fliehende heimat

„ihr, die ihr auftauchen werdet aus der flut, in der wir untergegangen sind …“ (bertolt brecht)

1

lampedusa, lampedusa, keine sonne,
kein mond und keine sterne –
die kinderlieder aus der wonne
wurden umgeschrieben in die ferne.

das satte land ist eine festung,
bewässert von ertrinkenden.
europa baut sich seine rüstung
der nobelpreisend winkenden:

bleibt weg, ihr schwarzen menschen,
in euren unabhängig ländern!
verheerten wir sie einst und kämpften …
bleibt dort in eurigem verenden!

in unser land, wo honig fließt
und „schwarze milch der frühe“,
kommt keiner rein, dem das verließ
gedroht, denn er bedroht auch unsr’e mühe.

wir sind das land der täter,
und deshalb nehmen wir kein opfer auf.
fragt eure, nicht die uns’ren väter,
wohin euch lenkt der flieh’nde lauf.

und flieht auch nicht dem der gewehre,
mit kugeln weisen wir den weg:
wer zu uns will, ist nicht gefährte,
denn brüchig scheint uns unser steg,

wo angelandet ihr aus dem gewässer,
woher ihr kamt, ist euer eigen leid.
wir sind, die leben so viel besser,
und haben uns auf euch noch nie gefreut.

2

doch sind auch andere im land der sel’gen,
die würden euch, ihr menschen,
begrüßen und euch schenken
ein herz für euch, ein uns der wen’gen.

dass über lampedusa schienen sonnen
für euch, und dass ein trautes haus
fände, wer nicht kam mehr raus,
und eine hand, die ihm doch gut gesonnen.

dass der mensch dem gottgegleichten
kein wolf mehr sei und raubgetier,
ein hirte vielmehr schaf und allem wir,
dass wir geschwisterlich vereinten,

was wir sind aus des gottes hand:
ein selbes leben, lieben, sehnen,
ein frei geschlecht, das sich soll wähnen
in selbem boot, das strebt an land.

ein schütt’res in dem großen all,
in wassers weiten ungeborgen und verloren,
kein land in sicht, die ruder schräg verbogen
und sinkende schon vor dem fall.

denn wir, die all der flut entkamen,
aus uns’rem selbst und auch der städte,
die fliehenden vergeblicher gebete,
die fielen selbstverständigt aus den rahmen,

reichen euch die hand aus ausgehob’nen gräben,
dass ihr nicht fallt, wohin wir fielen,
dass da kein hass sei, doch ein lieben,
und einer – wenig – leuchtend euren segeln.

(für all’ die, die fliehen müssen/mussten)

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