DAS SCHACHSPIEL
Dogmatische Aussage, das Schachspiel betreffend:
Motiv für eine Reihe von Bildern
Rote Springer, braune Läufer, helle Damen,
Setzen aufs Brett in farbkräftigen Ls,
Laden aus, stoßen im Zickzack zu
aaaaaaaaaaaahalten einfarbige Fronten.
Dies Brett ist geflammt mit Licht;
aaaaaaaaaaaadie Figuren leben aus ihrer Satzung,
Ihre Züge sprengen und bilden aufs neu das Gewirk:
aaaaaaaaaaaaleuchtend Grün von den Türmen,
Durchkreuzt vom X-Zug der Damen,
aaaaaaaaaaaagekettelt in Rösselsprüngen.
Y-Bauern dämmen und brechen auf!
Wirtel! Zentripetal! Matt! König fällt in den Wirbel,
Ringen, verschränkte Kettfäden, grelle Bänder, gestrafft,
Blockiertes Licht drängt ein. Ausweg. Erneutes Treffen.
Ezra Pound widmete etwa ein Fünftel seiner Arbeitszeit der eigenen Dichtung und mit diesen zwanzig Prozent seines Energieaufwandes schreibt er einen hohen, einen bemerkenswerten Anteil der großen Dichtung, die je von einem lebenden oder toten Amerikaner geschrieben worden ist… Die übrige Zeit bemüht er sich darum, das materielle wie das künstlerische Los seiner Freunde zu bessern. Werden sie angegriffen, so verteidigt er sie. Er bringt sie in Zeitschriften unter und holt sie aus dem Kittchen. Er leiht ihnen Geld. Er verkauft ihre Bilder. Er veranstaltet Konzerte für sie. Er verfaßt Artikel über sie. Er macht sie mit reichen Frauen bekannt. Er bringt Verleger dazu, ihre Bücher anzunehmen… Er schießt ihnen die Krankenhauskosten vor oder redet ihnen den Selbstmord aus. Und am Ende verzichten ein paar wenige von ihnen darauf, ihm bei der erstbesten Gelegenheit ein Messer in den Rücken zu stoßen.
Ernest Hemingway, 1925
Ezra Pound, ein Mensch, der sich mit seinen fatalen Radiosendungen im 2. Weltkrieg unmöglich gemacht hat, dessen bahnbrechende Kunst aber unmöglich ignoriert werden kann, da sie – in alle Weltsprachen übersetzt – mächtig weiterwirkt. Seine kleineren Gedichte sind witzig, wütend und formklug, seine Cantos überrreich an Form und Inhalt und manchmal so komplex, daß sie sich erst in Eva Hesses kaum zu überbietender Nachdichtung erschließen. Pound – immer wieder angegriffen, immer wieder gefeiert, immer wieder mythisiert – ist zweifellos einer der bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts.
MärkischerVerlag Wilhlemshorst, 2008
Turmsegler: Die Frau des Flusshändlers
Turmsegler, 16.6.2008
An einem Herbsttag des Jahres 1916, als wir über Wimbledon Common spazierengingen, erklärte mir Ezra Pound den Stand der englischen Literatur und bildenden Kunst von damals; zweifellos ein lehrreicher, umfassender Bericht, eine Art Betrachtung aus der Vogelschau für eine Landpomeranze, die gerade in der Hauptstadt eingetroffen war. Obwohl wir schon seit längerem miteinander korrespondiert hatten, bekam ich ihn doch damals zum erstenmal zu Gesicht.
Anfangs redete Pound ausschließlich über T.E. Hulme [1883–1917], und wieso dessen Gedichte im Anhang zu seinem eigenen Gedichtband Ripostes mitabgedruckt worden waren. Obwohl vieles von dem, was er da wohl gesagt haben mag, in Glenn Hughes’ Imagism and the Imagistes später festgehalten und nachlesbar geworden ist, habe ich für meine Person ehrlich zu bekennen, daß ich damals von seinen Mitteilungen praktisch kein Wort mitbekommen habe – höchstens ein paar Namen aus einem sicherlich unschätzbaren und höchst persönlichen Vortrag von augenfälliger Dramatik. Überdies pfiff der Wind uns um die Ohren und riß Pound die kaum gesprochenen Worte von den Lippen; weg waren sie, irgendwo im Weiten. Ja, nicht genug damit: Pound spricht alles anders aus als der normale Mensch: die Basis ist wohl amerikanisch, doch spaßeshalber durchsetzt von verwegenen Kreuzungen aus „high society“-Redensarten und deftigem Cockney, garniert mit französischen, spanischen und griechischen Ausrufen, seltsamen Urlauten, sonderbarem Gewieher, das Ganze durch theatralische Pausen und Diminuendos höchst eigenartig moduliert. Man braucht Zeit, um sich daran zu gewöhnen, umso mehr als Pounds sprunghafter Geist seine Rede – ebenso wie seine Schriften – mit Untertönen und Anspielungen spickt. Ich begriff von dem, was er mir da sagte, so wenig, daß er genauso gut einen Hund hätte spazierenführen können; außerdem war ich viel zu aufgeregt – schließlich schritt ich ja neben dem leibhaftigen Geist der Auflehnung einher! Und dennoch war das alles für Pound so bezeichnend, so typisch für seine warmherzige Art, sein Bestreben, sich mitzuteilen und zu belehren, falls nur irgend etwas davon auf dankbaren Boden fiele.
Zu jener Zeit stand sein Name in England, zusammen mit dem des Bildhauers Jacob Epstein, für alles, was bedenklich anders und entsetzlich neu war. Noch hatte sich der Ragtime kaum zum Jazz entwickelt, noch wurden die Röcke erst ganz allmählich ein wenig kürzer. Die Allgemeinheit hatte nur verschwommen etwas über Futurismus, Kubismus, Imagismus und Vortizismus raunen hören, die sie mehr oder weniger für dasselbe, jedenfalls aber für nicht ganz geheuer hielt. Indessen ein paar ehrgeizige junge Leute gab es doch schon, die mit Schwung ihren Maeterlinck und Kipling in die Ecke gefeuert hatten und mit jenem schönen, ahnungslosen Enthusiasmus, der die jüngere Generation immer so liebenswert macht, hatten alle ihre kleinen Segel gesetzt für den neuen großen Wind, der da wohl aufkam. Man war einfach der Meinung: etwas Erregendes lag in der Luft, etwas, das die Jungen anging. Pounds Gedichte, in den Massenblättern dem Gelächter preisgegeben, hatten ihm gleich einen Anhang gewonnen. Um nicht den Eindruck der nachträglichen Übertreibung zu erwecken, zögere ich, davon zu sprechen, was die Dichtung von Pound und seinen Weggefährten seinerzeit für die rebellische Minderheit bedeutete. Fest steht, daß zwei- oder dreitausend junge Leute zwischen siebzehn und fünfundzwanzig sofort daran gingen, Gedichte in der gleichen Manier und im gleichen Tonfall zu schreiben, allerdings oft mit kläglichen Resultaten. Und daß man es dann im Endeffekt – in der Prosa weit mehr als in der Lyrik – tatsächlich vermied, „sieben Wörter“ zu nehmen, „wo drei genügten“, ist denkwürdig genug; Pounds Einfluß auf ein Dutzend Schriftsteller aber, die heute in der englischen und amerikanischen Literatur eine Vorrangstellung haben, ist überhaupt nicht wegzudenken. Sein Einfluß machte sich geltend im weitreichendsten Sinn sowohl wie in der unmittelbaren Anregung. Seit dem „zersetzenden Einfluß“ von Leigh Hunts „Cockney-Dichtung“ hatte es etwas Derartiges nicht mehr gegeben.
Pound spielte damals eine ganz eigenartige Rolle, was zum Teil daran lag, daß seine heißblütige Natur ihn von Anfang an – ebenso wie Leigh Hunt – zum Lehrer und Künder bestimmte, und andererseits daran, daß er als Amerikaner an den militärischen Aktionen von damals nicht teilzunehmen brauchte.
