbeziehen und aktiv teilhaben lassen. Der Erlebnischarakter war dabei ein zentrales Element, da die meisten Besucher unserer Hauptversammlung auf Grund ihrer Altersstruktur nicht der „Generation Internet“ zuzurechnen sind.
Außerdem verstärkt RWE seit Jahren seine Anstrengungen im Hinblick auf Transparenz und offenen Dialog mit allen Interessengruppen. Einen zusätzlichen Schwung erleben wir in dieser Hinsicht nochmals seit dem Start der deutschen Energiewende. Unsere RWE-Zwitscherwand schien uns konzeptionell ein probates Mittel dieses eigenen Anspruchs und die Fähigkeit zum offenen und breiten Dialog unter Beweis zu stellen. Nachdem das grundsätzliche Konzept stand, gingen Ausarbeitung und Umsetzung sehr zügig. Nach einer Woche war das Produkt „RWE Zwitscherwand“ einsatzfähig. Am Tag der Hauptversammlung gab es für das Team alle Hände voll zu tun, aber das war nicht anders als auf den Hauptversammlungen der Vorjahre.
Über einen speziellen Prozess haben Sie gewährleistet, dass nicht nur Tweets von Ihrem Account @rwehv, sondern auch Tweets an die @RWE_AG, Tweets dem Hashtag #rwehv und sogar „offline Tweets“, die Aktionäre vor Ort auf Post-its geschrieben hatten, auf einer zentralen Twitterwall zusammengefasst wurden. Außerdem mussten die Tweets vorher auf eventuellen Spam überprüft werden. Wie haben Sie das gemacht und wie viele Beiträge mussten Sie löschen?
Alle „Offline-Tweets“ wurden von engagierten Team-Kolleginnen abgetippt, in einem extra angelegten Twitter-Account erfasst und auf diese Weise Teil des Streams. Zwischen dem Eingang aller Meldungen und der Ausgabe auf der Twitterwall lag ein Redaktionstool, dass unsere Online-Agentur entwickelt hat. Es ist webbasiert, so dass ein „Redakteur“ – der „wall-jockey“ sozusagen – hätte überall sitzen können. In unserem Fall saß die Person im Pressezentrum, um bei kritischen Themen Rücksprache mit den Pressesprechern halten zu können. Das Tool sammelt alle in Frage kommenden Beiträge aus Twitter in einer Datenbank und der Redakteur klickt dann einen „grünen Knopf“ zum Veröffentlichen auf der Twitterwall oder einen „roten Knopf“, um den Beitrag von der Wall fernzuhalten – ganz einfach.
Insgesamt wurde über 550 Mal der „grüne Knopf“ gedrückt. Es wurden fast alle Offline-Tweets aus der Veranstaltungshalle (321 von 330) übernommen und lediglich zwei Beiträge von anderen Twitterern blockiert. Die Besucherbeiträge, die nicht übernommen wurden, waren unverständlich oder zusammenhangslos. Die zwei Beiträge aus anderen Twitter-Accounts hatten eindeutig politischen Parolen-Charakter und waren daher nicht Meinungsbeiträge, sondern reine Stimmungsmacherei. In der Auswertung haben wir festgestellt, dass wir diese zwei Tweets aber hätten zulassen können, denn sie wären leicht als Beiträge, die nichts mit dem laufenden Dialog zu tun hatten, zu identifizieren gewesen. Wir haben viele Meinungsbekundungen von Usern auf die Wall genommen, die nicht die Position des Konzerns wiedergaben. Genau das war ja Teil des offenen und transparenten Dialogs, den wir uns gewünscht hatten.

Workflow Chart zur HV-Twitterwall
Wie würden Sie die Beteiligung der Aktionäre und der Twitter-Community beschreiben? Um welche Themen und Inhalte hat sich der Dialog gedreht, was waren Haupt-Themenpunkte?
Mit rund 60% der Beiträge auf der Twitterwall waren die Aktionäre vor Ort sehr rege. Wir sind überzeugt, dass die Möglichkeit, auf der Veranstaltung direkt und öffentlich Feedback geben zu können, sehr gut ankam. Viele Gäste wünschten sich ein generelles Rauchverbot oder kritisierten die „Abgreifer-Mentalität“ anderer Besucher. Aber es gab auch Dank an den derzeitigen Vorstandsvorsitzenden Dr. Jürgen Großmann, der Ende Juni den Konzern verlässt, und Willkommensgrüße an den zukünftigen RWE-CEO Peter Terium. Und natürlich wünschten sich viele Aktionäre eine höhere Dividende.
Aus der Twitter Community hatten wir mit deutlich mehr Rückmeldungen und Beiträgen gerechnet. Einige Beiträge bezogen sich auf die Protestkundgebung vor der Versammlungshalle. Die größte Gruppe der externen Tweets betraf allerdings das Projekt „RWE-Zwitscherwand“. Man lobte die Idee, die Transparenz und den Einsatz des RWE-Twitterteams. Diese Anerkennung aus der Community hat uns natürlich gefreut. Wir meinen: mit dem Projekt sind wir als Konzern in Social Media „angekommen“.
Wie lautet das Fazit von Ihnen und Ihren Kollegen – welchen Unternehmen würden Sie Live-Twittern über Twitterwall auf Hauptversammlungen oder anderen Events empfehlen?
Prinzipiell können wir nach der Erfahrung, die wir gemacht haben, live twittern mit einer Twitterwall empfehlen. Offenheit und Dialog kommen bei allen Beteiligten sehr gut an und als Unternehmen wird man in der Social Media Welt gesehen und gehört. Wir empfehlen dabei grundsätzlich eine redaktionelle Betreuung. Weniger, um unliebsame Meinungen, die im Internet sowieso für jeden nachlesbar sind, fernzuhalten, sondern um das Kapern einer Twitterwall durch Spam auszuschließen.
Wir würden die „RWE Zwitscherwand“ jeder Zeit wieder einsetzen. Aktuell prüfen wir das für eine Reihe von geplanten Sponsoringveranstaltungen. Auf der nächsten Hauptversammlung werden wir bestimmt ebenfalls wieder eine Twitterwall haben. Doch um unsere Gäste vor Ort zu integrieren, werden wir eine neue, interessante Art der Interaktion nutzen, damit es spannend bleibt… Aber dazu mehr im nächsten Jahr.

Offline Twitterwall zur RWE Hauptversammlung 2012
_________________
Stefan Balázs, M.A., geboren 1968, studierte Publizistik, Politik und Soziologie an der FU Berlin, volontierte im Bereich Medienentwicklung der MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg und arbeitet seit 1999 als Referent für Interne und Online-Kommunikation bei der RWE AG, Essen. Zu seinem Arbeitsschwerpunkt Online-Kommunikation und Social Media veröffentlicht er regelmäßig Fachbeiträge und nimmt Lehraufträge wahr.
Tags: Hauptversammlung, HV, Investor Relations, RWE AG, Stefan Balázs, Twitter, Twitterwall