AUF KÄFERSCHULTERN
(Für meine Hagia Sofia Lydia)
du niobe auf meinem kühler
du wüste tier aus hüftenland
mein salz mein tropfsteinhöhlenelf
rundschülterchen aus estragon
bestückt mit propheten und klimpernden brüsten
netzt du den durst mit haarspringflut
du wolkenlamm aus karamell
du bundeslade ganz aus süß
du kückenlust
du duftmamsell
du irritiertes tierchen: raupe
mit glitzernden behutsamen
bewegungen die den
zärtlichkeiten deiner fasern entsprechen
jiff jiff
purpureuter lümmeln sich auf
den feldern
ach
träumen von löschpapierstädten aus denen sie
mit seiner fidel einst moische vertrieb
und überhaupt!
totgeglaubt
erwürgt von verirrten lieferscheinen
angefallen von drei wahlgängen
aber auf einmal
kantapper kantapper
aus dem dschungel gerollt
reitet der auf käferschultern
über den see genezareth und läßt
giftige psalmen mit hummeln vermischt
auf uns los
nicht nur den purpureutern nein auch der schnapsmaus
gerinnt
(vergleichsweise)
das wälsungenblut
fintierte blitze und alleskleber summieren
sich um die worte
bahnhofsköpfe aus eingeweichtem papier
verhalten sich umgekehrt bei den frauen
allahs flügel drehen sich knarrend in ihren gelenken
wie ein selbstgemachtes gedicht
die köpfe halten es nicht mehr aus unter den jodtropfenden
gebüschen
eine flotte blutunterlaufener augen kentert
von den quietschlauten die die himmel
lakritzstangen gebärend
ausstoßen
und dann biegt genau um 12 uhr eine
entsetzlich schöne end-
vierzigerin in meinen selbst-
bedienungsladen ein
stelzchen stelzchen hoch
glitzerndes feines metällchen
stelzchen stelzchen
ach federchen federchen
hinunter
herunter
strudelstille
stille
libellen jagen die gedanken
und lassen sie niederregnen auf
lauernde wasser
spanlange haartiere
wispern
aufbäumen
saurier trampeln weit unten
oh schöne ernte der propheten
komm darwin komm!
demontiert die „Wirklichkeit“ (und Langeweile) der klassischen Story. Seine Geschichte benutzt freie Lyrik, um Erzählung und Dokumentation zu verbinden, die außerordentlichen Assoziationen und Bilder kommen mit einer Leichtigkeit einher wie das „Inside ist out und outside is in“ der Beatles. Modische Begriffe wie Trivialliteratur, Collage, Cutup etc. fallen bei diesem Text nur Betrachtern der komplizierten Typographie ein. Lesern leuchtet der Text ein.
März Verlag, Klappentext, 1972
DAS EINFACHSTE: SIE MEIDEN DIE VERGLEICHE.
Sie jubeln über größte Poesie,
Sie loben, preisen und sie feiern die,
Die sich im Hauptfeld wähnen, selten bleiche
Und blutleere Gedichtattrappen, starre
Gebilde ohne Trotz und Sprachverlangen,
Im Blick: die Ausreißer nie einzufangen,
Verfolge das schon über zwanzig Jahre.
Warum gelangt mit den Gedichten niemand
In meine Top Einhundertfünfunddreißig,
Ich hätte jetzt so gerne Gernhardt hier,
Auch Hacks und Heine, deren Sachverstand,
Auf Netzwerke und auf das Hauptfeld scheiß ich
Und lebe wohl: Am Meer. An Land. Bei mir.
(für Paulus Böhmer)
Thomas Kunst
Moritz Gause liest ein Gedicht für Paulus Böhmer.
Steffen Popp: Ein Werk wie ein Wal
Welt, 20.9.2016
Paulus Böhmer mit Monika Rinck und Orsolya Kalász
haus-fuer-poesie.org, 12.10.2016
Hessisches Literaturforum im Mousonturm
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Christoph Schröder: Radikal ausufernd
Journal Frankfurt, 7.12.2018
Beate Tröger: Das Universum in uns
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.12.2018
Michael Braun: Ein Rhapsode der Schöpfung
Badische Zeitung, 10.12.2018
Harry Oberländer: No home
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In Erinnerung an Paulus Böhmer: Gespräch des Monats Mai 2019 im Haus für Poesie
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