Heutzutage scheint die Ansicht zu herrschen, daß von 1914 bis 1918 kein Mensch in England Interesse an etwas anderem gehabt haben könnte, als Kriegsmaterial herzustellen, verwundete Soldaten zu unterhalten, belgische Flüchtlinge im Wohnzimmer kampieren zu lassen oder an der Front zu kämpfen. In Wirklichkeit empfand die vom Krieg am direktesten betroffene Generation das martialische Geschehen gar nicht als so welterschütternd. Junge Männer wurden in Uniform gesteckt und kamen an die Front; junge Frauen erhielten bessere Löhne; und dennoch war der Krieg niemals das ganze Leben. Er war viel eher eine grassierende Plage für die andere verantwortlich waren, etwas, das nun die junge Generation ausbaden mußte. Die Liste der Gefallenen in den Zeitungen bot die einzig zuverlässige und daher einzig interessante Information über das, was „drüben“ vorging. Sechzigtausend englische Freiwillige fielen, tot oder verwundet, an einem einzigen Tag, was publizistisch als großer Geländegewinn gewertet wurde – freilich, wir wußten wohl, was da wirklich passiert war, aber wir wollten es nicht sehen. Und die Gewohnheit half uns dabei. Die Männer, die überlebten und auf Urlaub nach Hause kamen, fragten in allererster Linie nach dem, was sie auch in normalen Zeiten interessiert hätte. Henri Gaudier-Brzeska [1891-1915] meißelte an seinen Statuen; Siegfried Sassoon und die anderen schrieben noch in den Schützengräben ihre Gedichte. Und erst als alles vorbei war, wurde uns der Krieg bewußt, erst dann wurde er von den Überlebenden in seinem ganzen unheilvollen Ausmaß und Widersinn erkannt.
Die Moderne in der englischen bildenden Kunst und Dichtung, von Pound und seinen Gefährten verkörpert, zu der die Kriegsgeneration naturgemäß das Ihre beisteuerte, war schon vor dem Krieg angebrochen. Bereits 1912 befand sie sich in vollem Gang. Der Krieg tötete einige der Begabtesten wie Gaudier-Brzeska und Hulme und verbitterte andere wie Richard Aldington und Robert Graves. Aber der Krieg war nicht die Geburtsstunde des Neuen, sondern beschleunigte nur, was da kommen wollte. Als der Krieg ausbrach, hatte James Joyce bereits das Jugendbildnis geschrieben oder war doch gerade dabei, es zu beenden. Ford Madox Hueffer, der sich später Ford Madox Ford nannte [1873–1939], hatte D.H. Lawrence bereits in der English Review abgedruckt. Harriet Monroe hatte die Seiten ihrer Zeitschrift Poetry bereits den Rebellen der Dichtung zur Verfügung gestellt. Wyndham Lewis hatte Tarr geschrieben und die fuchsinrote Zeitschrift Blast hatte mit ihren Manifesten und postkubistischen Illustrationen wie eine Bombe in den Salons eingeschlagen. Und Freud – gleicher Aufbruch auf ganz anderem Gebiet – hatte seine Vorlesungen in den Vereinigten Staaten bereits gehalten. Es ist vielleicht notwendig, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, bevor man behauptet, daß es 1916 Menschen gab, für die der Name „Ezra Pound“ mehr bedeutete als der Name „Joffre“. Die Überzeugung, daß Kriege kommen und gehen, Kulturen aber sich der Nachwelt eher kraft ihrer künstlerischen Leistungen als durch militärische Aktionen einprägen, war damals noch durchaus möglich. Ganz gewiß hat Pound selber dies niemals vergessen und wacker dazu beigetragen, daß sich die anderen dessen ebenfalls bewußt blieben.
Es ist kaum je zur Genüge anerkannt worden, welch schwere und wichtige Arbeit Pound zu jener Zeit für das Fortleben der Literatur geleistet hat. Es gab zahllose Aspekte dieses Wirkens. Als literarischer Berater des Egoist und als Londoner Redakteur von Poetry – später auch von The Little Review – durchkämmte er ständig die unbekannten kleinen Zeitschriften und spürte neue, noch unveröffentlichte Manuskripte auf. Es war für ihn etwas Selbstverständliches, junge Schriftsteller zu ermutigen und zu lancieren, als ob er – dabei selber ganz mittellos einer jener Kunstmäzene sei, von denen Lord Chesterfield sprach, als er seine Zeitgenossen daran erinnerte, es sei das „Privilieg der Privilegierten, den Besitzer von Geist zu fördern“. Nur der Briefträger mag wissen, wie viele Tonnen Manuskriptseiten sich in die winzige Wohnung hinter der Kirche von Kensington ergossen. Pound las sie nicht nur gewissenhaft, sondern wenn sich irgendwo auch nur der kleinste Ansatz einer Begabung abzeichnete, nahm er Stellung und kritisierte in explosiven, seitenlangen Briefen, verbesserte das Manuskript mit seinem Blaustift, erhielt es später korrigiert zurück und nötigte es, wenn es gut war, den nicht immer willigen Verlegern auf. Abgesehen von den Autoren, die auf dem Weg über die Post zu ihm fanden, gab es werdende Künstler, Bildhauer und Musiker, die zu unterstützen waren. Man mußte Gönner für sie finden, billige Zimmer, Freunde, eine Mahlzeit, geistige Anregung und eine ästhetische Erziehung; man mußte sie beglücken, indem man sie in ein Restaurant setzte, wo der Schatten der Großen – Yeats oder Arthur Symons – sie möglicherweise fruchtbringend berührte, oder man mußte sie mit dieser oder jener Anekdote, dieser oder jener noch nicht druckfähigen literarischen Lästerung, die nicht in Vergessenheit geraten durfte, traktieren.
Zudem mußten die Freiheit verteidigt, Ungerechtigkeit und Muckertum bekämpft, und das Recht gewahrt werden – auch hier wieder das Leigh Hunt-Motiv. Dann mußte nach Pounds Überzeugung etwas geschehen, um möglichst die mißlichen Zustände abzustellen, die zum Beispiel zum Verbot von D.H. Lawrences The Rainbow, zur Weigerung der Drucker, James Joycens Roman zu setzen, und zum Einsatz jungfräulicher Mädchen für das Ausschwärzen gewisser Zeilen in Blast führten. „Etwas muß geschehen“, sagte er damals, „oder wir alle werden verboten sein, nach Art der Gegenreformation, tot und abgetan.“ Also mußten Hunderte von Briefen geschrieben werden, um einflußreiche Leute mobil zu machen.
Weitere Hunderte von Briefen mußten versandt werden, um den Leuten klarzumachen, wie unklug es von ihnen wäre, sich T.S. Eliots Prufrock und Joyces Jugendbildnis nicht zu kaufen, und das zu einer Zeit, da weder Eliot noch Joyce über eine größere Anhängerschaft verfügten. Und Gaudier-Brzeska, auch für ihn mußte etwas getan werden. Da war der Krieg zu weit gegangen und hatte dieses junge Genie den Lebenden entrissen. Diese Werke mußten erhalten bleiben: es galt, einen vorausschauenden Sammler zu finden, der einen Teil davon übernahm, um die übrigen mußte man sich selber kümmern. Ein anderer, ein junger Dichter, war als Kriegsdienstverweigerer soeben aus dem Gefängnis entlassen worden, mehr tot als lebendig nach einem Hungerstreik: irgendwie mußte ihm klargemacht werden, daß er nicht nur ein Verweigerer war, sondern ein Rebell für etwas Reales, daß die Zivilisation mehr war als ein Chaos. In Triest saß Joyce, von Erblindung bedroht – war für ihn etwas unternommen worden? Nun erst sah man, wie weit der Krieg reichte. Dutzende von jungen Künstlern und Schriftstellern, die für die Zukunft Bedeutung hatten, waren stündlich in Lebensgefahr. Was war zu tun? Wer kannte den Premierminister oder hatte Beziehungen zu dem einen oder anderen Kabinettsmitglied, wer konnte Lady Cunard dazu bringen, mit jemandem in dieser Sache zu sprechen? Irgendwie geriet der Apparat in Bewegung, und Anfang 1918 war eine ganze Anzahl der vielversprechenden jungen Männer von der Front nach England zurückgeholt worden.
