Friedrich Nietzsches Gedicht „Zarathustras Rundgesang“

FRIEDRICH NIETZSCHE

Zarathustras Rundgesang

Oh Mensch! Gib Acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief –,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –,
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

1883/84

 

Konnotation

Das Existenzgefühl eines Dichters in äußerster Steigerung auszusprechen, das innerste Wesen mit Worten zu zerreißen, mit suggestiven Formulierungen zu blenden und zu funkeln – das war die Domäne Friedrich Nietzsches (1844–1900). In seinem Werk tritt die Philosophie in die Dichtung über. Eine von Nietzsches lyrischen Rollenmasken ist der persische Gott Zarathustra, durch dessen Mund der Dichter seine Denkfiguren von der ewigen Wiederkunft oder der dionysischen Rauschbereitschaft ausspricht. So etwa in einem berühmten Gedicht aus dem vierten Teil von Nietzsches Opus Magnum Also sprach Zarathustra (1883–1885).
Das Pathos dieses lautmusikalischen Gedichts, das auch unter den Titeln „Das Nachtwandler-Lied“ und „Mitternachtslied“ in Nietzsche-Ausgaben verzeichnet ist, zielt auf den Gedanken einer Dauerhaftigkeit und Verstetigung der Lust bzw. des Dionysischen. „Tiefe“ und „Ewigkeit“ sind zentrale Topoi, die auch in anderen Zusammenhängen von Nietzsche hymnisch aufgerufen werden.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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