THEODOR STORM
Trost
So komme, was da kommen mag!
Solang du lebest, ist es Tag.
Und geht es in die Welt hinaus,
Wo du mir bist, bin ich zu Haus.
Ich seh dein liebes Angesicht,
Ich sehe die Schatten der Zukunft nicht.
1885
Lebenszugewandtheit und Zukunftsoptimismus fielen dem nordfriesischen Patrioten, Juristen und Dichter Theodor Storm (1817–1888) schwer. Das Scheitern seiner ersten Liebe wurde zum Quellgrund einer fatalistischen Liebesdichtung, der oft ein Pathos der Verlassenheit beigemischt ist. Storm spricht meist aus der Perspektive einer tragischen Liebesmüdigkeit, die stets das Ende des Glücks vor Augen hat. In der poetischen Miniatur „Trost“, 1885 im Sammelband Gedichte publiziert, scheint sich jedoch das Ich gegen alle melancholischen Anfechtungen zu wappnen.
Nichts scheint in diesem Gedicht der innigen Verbundenheit des Ich mit dem Du etwas anhaben zu können. In der Tagwelt ist die Liebe ungefährdet, sie genießt an allen Orten der Welt ein Heimatrecht. Aber Storms „Trost“-Spruch hat seine Tücken. Denn die Schlusszeile ruft das wieder herauf, was ausdrücklich verbannt werden sollte: In der Negation wird die düstere Schattenwelt unfreiwillig heraufbeschworen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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