Bei all dieser Geschäftigkeit mußte Pound auch noch an seine eigene Arbeit denken und sich selber über Wasser halten. So übersetzte er damals nebenher das Libretto einer Oper (vielleicht waren es auch mehrere), während er zugleich hingebungsvoll die chinesischen Gedichte und japanischen Dramen nach den Notizen Fenollosas rekonstruierte. Kein Mensch konnte rühriger und heiterer sein. Er begann seine Briefe nach chinesischer Art zu unterzeichnen, mit einem Siegel, das Edmond Dulac für ihn geschnitten hatte; vom Zubereiten des Essens (eine der Künste, die er zur Vollkommenheit beherrscht) wandte er sich in seinem wallenden, abgetragenen Morgenmantel dem Cembalo zu, das Dolmetsch für ihn gebaut hatte; wenn er durch die Straßen streifte, mit weit zurückgeworfenem Kopf, sah er alles, begegnete er aller Welt, sprudelte über vom letzten Klatsch, ebenso wie von Erregung über die Bildhaftigkeit der chinesischen Schriftzeichen oder über eine Zeile von Rimbaud oder Leopardi, wobei er nie zu erwähnen versäumte, wie sehr ihm der Universitätsbetrieb, der elisabethanische Einfluß und Byrons Metrik gegen den Strich gingen, oder wie suspekt ihm die Altphilologie erschien.
Ein Treffpunkt, wo alle Menschen mit gleichem Geschmack und gleichen Interessen gelegentlich zusammenkommen konnten, schien ihm erforderlich. So kam es zunächst in einem billigen Restaurant in Soho und später, als dem Besitzer die Luftangriffe zuviel wurden, in einem Lokal der Regent Street zu allwöchentlichen, zwanglosen Zusammenkünften, wo sich alle einfanden, die es zu Pound zog, um auf eigene Rechnung zu essen und miteinander Fühlung zu nehmen.
Zu dieser allwöchentlichen Zusammenkunft fand sich 1917 und 1918 ein Kreis von Menschen ein, der einem aus der heutigen Sicht höchst eigenartig zusammengewürfelt vorkommt. Das Restaurant betrat also Pound, wie es schien, stets in wehendem Gewande, und ließ seinen Ebenholzspazierstock ratternd zu Boden fallen; unter seinem flammendroten, üppigen Haar das blasse katzenartige Gesicht mit den grünlichen Katzenaugen. Ergriff er das Wort, so räusperte er sich, gab seltsame Urlaute und Ausrufe von sich, benahm sich aber im übrigen recht förmlich und sehr zuvorkommend. Mit ihm kam Mrs. Pound, die sich leise und behutsam bewegte, wie eine jugendliche viktorianische Lady auf Schlittschuhen; sie hatte das klare, liebliche Profil einer Kwannon aus Porzellan. Unförmig, von seiner Uniform eingeengt, mit kornblumenblauen spähenden Augen in der weiten Landschaft eines hochroten Gesichts, mit schwerer Hängelippe unterm sandfarbenen Schnauzbart, das war Ford Madox Ford, der mit dröhnender Stimme endlose Anekdoten über Große Viktorianer, Große Präraffaeliten und Henry James zum Besten gab und dann von irgendjemandem erzählte, von dem kein Mensch je gehört hatte und den selbst damals niemand für ganz möglich hielt – Ford war für manche von uns eine Art Kuriosität, seit wir wußten, daß er als Kind für den kleinen Sohn Wilhelm Tells auf Rossettis Gemälde Modell gestanden hatte. Hochgewachsen, hager und hohlwangig, stets in das förmliche Schwarz gekleidet, das seiner hauptberuflichen Tätigkeit in Lloyd’s Bank entsprach, erschien als regelmäßiger Gast T.S. Eliot; für gewöhnlich war er schweigsam, hatte aber eine Art zu lächeln, die schüchtern-freundlich wirkte; drei oder vier junge weibliche Wesen, die dank eines Fünkchens Talent für Malerei oder Dichtung Einlaß gefunden hatten, himmelten ihn stets leidenschaftlich aber stumm an.
Der junge Mann in Uniform, der einem Farmer ähnelte, war Richard Aldington, auf Heimaturlaub von der französischen Front. Größer und schweigsamer noch als Mrs. Pound, irgendwie verstört wirkend, das war die Dichterin H.D., Aldingtons Frau [Hilda Doolittle 1886–1963]. Arthur Waley, von bleichem, gelehrtenhaftem Aussehen, der so leise und abgehackt sprach und unglaublich belesen war, fand sich fast jede Woche ein – er hatte gerade mit den hervorragenden Übersetzungen aus dem Chinesischen und Japanischen begonnen, die so deutlich Pounds Einfluß zeigen. Dann war da jemand vom russischen Ballett. Und wer war die Dame mit dem strengen Hut und dem nervösen Gebaren, die stets so hoch aufgerichtet dasaß? Das war die löwenherzige Miss Harriet Weaver, die Joyce abdruckte, als niemand anderer sich traute, und die es, davon bin ich überzeugt, dem Dichter überhaupt erst ermöglicht hat, sich dem Ulysses zu widmen, obwohl sie Joyce persönlich nie kennen gelernt hatte. Sie war es gewesen, die T.S. Eliot, Wyndham Lewis und Amy Lowell herausbrachte, als kein anderer etwas von ihnen wissen wollte; sie war es, die das Jugendbildnis, Tarr, Prufrock und Ulysses veröffentlichte (bis die Zensurbestimmungen es ihr verboten). Nur unter Druck, oder wenn geschäftliche Erwägungen es unumgänglich erscheinen ließen und auch dann nur so leise wie möglich und mit unsäglicher Gelassenheit, hörte man sie je über sich selber oder über ihre bemerkenswerte verlegerische Tätigkeit sprechen.
Hin und wieder tauchten auch andere Gestalten auf – Wyndham Lewis, von der Front zurück, gespenstisch bleich unter seinem schwarzem Haar, war anfangs von einer Einsilbigkeit, die gelinde gesagt einen gewissen Argwohn gegen seine Mitmenschen zu bekunden schien, offenbarte später aber eine unnachahmliche Kunst der Konversation, sang ausgelassene Lieder und entfaltete einen umwerfenden Humor. Zuweilen erschien auch Yeats mit der berühmten Stirntolle, die ihm in die Augen fiel. Er hing sehr an Pound, der früher unter seinem Einfluß gestanden hatte, und mit dem zusammen er gerade den gesamten Landor gelesen hatte. Arthur Symons kam ein- oder zweimal, gebrechlich und elegant, geradewegs aus dem Sanatorium. Die ausgefallensten Klatschereien machten die Runde und mischten Tageskram mit Weltweisheit. Man erzählte sich, was der junge H.W. Nevison im Café Royal über St. Augustinus und den Tod seiner Mutter gesagt hatte, um Ordentlich anzuecken; man sprach von Li T’ai Po und von Catullus, von Keats und der Edinburgh Review [1802–1929] und von dem großen Rüstungswerk, das (so wollte es allmonatlich das Gerücht) über Nacht von Zeppelinbomben zerstört worden war. Man sprach von einem Restaurant, wo man auf seine Lebensmittelkarten mehr Fleisch bekommen konnte, als einem eigentlich zustand. Beim Getöse der Luftangriffe hörten wir Jüngeren zum erstenmal von Proust reden, von der Baronin Elsa von Freytag-Loringhoven, von Negermusik und chinesischer Dichtung, vom Ödipus-Komplex, Rousseau dem Zöllner und von Gertrude Stein.
