IN MEMORIAM DETLEV MEYER
Erschöpft vor lauter Sterblichkeit,
suche ich mir einen anderen Stern,
Lichtjahre entfernt
von allen Niederlagen,
dem dunklen Gedächtnis,
das alle Rätsel hütet,
Anfang und Ende.
Himmel und Hölle lasse ich zurück,
auch den unzuverlässigen Kindergott,
der kein Gebet mehr erhört.
Den verwundeten Schutzengel,
kann ich nicht länger pflegen,
vielleicht,
daß sich ein Held der Liebe annimmt.
Ankunft und Abschied
will ich nicht mehr ertragen.
Zu schwer wiegt die Hoffnung,
der verwunschene Schatz,
den ich zurückgebe den Sterblichen.
Dieser Dichter ist nicht nur gut, sondern auch spannend. Wie Mario Wirz hier seine eigenen Erfahrungen mitteilt, ist eine außerordentliche Leistung. Respekt!
Ernst Jandl
Wirz weist sich als einer der begabtesten zeitgenössischen Literaten deutscher Sprache aus.
Gottfried Wagner
Gesang und Trunkenheit – sie stehen für den Willen zum Genuß, der Wirz nie und nirgends abhanden komme. Selten hat man Texte gelesen, die vom Sterben handeln und doch so reich instrumentiert, so melodiös rhythmisiert sind; man muß sie schätzen, ja lieben.
Tilman Krause
Seine Texte fand ich wundervoll und großartig. Es ist, glaube ich, sehr lange her, seit ich dies das letzte Mal gedacht habe.
Wolfgang Hilbig
Hier geht es um Leben und Tod – im Detail, das nennt man Stil. Wirz ist ein Dichter, dessen Texte auch Leser verführen, die sonst nichts mit Lyrik anfangen können.
Ingrid Caven
Seine Poesie ist sehr, sehr beeindruckend: Kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig. Es gibt ein wunderbares Übereinstimmen vom Gemeinten mit seinem Erscheinen… Wirz ist auch ein sprachgewaltiger Prosaautor, aber seine eigentliche Bestimmung ist die Poesie. Ich liebe und bewundere den Dichter Mario Wirz.
Georges Arthur Goldschmidt
Das ist ein wirklich wichtiges Buch. Ich habe es sogar zweimal gelesen.
Christoph Hein
Er macht aus seinem Leben ein Kunstwerk und lebt seine Lyrik; so wird der Dichter zu Lebzeiten schon unsterblich.
Christoph Klimke
Mario Wirz ist einer der bedeutendsten Lyriker dieser Zeit. Er findet Worte, die unter die Haut gehen, die in Herz und Hirn treffen. Doch Klage und Kampf halten sich bei ihm die Waage. Seine Gedichte vibrieren von unerschütterlichem Lebenswillen. Schwanken und dennoch den Kurs halten, das ist sein Credo… Seine Gedichte atmen. Wenn die Luft knapp wird, hilft er uns zu überleben.
Walter Foelske
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2013
– Gedichte von Mario Wirz in der Reihe Poesiealbum – heute Lesung im Brecht-Haus. –
Vielleicht antwortet Wagemut einzig auf den Mangel an anderen Möglichkeiten. Denn: Muss der Gesättigte wagemutig sein, wenn Früchte hoch oben prangen? Braucht Wagemut, wem die Füllhörner schier bersten? Dem Poeten freilich fruchtet die Welt nicht, und im Füllhorn rauscht ihm die Leere. Der Poet muss also wagemutig sein, er muss erfinden, was ihn sättigen soll, und Teil seiner Gabe ist, dass er nur erfinden kann, was die Hungersnöte an Leben und Lust nur weiter vergrößert. Poesie ist der größte Nimmersatt an Fantasie, sie lässt sich auf der Zunge zergehen, was nach Sehnsucht schmeckt.
Mario Wirz, einer der prägenden, so bewegend staunenswunden, so traumzitternd klugen Dichter des Landes – er ist nun endlich auch Autor im Poesiealbum. Der die Verzweiflung des kranken Körpers kennt, er singt frühe Träume wie eine „Zurüstung für die Unsterblichkeit“, wie Peter Handke die Hoffnung nannte, dies Herzgepäck beim Fall aus allen Wolken des Lebens. Wirz, der die dunklen Rebellionen der fiebernden Seele kennt, er schreibt helle Gedichte, als sei Depression ein unaussprechbares Wort.
Dieser Lyriker, 1956 in Marburg an der Lahn geboren, ist Kind und Reisender – das Kind in uns ist der ewig freche freie Abwesende, wenn wir unser Leben in fortwährende funktionale Anwesenheiten zwingen; und der Reisende in uns ist der ewig freche freie Anwesende, wenn wir unser Leben in fortwährenden Abwesenheiten vom Ich alarmsicher parken. Und vergessen.
In diesen Gedichten über Traumwirklichkeiten und abgründige Psyche tut das Unheil seine Pflicht, junge Katzen werden ertränkt, das Dach überm Kopf fliegt davon, die Kirche bleibt leider im Dorf, aber es gibt auch Joe Cocker gegen das Glockenläuten im Kopf, „du und ich ein Fest“, es existiert die „Ewigkeit, / für den Bruchteil einer Sekunde“ – wie viel Daseinsfeuer lodert in solchen zwei Zeilen.
Diese Gedichte, entnommen mehreren Bänden von Wirz, existieren ganz aus der Traurigkeit des durchblicksgeschärft Leidenden, der zugleich die Trostkraft eines Zukünftigen besitzt. Und dieses zukünftig Anmutende im Aufruf der ersten und letzten Dinge und der Dinge dazwischen kommt aus einem tief verinnerlichten Fühlen und Denken, das Unvereinbares gierig, es schmerzlustvoll zusammenführt:
Während uns die Jahre
mit Heimweh
überfluten
sind wir ganz nah
dem Meer
in uns
Dies Gedicht lächelt, wie nur ein verzweifeltes Wesen souverän lächeln kann. Das ist wie eine Antwort auf Kafka, der von der Poesie als der Axt sprach, das gefrorene Meer in uns aufzuhacken.
Wirz’ Lyrik ist wissendes Ahnen, dass die Lösung der schmerzenden Rätsel nur – im Rätsel liegt. Neue Rätsel, so alt wie die Gattung. Gedichte als Unabhängigkeitserklärung in Räumen einer Freiheit, die es doch nie geben kann. Die ein Wartestand hin zum Unmöglichen ist. Des Menschen Zeit kommt, wenn sie nach landläufigen Maßstäben des gesellschaftlichen Gerechtfertigtseins als vorbei gilt. Und der Poet ist wagemutig aus Notwehr, und was wäre wagemutiger als dieses weinende Augenzwinkern:
Wenn wir glauben
daß wir erloschen sind
leuchtet er auf
unser Stern.
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