Das Fazit, dessen man sich damals allzu wenig bewußt wurde, war, daß etwas, worauf es ankam, auf wunderbare Weise in dieser Tischrunde fortwirkte, ja einfach am Leben blieb – zu einer Zeit, da so vieles andere in alle Winde versprengt oder nur noch Schutt und Asche war, da so viele Menschen umgebracht oder ins Gefängnis geworfen wurden, eine ganze Welt sich verloren wähnte. Es war, als erinnerte uns jemand daran, daß der Krieg nicht ewig dauern werde (wie es einem mittlerweile vorkam), und daß es auf lange Sicht wichtiger sei, neue Musik, neue lebensvolle Literatur, schöpferischen Drang und leidenschaftliche Interpretation zu haben, als zu glauben, in Mons wären Engel vom Himmel gestiegen oder die deutsche Bevölkerung verzehrte aus angeborener Niedertracht nunmehr Margarine, die aus Leichensud gewonnen werde. Solange diese Zusammenkünfte währten, war uns der Tod der Vielen nicht so wichtig wie der Fortbestand von etwas Lebenswertem: auf einmal konnte man sich wieder vorstellen, daß es schließlich neben jedem Marlborough auch einen Voltaire gibt und die Dinge, die überdauern, nicht Dummheit oder Furcht sind.
Pound setzte seinen Glauben in die Sache der Kunst, wie andere Menschen von Zeit zu Zeit an Patriotismus, Freiheit, Frauenstimmrecht oder Religion „geglaubt“ haben. Er drückte seine ureigenste Überzeugung aus, als er schrieb: „Künstler sind die Fühlhörner der Gattung, wenn auch die hartschädelige Mehrheit niemals ihr Vertrauen in die großen Künstler setzen wird.“ Und wenn er dann fortfuhr: „Friede beruht auf Mitteilung. Alle große Kunst besteht in dem Bemühen, sich mitzuteilen“, so liegt dies ganz auf der Linie dieser allwöchentlichen Zusammenkünfte, seines Glaubens an die „Gegenwart aller Zeiten“ und seiner wiederholten Behauptung: „Morgen bricht über Jerusalem an, indes Mitternacht noch die Säulen des Herkules verhängt. Alle Zeitalter sind gegenwärtig… Die Zukunft regt sich im Geist der Wenigen… viele Tote sind Zeitgenossen unserer Enkel“. Der leidenschaftliche Wunsch nach Mitteilung und Kontinuität, nach mündlicher Überlieferung und persönlichem Kontakt, der all dem zugrundeliegt, kommt in seinen Worten zum Ausdruck:
London ist eigentlich eine große Universität, und an die besten Fachleute kommt man vielleicht nur durch zufällige Gespräche heran.
Deswegen erschien es ihm so wichtig, dieses wöchentliche Essen zu veranstalten, das noch für die ärmsten Angehörigen dieses sich stets verändernden Kreises erschwinglich war. Deswegen mußten hinterher ein paar von ihnen – mochten sie noch so unbekannt, unbeholfen, provinzlerisch und aufreizend sein – zu Yeats’ Montagabenden geführt werden, wo sie unter Kerzen sitzen durften, um Yeats mit seinem „oi remember…“ zu lauschen und aus den Unterhaltungen ihrer Altvorderen zu ergattern, was sie nur konnten, um mit der Vergangenheit und miteinander in unmittelbare Fühlung zu kommen. Deswegen war er bereit, einen ganzen Nachmittag an den unsympathischen und eingebildeten jungen Mann zu wenden, der ein paar Gedichte geschrieben hatte und vom Lande hereingeschneit war, um ihn zu sehen. Deswegen vergeudete er einen ganzen Vormittag an einen langen Brief mit Ratschlägen für eine linkische junge Dame über den Benimm im literarischen Umgang der er verbrachte einen Abend mit dem Abtippen eines langen Briefes über die Ganze Kunst des Schreibens, der, falls er richtig verstanden wurde, dem Empfänger vielleicht einen kleinen Beitrag zum großen Strom der Literatur entlocken mochte. Deswegen machte er sich zum leidenschaftlichen Anwalt von Joyce und Eliot, Gaudier-Brzeska, Lewis und George Antheil. Und das war auch vor allem der Grund, warum er sich in die provenzalische Dichtung, den Großstadt-Slang und die chinesische Poesie so sehr einleben konnte. Das nahm er auf in seine Sprache und seine Gestaltung. Sie versucht, von überall her Quellen zu erschließen und in eine Einheit zu bringen, die in Wirklichkeit die autonome Einheit seines Selbst war.
Eine Herausforderung von solchen Graden, ein Einsatz für etwas so Festumrissenes und Unpopuläres, eine so energische Hingabe an eine Sache sind einem friedlichen Dasein kaum zuträglich. Es ist wohl über keinen Lebenden soviel Gehässiges und Zorniges gesagt und geschrieben worden wie über Pound – er für sein Teil hat das alles von Herzen genossen.
Bei weitem nicht alle, die in der fraglichen Zeit seine Gefährten und Schüler waren, sind ihm in Freundschaft verbunden geblieben – übrigens sind von diesen auch untereinander längst nicht mehr alle befreundet. Alle aber erinnern sie sich seiner, ungeachtet der Reibereien, die seither das Verhältnis belastet haben mögen, mit einer gewissen Dankbarkeit und Herzlichkeit. Denn Pound schätzte die Menschen häufig völlig falsch ein, mißverstand ihre Beweggründe und hielt sie für etwas, das sie ganz und gar nicht waren, oder traute ihnen Dinge zu, die ihnen durchaus fern lagen, und behandelte sie dann dementsprechend. Sein eigenes Auftreten war oft recht beunruhigend, um nicht zu sagen unheimlich. Grace Rhys erinnert sich mit einer gewissen Rührung, aber doch noch mit einer Spur der damaligen Bestürzung, wie Pound einmal bei ihr und ihrem Mann in Hampstead zum Abendessen eingeladen war. Es muß wohl im ersten Jahr seines Londoner Aufenthaltes gewesen sein. Der junge Amerikaner mit dem flammenden Haar und dem wehenden Gewande lehnte das Essen ab, griff aber eine Handvoll Rosenblätter aus der Blumenschale auf dem Eßzimmertisch und zerkaute sie, während er sich mit den Gastgebern unterhielt. Als sie von Tisch aufstanden, packte er eine große Karaffe Wasser, leerte sie auf einen Zug und warf sich dann – der Darstellung seiner Gastgeberin zufolge – der Länge nach auf ein Sofa, wo er leise blubbernd für den Rest des Abends liegenblieb.
Violet Hunt, die von jeher viel Phantasie besessen hat, verkündete in einem Augenblick der Gereiztheit, daß Ezra in Wirklichkeit der Abkömmling nomadisierender Indianer sei, die ihn als Kind ausgesetzt hätten; dem sonderbaren Säugling sei es jedoch gelungen, sich am Leben zu erhalten, indem er aus einem Kanister den er irgendwo in der weiten Wüstenlandschaft Amerikas gefunden hatte, Petroleum sog – bis er von einem reizenden alten Herrn aus dem Mittelwesten gerettet wurde, der keine Gelegenheit vorübergehen läßt, ohne mit heiterem Stolz seinen seltsamen Findling zu erwähnen. Es steckt viel von dem echten, dem hoch-explosiven Ezra in dieser kuriosen Geschichte. Das Porträt, das Wyndham Lewis von ihm malte, trifft diesen „echten Ezra“ noch besser. Etwas mehr als lebensgroß, das Gesicht wie gemeißelt (der katzenartige Ausdruck ist eben doch der einer ägyptischen Katze), Haare wie lange Feuerzungen, die lose graue Jacke, die das majestätische Wallen und Wogen seiner Kleider so trefflich wiedergibt, der mokante Ausdruck, der unvermeidliche Ebenholzstock, die Kraft, die Gefährlichkeit, die Einfalt des Mannes – dies alles ist hier festgehalten. Die riesige, überlebensgroße Büste Pounds von Gaudier-Brzeska ist inzwischen wahrscheinlich tief in der Erde von Violet Hunts Garten versunken. Pound selber bleibt heutzutage [anno 1931] unsichtbar, und abgesehen von seiner Dichtung hört man nicht viel von ihm. Er amtiert nicht mehr und hat nur ein paar Anhänger – als habe er mit jener ungeheuren Kraftanstrengung von 1912 bis 1919 alles Menschenmögliche (und eigentlich noch mehr) getan, und sei nun froh, von seinem fünfunddreißigsten Lebensjahr an den eigenen Garten bestellen zu dürfen.
Iris Barry, 1931, in: Eva Hesse (Hrsg.): Ezra Pound. 22 Versuche über einen Dichter, Athenäum Verlag, 1967
– Eva Hesses ,Ezra Pound‘. –
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Das Auge denkt. Wer diese Überschrift im Zusammenhang mit dem Bildnisfoto auf der Poundbiographie Eva Hesses sieht, hat den ersten Schritt zum Verständnis schon getan. Ein antikes Haupt, das aus Zeitenferne in unsere Tage ragte, sich ruhelos forschend darin umsah und dabei zu Einsichten gelangte, die das mitgeborene Erbe aus Geist und Sprache mit dem zu verbinden suchten, was ihm entgegenkam, oder, wie man heute sagt, was auf ihn zukam. So entstand Werk. Das ,gesprochene‘ ist dabei womöglich noch ausgiebiger als das in Buchstaben niedergelegte. Denn der Dichter war zugleich der Rhetor seiner Überzeugungen. Wer Pound während der Mussolini-Ära in Rapallo hofhaltend und kulturdiktierend erlebte, wird beipflichten! Daß er in den Vorhaben des italienischen Staatsmannes (der sich selbst blindlings den Untergang bestimmte, indem er wähnte, politisch verpflichtet zu sein, mit den Nazis zu paktizieren) Ansätze zur Realisierung eigener Reformgedanken entdeckte, wer wird ihm das heute nicht nachsehen, wo eben diese Reformvorhaben, nur mit anderen Vorzeichen versehen, in den Staatskanzleien der alten und der neuen Welt ventiliert werden? Und trotzdem war Pound kein ,Prophet‘. Er sah nur etwas weiter. Türmer, der er war, „zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt“.
Das geschriebene Werk, die Dichtungen, die theoretischen Versuche, die Nach- und Umdichtungen, merkwürdig geschlossen alle, und zugleich merkwürdig offen, das heißt ohne magisches oder gar mystisches, absichtlich im Geheimnis Belassenes, ist mehr wohl das Beispielwerk eines Lehrers als etwa angewandte Poesie im Sinne seiner Generation.
Pound, am 30. Oktober 1885 in Hailey (Idaho) geboren, war zeit seines Lebens mit den typischen Eigenschaften des Skorpions belehnt, etwa der Fähigkeit, andere in ihren Begabungen zu steigern, selber aber in den vielfältigen seinigen unfertig zu verharren. Wer sich Pound ergab, konnte mit den eigenen Anlagen mehr erreichen, als in sie gelegt war. Der Fall T.S. Eliots steht dafür. Man weiß heute, daß Waste Land in seiner Urfassung nicht nur von Pound zusammengestrichen und in die Form gebracht wurde, die seinen Autor weltberühmt machte, sondern auch Verbesserungen im Wörtlichen erfuhr. Eliot wußte seinem Lehrer und Korrektor Dank. Aber er war es zufrieden, daß jene verräterische Urfassung des großen Gedichts anscheinend verloren war. Anscheinend. Denn kürzlich ist sie wieder aufgefunden worden und zeigt den Anteil Pounds in einem solchen Maße, daß man das Werk zwei Herren zusprechen muß. Dem, der die Idee gefaßt hatte, Eliot, und dem, der ihr Form gegeben, Pound.
Dies dürfte symptomatisch sein für die Wirkungen, ja für das eigentliche ,Gegebenhaben‘ des Verfassers der Cantos, in denen soviel ,Brandsätze‘ den Denkablauf unterbrechen, daß der Leseakt zum angestrengten Studieren entartet. Pound war ein Meister im ,Nachhelfen‘. Was er damit bewirkte, wer kann das ermessen? Gewiß ist er in vielen Schriftwerken der Gegenwart mit anwesend, auch da, wo sein Einfluß strikt geleugnet wird. Doch in wessen Vision ist er übertroffen? Die Barke Charons, des Totenschiffers, füllte sich in diesen Jahren mit vielen berühmten Geistern. Man spürt die Ablösungswelle im Wogengang des literarischen Geschehens. Pounds Mittlertum – auch das zwischen der west-östlichen Antike und unserer Moderne – war versprechender als das, was nun wirklich daraus geworden ist.
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Die Münchner Anglistin und Verfasserin literarischer Essays Eva Hesse hat mehr als ein Jahrzehnt ihres Lebens dafür aufgewendet, das Schriftwerk des Amerikaners Ezra Pound auf Deutsch verständlich zu machen. Sie geriet dabei an einen schier unerschöpflichen Bildungskosmos, in den sie sich, soweit als möglich, hineinarbeitete, bis der eigene Bildungsstand in etwa den Anforderungen einer Übersetzung entsprach. Dank ihr liegt uns der größere Teil des Poundschen Schaffens lesbar und vorzüglich kommentiert vor.
Danach setzte bei Eva Hesse eine rückläufige Bewegung kritischen Betrachtens ein. Was sie Pound dankte, was ihr durch ihn an Wissensgebieten erschlossen worden war, wurde ihr nun zum Mittel, sein Weltbild als fehlbar zu verdächtigen. Pound und sein Großwerk, die Cantos (Canti würde der Romanist sagen), wurde ihr durch die jahrelange Befassung bis zur Anzweiflung vertraut. Als Folge davon versucht sie dem Dichter nachzuweisen, wo er irrte, und macht ihn posthum darauf aufmerksam, wo er die Weichen anders hätte stellen sollen, um richtig zu fahren. Richtig im Sinne unserer heutigen Existenzvorstellungen, unserer heutigen Wirtschaftstendenzen. Er hätte – beklagt sie in ihrer Pound-Erkundung Von Sinn und Wahnsinn (Kindler Verlag) – nicht an Marx und nicht an Freud vorübergehen dürfen. Ging er denn wirklich daran vorüber, ohne Kenntnis zu nehmen? Wenn er sich davon hätte belehren lassen, wäre sein ganzes Werk anders herum gelaufen, auch all das, was Eva Hesse anfangs so überzeugte, daß sie die anstrengende Arbeit einer Übertragung auf sich nahm. Und uns Lesern wäre jener Pound verloren, der gerade durch seine spezielle Problematik ,schöpferisch‘ beschäftigend auf uns wirkt.
Frau Hesse hat da eine schwierige Position bezogen. Und noch schwieriger ist sie nachvollziehbar. Denn wer darf sich vermessen, vorauszuwissen, wie man in 100 Jahren dazu steht? Ist es wirklich gänzlich auszuschließen, daß man einst unsere materialistische Industriezivilisation mit allen ihren ,Leitwerken‘ als wahnhafte Verirrung, als Psychose eines ganzen Zeitalters einschätzt, einschließlich dann allerdings auch des Faschismus, des Nazismus, in denen Pound rettende Tendenzen oder doch Momente einer Umkehr insgesamt vermuten wollte.
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Das Werk Pounds ist ohne die Voraussetzungen einer möglichen Verkehrtheit seines Weltanschauungsansatzes gar nicht zu denken. Und sein Büss- und Leidensweg war die Konsequenz einer ,gelebten‘ Überzeugung und verleiht ihm damit die Größe eines tragischen ,Futuristen‘. Pounds Werk gibt Auskunft über das, was ihm das Denken und Handeln seiner Zeit aufnötigte. Durch das Prisma seines Geistes gesehen, kommt es uns noch einmal nahe, martyriös wie das christliche Mittelalter, und dennoch nicht ausgedient, abgehalftert, sondern menschenfresserisch wie eh und je. Auch auf Zukunft hin.
Und wenn Frau Hesse heute die Lehren von Karl Marx als die letztmögliche, die ablösende Überhöhung alles uns Vorangegangenen empfindet und anpreist, dann ist und bleibe Pound davon ausgeklammert. Er hat gedacht, geredet, artikuliert – hat seine Vision eines ihm möglich scheinenden Nächstbesseren angeboten, dafür gelitten, ist daran kaputtgegangen. Mit ihm heute ,abzurechnen‘, ist so absurd, als wolle man den Kairos, der uns werden ließ, vor Gericht ziehen.
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Es liegt im Zuge unserer allenthalben die Summen ziehenden und die Ernten aller Zeitalter einstreichenden ,planetarischen‘ Gegenwart, daß unsere ,Großen‘ die ,pastness of the past‘ (die Vergangenheit des Vergangenen) werkentsprechend auszubeuten suchen, indem sie alte Denkbilder in heutige einschmelzen und damit Literaturpolitik auf Zukunft hin treiben. Hybrides Unterfangen, gewiß. Dazu paßt gut, daß gerade die beiden Unerschöpfbaren der englischsprachigen Welt – Joyce und Pound – in ihrer finalen Position eine Sympathiebeziehung zu den Großsteinbauten des Megalithikums zu erkennen geben.
Joyce beginnt sein Schlußwerk, Finnegans Wake – eine Art Urgeschichte der Sprache –, mit einem Dialog zwischen zwei uralten Pfeilersteinen auf irischer Heide. Und Pound wünschte sich in einem seiner späten Cantos (XCI/613) in der Stonehenge begraben zu sein, jenem einzigartigen, undeutbaren Rundbau in England.
Eva Hesse setzt denn auch ein durchaus symbolisch zu verstehendes Foto ,Sonnenaufgang in der Stonehenge‘ an den Schluß ihres Buches. Dem Groß-Gescheiterten, könnte man hinzufügen. Daß zahllose Dokumente und Fotos aus Pounds Lebensgang, seine Wirkungsstätten, Porträts seiner Freunde und Feinde den Text vielfältig ergänzen, kommt der Publikation zugute.
Werner Helwig, Neue Rundschau, Heft 4, 1979
Pounds Äußerungen im Gespräch waren wie seine Schriften durchsetzt mit genialen Maximen übers Gedichteschreiben; von Vorteil war dabei, daß man ihn manchmal bitten konnte, sich durch Beispiele zu verdeutlichen. Seine Maximen gingen keineswegs immer untereinander, geschweige denn in seiner Praxis auf – nie aber waren sie irrelevant. Man dachte über sie nach – das gilt jedenfalls für mich – und zog möglicherweise seinen Nutzen aus ihnen.
Um 1929 oder – 30 hatte sich Zukofsky einige von Pounds besonders zwingenden Maximen herausgegriffen und neu formuliert (in einer Sprache, die ich – leider! – für den obskuren Jargon eines Pedanten hielt): er richtete sich nach ihnen aus und schien sie auf alles, was er in Verse faßte, anzuwenden.
Pound übte gesprächsweise an meinen frühen Gedichten, desgleichen an meinem Villon, mit blitzschneller Zunge einiges an Kritik: weitgehend so, wie er es auf sehr viel gewichtigere Weise an Eliots The Waste Land getan hatte. Er entwarf vieles neu, verbesserte ein wenig und wies mich an, mehr zu verbessern. Später fischte er einiges, was ich verworfen hatte, aus meinem Papierkorb und bestand darauf, es veröffentlichen zu lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen soll.
Zukofsky seinerseits ging Gedichte, die ich ihm schickte, mit peinlicher Sorgfalt durch, Wort für Wort, schlug hier etwas vor, kritisierte heftig dort, und anempfahl manchmal dem Papierkorb. (Bisweilen gab er auch seiner Begeisterung für bestimmte Zeilen und Textstellen Ausdruck.) So ging er damals vor, als, wie in den frühen 30er Jahren der Fall, sich seine Bewunderung – mein Werk, glaube ich, tatsächlich sehr in Grenzen hielt. Und später, nachdem er seine Meinung geändert hatte, behielt er es so bei. Selbst nach dem Krieg war er äußerst behilflich bei The Spoils; und noch mit dem Manuskript Briggflatts mühte er sich ab, wenn auch auf weniger verschwenderische Art und Weise.
Ein Systematiker hätte vielleicht alle helfende Kritik Zukofskys aus Pounds obiter dicta hergeleitet, aber ich bin noch weniger Systematiker als Pound: Zukofskys Geduld und Strenge waren für mich von großem Wert… auch für Carlos Williams – WCW sagte mir das vor langer Zeit.
Es bedurfte mehr als zweitausend Jahre gewaltsamer Opposition, um die Juden so eigensinnig zu machen, wie viele der besten unter ihnen sind. Manchmal mag ich das nicht; aber jeder bewundert, ja liebt diesen Eigensinn bei Spinoza – ihm gab unter den Philosophen Zukofsky den Vorrang – und ebenso bewundernswert ist der Eigensinn, mit dem L. Z. in seiner Dichtung und in seiner detaillierten Kritik auftrat.
Pound war wendig, geschmeidig und voller Scharfsinn. Zukofsky war vergleichsweise invariabel, wenn auch etwas langsamer in seiner Wahrnehmung.
Basil Bunting, Schreibheft, Heft 27, April 1986
Aus dem Englischen übertragen von Lioba Happel
Ezra Pound hat mich im Innersten berührt, seit ich als junger Mensch zum ersten Mal auf seine Spuren stieß. Dabei haben sich die Faszination durch die suggestiven, oft nur schwer zu entschlüsselnden Kürzel seiner Lyrik, die Überzeugungskraft der unakademischen Anweisungen des vitalen literarischen Lehrmeisters, die einem Yeats, Eliot, Joyce, Hemingway geleisteten Freundschaftsdienste und die Anteilnahme am tragischen Schicksal des unter unwürdigen Bedingungen in einem amerikanischen Irrenhaus Internierten (offenbar Vorbild für die sowjetische Praxis, Dissidenten in Nervenkliniken zu isolieren) zu einer emotional nicht auflösbaren Einheit verbunden.
So habe ich Ezra Pound gekannt und war mit ihm vertraut, lange ehe ich ihn nach seiner Entlassung aus dem St. Elizabeth’s Hospital for the criminal insane in Washington D.C. das erste Mal persönlich getroffen habe. Das war Ende Juli 1958 auf der Brunnenburg nahe Meran in Südtirol, wo seine Tochter Mary de Rachewiltz lebte, verheiratet mit einem Ägyptologen. Ich machte mir aus der Entfernung als Leser dessen, was Ezra Pound geschrieben hatte (oder einem Teil davon, sofern ich seiner Schriften habhaft werden konnte) ein Bild von ihm und meinte ihn genau zu verstehen. Die Kraft seiner Dichtung, verbunden mit der Atmosphäre der Tragik, die seine Person und sein Schicksal umgab (und die ich den mir zugänglichen Fotos entnehmen konnte) schlug mich in Bann.
Zum ersten Mal habe ich den Namen Ezra Pound von meinem Freund H.C. Artmann gehört. Er war es, der mich auf die Übersetzung einiger Pound-Gedichte durch Rainer M. Gerhardt hinwies, die in der kurzlebigen Zeitschrift Fragmente erschienen waren. Und dann kam die intensive Begegnung mit seinem Werk in Schloß Leopoldskron in Salzburg. Dort wurden Monat für Monat die Kurse des (von Amerika betriebenen) Austrian Seminar in American Studies abgehalten. Da ich eine Teilnahme an ihm nicht aus der eigenen Tasche finanzieren konnte, hatte ich mich mit einem Text über James Joyce, den der Freund Peter Rhidian Williams perfekt ins Englische übertragen hatte, um ein Fulbright-Stipendium für das vierwöchige Seminar über moderne amerikanische Lyrik beworben, das im Februar 1952 in Schloß Leopoldskron stattfand und bis März dauerte (Leopoldskron hatte einmal Max Reinhardt gehört, war aber von den Nazis enteignet worden). Und ich hatte dieses Stipendium erhalten.
Ich fuhr also nach Salzburg und nahm an der Veranstaltung teil, deren äußere Bedingungen mir damals traumhaft erschienen. Es war, als ob ich aus der Enge meiner Verhältnisse im Wien der Nachkriegsjahre in die Weite der USA versetzt worden wäre. Gleich in der ersten Stunde, nach der gegenseitigen Vorstellung, wurden wir Studierenden, die wir aus den verschiedensten Ländern kamen und an den Kursen teilnahmen, gefragt, welche Dichterpersönlichkeit wir uns für das längere Referat wählen wollten, das wir am Ende des Seminars vorzutragen hatten. Beinahe alle hoben die Hand und sagten: T.S. Eliot, T.S. Eliot, T.S. Eliot… Ein einziger wählte E.E. Cummings, ein zweiter Marianne Moore, ein anderer – ich weiß das nicht mehr genau – W.C. Williams oder Wallace Stevens. Keiner entschloß sich zu Ezra Pound – außer mir. Ich meldete mich und sagte (nicht nur aus Lust am Widerspruch, weil ich mich von den anderen unterscheiden wollte, sondern ebenso aus Überzeugung von dem Rang des von mir favorisierten Autors, obgleich ich diesen seinerzeit nur sehr oberflächlich beurteilen konnte): Ezra Pound.
In der wunderbaren Bibliothek von Leopoldskron (noch immer gerate ich ins Schwärmen, wenn ich an sie zurückdenke – für einen bücherhungrigen jungen Menschen war sie das Paradies) fand ich nahezu alles, was von und über Ezra Pound in den USA bis dahin erschienen war. Ich war begeistert und dachte: das Gleiche würde mir in einem sowjetischen Institut wohl nicht passieren, daß in der Bibliothek des Hauses alles verfügbar war von einem Autor, der im eigenen Land als Unperson und Staatsfeind geächtet, ja eingesperrt worden ist. So wuchs gleichzeitig mit meiner Faszination durch Pound die Achtung vor den Amerikanern, die einerseits diese Person zwar verfolgten, andererseits jedoch alles offenlegten, was ihren Fall betraf, auch wenn dies für sie selbst nicht unbedingt günstig war.
Nach der Zeit in Leopoldskron hörte meine Beschäftigung mit Pound nicht auf. Sie wurde intensiviert durch das Erscheinen der Pound-Übersetzungen von Eva Hesse im Zürcher Arche-Verlag. Pound hatte (und alle Freunde und Verehrer Pounds haben) mit dieser Übersetzerin unheimliches Glück. Nicht nur, daß ihre Zuwendung zu Pound und ihr Elan, sein Werk zu übersetzen und zu interpretieren, ein Leben lang nicht nachließen, sondern sie war auch nicht der leisesten Sympathie für den Faschismus oder irgendeine der kruden ökonomischen Ideen Pounds verdächtig. Im Gegenteil: sie und ihr Mann Mike O’Donnell standen – vergleichbar etwa der Position eines Erich Fried in London – ausgesprochen links und haben daraus nie ein Hehl gemacht. Das tat der Pound-Interpretation gut und hat manches, was er geschrieben und gesagt hat, in ein anderes Licht gerückt.
Das Ausmaß der Poundschen Verstrickung in den Faschismus war mir anfänglich nicht voll bewußt, die Radikalität seiner Reden über Radio Rom 1941 bis 1943 nicht bekannt. Es sollte zu sagen überflüssig sein, ist es aber leider nicht: meine Faszination durch Pound hat nichts mit seiner Schwäche für den Faschismus zu tun. Meine Verehrung gilt Pound, obwohl und nicht weil er sich in einer bestimmten Phase seines Lebens dem Faschismus genähert hatte und sich – wenngleich von den Faschisten vielfach beargwöhnt und kaum verstanden – zu seinem Fürsprecher machte. Ich halte den Faschismus – den deutschen weit mehr als den italienischen – für das Übel dieses Jahrhunderts, das ich am meisten verabscheue. Das Erlebnis der ,Reichskristallnacht‘, deren Augenzeuge ich als Neunjähriger im November 1938 wurde, hat mich (wie ich an anderer Stelle schon ausführlich dargelegt habe) für mein Leben geprägt, die frühe Lektüre der Chassidischen Bücher von Martin Buber eine tiefe Liebe zur jüdischen Mystik geweckt, die später durch Gershom Scholem vertieft wurde. Als ich daher zum ersten Mal die römischen Radioreden von Ezra Pound (Ezra Pound Speaking) im Wortlaut vor mir hatte, war ich nach der Lektüre wie vor den Kopf geschlagen: dieses Ausmaß der Verblendung, diese Gehässigkeit des Tonfalls hatte ich nicht für möglich gehalten, am wenigsten bei Ezra Pound, von dem so viele Zeugnisse selbstloser Menschlichkeit überliefert sind und den ich später persönlich als einen von Erfahrungen gezeichneten, schließlich resignierenden, von Trauer ergriffenen, aber nie gehässigen, nicht einmal bitteren alten Mann kennengelernt hatte.
Gewiß, Pounds – des Amerikaners – Reden über Radio Rom während des Zweiten Weltkriegs waren keineswegs das, wofür er 1945 angeklagt (und in ein Irrenhaus verbannt) wurde: Hochverrat. Aber sie waren schlimmster Antisemitismus. Und war Antisemitismus in einem Jahrhundert, das Auschwitz und Treblinka hervorgebracht hat, nicht unendlich schlimmer als jede Art von Hochverrat? Pound selbst hat in seinen späteren Jahren hierin seine Sünde wider den Geist erkannt. So sagte er 1967 zu Allen Ginsberg in Venedig:
The worst mistake I made was that stupid, suburban prejudice of anti-semitism. All along, that spoiled everything.
Wann immer ich später die Radioreden Ezra Pound Speaking zur Hand nahm, war ich für längere Zeit verstört und unfähig zu irgendeiner weiteren Beschäftigung mit Pound. Es waren dann immer wieder die Cantos, die Pisan Cantos vor allem, aber auch die ,Letzten Texte‘ oder sein ABC des Lesens, die mich zu dem Pound zurückführten, den ich trotz allem für den ,wahren‘ halte.
Als das literarische Amerika nach 1945 allmählich mit dem Fall Pound zu leben lernte, man seine Gedichte wieder in Anthologien aufnahm – aus denen man sie zuvor entfernt hatte – und eine Jury, der Conrad Aiken, W.H. Auden, T.S. Eliot, Robert Lowell, Katherine Anne Porter, Allen Tate, Robert Penn Warren und andere Träger illustrer Namen angehörten, ihm für die Pisan Cantos den Bollingen Award verlieh, setzte sich als Formel der Verständigung die Sprachregelung durch, man dürfe nicht ,Pound the poet‘ mit ,Pound the man‘ verwechseln, sondern müsse Werk und Person streng auseinanderhalten.
Aber können sie denn getrennt werden? Ist eine solche Unterscheidung zwischen dem Menschen und dem Dichter zulässig? Ist sie überhaupt möglich? Ich glaube: nein. So einfach ist es nicht, daß man sagen kann: hier der gute Pound, der ganz in seine Dichtung eingegangen ist – und dort der böse Pound, der Mensch, der in seinem Leben schreckliche Dinge gedacht und gesagt (wenn auch nicht getan) hat.
Tatsächlich ist es doch wohl so: Pound the man hat Pound the poet erst möglich gemacht, hat ihn hervorgebracht, ihn ernährt, ihn mit seinen Erfahrungen gefüttert, ihn mit Wahrnehmungen, Bildern, Assoziationen, Gedanken und Zusammenhängen versorgt, aus Pound the man hat Pound the poet seine Eingebungen bezogen und schließlich auch seine Irrtümer, Pound the man hat den Grund gelegt und den Boden bereitet für das Werk von Pound the poet und er hat es durcheinandergebracht, er hat es befördert und hat es gehemmt und beinahe zerstört, Pound the man hat Pound the poet nach Rapallo geführt und er hat ihn in das Lager von Pisa gebracht und in St. Elizabeth’s Hospital, bis es am Ende Pound the poet war, der auch Pound the man das Tor in die Freiheit öffnete, die Heimkehr nach Italien, nach Meran, Rapallo und Venedig möglich machte; denn es war der Dichter, dem man schließlich verziehen hat, nicht der Mensch.
Ohne seine politische Verblendung, ohne seine Verstrickung in den Faschismus wäre es nie zu den römischen Rundfunkreden gekommen. Ohne diese in Kriegszeiten in Feindesland gehaltenen Reden hätte es nie die Gefangenschaft in Pisa und die jahrelange Internierung in einer Irrenanstalt gegeben. Ohne die extreme Ausnahmesituation im Straflager der amerikanischen Armee wäre es nicht zu den Pisan Cantos gekommen (wohl nie in der Geschichte ist große Dichtung unter so armseligen Bedingungen geschrieben worden). Ohne die Pisan Cantos wäre Pounds dichterischer Ruhm ein sehr begrenzter geblieben. Ohne die Internierung unter kriminellen Geisteskranken wäre nie das Bild des gefangenen Dichters entstanden, das den Mythos Pound begründete und uns in den fünfziger Jahren so sehr bewegte.
Darum mag ich nicht an die Formel vom doppelten Pound, vom Dualismus seiner Psyche glauben. Was wir an ihm lieben und was uns an ihm abstößt, gehört untrennbar zusammen. Es ist nicht so, daß der böse Pound über Radio Rom Roosevelt und die Juden attackiert hat und der gute Pound in den Pisan Cantos das Lob einer von Geistern durchwirkten Natur gesungen hat. Es gibt nur einen Pound. Nur ein Mensch, in dem sich dieses Maß an Sensibilität, Erfahrung, Leidensfähigkeit mit dem Bewußtsein – oder wenigstens der Ahnung – einer ungeheuren Schuld vereinigte, konnte die Pisan Cantos und schließlich die Folge der späten Cantos von 1958 bis 1959 schreiben.
Zwischen dem Pound, den ich 1958 auf der Brunnenburg fand, und dem Pound, den ich ein Jahr später dort antraf, bestand ein unüberbrückbarer Unterschied. Einmal begegnete ich einem zwar alten, aber noch ebenso wißbegierigen wie tatendurstigen Mann, der viele Pläne schmiedete, der davon sprach, daß er diesen oder jenen aufsuchen wollte und daran dachte, Symposien zu veranstalten – ein Jahr darauf traf ich dagegen einen Menschen, für den alles Vergangenheit geworden war, der mit niemandem mehr kommunizieren wollte, der vor allem aufgehört hatte zu schreiben und wußte, daß es für immer war.
Ezra Pound saß zusammengesunken in seinem Lehnstuhl in der Ecke des Zimmers, den Kopf zurückgelehnt. Von ihm ging lastendes Schweigen aus. Er wirkte erschöpft, bis zum Grund seines Wesens ,ausgeschöpft‘, wie es nur jemand sein konnte, der sein ganzes Leben hindurch schöpferisch war und nun in sich vollkommene Leere spürte. Ich war erschüttert, ihn so zu sehen, und darum kaum überrascht, als ich später von seinem Selbstmordversuch hörte.
Vielleicht, so dachte ich, war es mir vergönnt, diesem Menschen ein wenig zu helfen. Aber ich wußte zunächst nicht, wie. Doch ergab sich einige Jahre später dazu Gelegenheit. Ein Schulfreund, Walter Pöldinger, war inzwischen Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Basel. Seine Adresse gab ich Eva Hesse, die sie wiederum nach Venedig (wo Pound inzwischen in der Obhut von Olga Rudge, der Mutter Marys, lebte) weiterleitete. Auf Veranlassung von Olga Rudge verbrachte Pound dann als Patient 1966/67 etwa ein halbes Jahr in der Basler Klinik. Doch sein Zustand erwies sich als zu ernst, als daß mein Freund mehr hätte erreichen können, als Pound jene Balance auf dem schmalen Grat zwischen weiteren Suizidversuchen und vollkommener psychischer wie physischer Bewegungsstarre zu verschaffen, die ihm dann ein Weiterleben halbwegs möglich machte.
Nach seinem Tod habe ich sein Grab auf der venezianischen Toteninsel San Michele wie auch seinen Lebensmenschen Olga Rudge in ihrer Wohnung in der Calle Querini, Dorso Duro 252, nahe den Salzmagazinen und der Kirche Santa Maria della Salute aufgesucht, und mit Olga Rudge habe ich lange über Pound, über seine Dichtung und über den Faschismus gesprochen. Hier hatte ich Pound vor Jahren einmal vor der Haustür getroffen und ihn stumm auf seinem Spaziergang begleitet, der ihn bis zur Zattere agli incurabili führte. Ich hatte Pound von der Aufführung seiner Nō-Spiele am Theater in Ulm berichten wollen, aber ich war nicht dazugekommen, ihm irgendetwas zu erzählen.
Die Poundsche Fassung der Nō-Spiele, schon in den zehner Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden, ist höchst bemerkenswert. Pound hatte von der Witwe des bereits 1908 verstorbenen Japanologen Ernest Fenollosa dessen nachgelassene Papiere mit den Rohübersetzungen japanischer Nō-Spiele erhalten, denn sie meinte, ihr Mann habe sie als Dichtung, nicht als Philologie, verstanden wissen wollen. Pound hat sie bearbeitet und ,eingerichtet‘, und mehr: er hat sie zu höchst poetischen Stücken geformt. Eva Hesse hat dann im Namen Pounds deren Übersetzung ins Deutsche mir anvertraut, was sich als zwar sehr ehrenvolle, aber besonders schwierige Aufgabe erwies, galt es doch sowohl der Poesie Pounds als auch dem originalen Wortlaut (den ich zum Beispiel in den sehr viel getreueren Übersetzungen von Arthur Waley fand) gerecht zu werden.
Ich glaube, daß schließlich etwas durchaus Spielbares herausgekommen ist, wie die Aufführung in Ulm bewiesen hat. Aber das zu beurteilen fühle ich mich nicht berufen – ich bin eindeutig Partei. Doch darf ich sagen, daß mir die Dichtung Ezra Pounds unendlich viel gegeben hat. Darum berührt es mich schmerzlich, wenn ich sehe, daß den Namen Pound von den jüngeren Leuten heute kaum einer noch kennt.
Wieland Schmied, aus Wieland Schmied: Lust am Widerspruch, Radius Verlag, 2008
EZRA POUND
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaFür Vanni Scheiwiller
Motiv
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa„Motif“ in „A lume spento“
Einen leichten Wind hörte ich. Er kam mich suchen
aaaaaaaaaadurch beruhigte Wälder.
Ich betrachtete einen leichten Wind. Er kam mich suchen
aaaaaaaaaaüber beruhigte Meere.
Durch das Laub dunkler Gegenden
aaaaaaaaaafolgte ich meinem Weg.
Tag und Nacht ging ich, durch schweigsame Wasser,
in die Irre
aaaaaaaaaund folgte dem leichten Wind.
Jorge Guillén
Steve Lake: Ezra Pound
Akzente, Heft 5, Oktober 1985
Michael Reck: Prospero. Ein Gespräch zwischen Ezra Pound und Allen Ginsberg
DU, Heft 9, September 1968
Franco Antonicelli: Ein Besuch bei Ezra Pound
DU, Heft 2, Februar 1967
Pierre Imhasly: Dichtung in vielen Zungen
DU, Heft 2, Februar 1967
Hans-Jürgen Heise: Ezra Pound zum 80. Geburtstag
Die Tat, 29.10.1965
Ezra Pound liest Canto XLV.
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