Vom Einkaufen kommend, steht Lilly, als ich sie aufschließe, in der Tür. Will nicht, muss aber abreisen. Dann doch nicht. Noch bleiben. Balkon, Nacht schon. Weil wir voneinander (und jeweils uns selbst und unseren Verzögerungen) nicht lassen können.
Räume. Leerstellen. Architekturen (der Zeit – Kluge: „Der Angriff der Gegenwart …“).
Skype-Interview mit dem Komponisten Gerald Eckert. Dienstlich für Vorbericht für Konzert am kommenden Freitag, dann aber beiderseits versunken in Gespräch, philosophisch.
Frage, wie Leerstellen, Zwischenräume, geborgtes weites Feld Raum wird für Kunst. Heimat auch. Die noch nicht wieder geleerten, (nicht) nur von uns selbst beatmeten, geheizten, mit Geruch gefüllten Zimmer.
Mein seltsamer Kontakt mit Künstlern. Komme mir darin immer naiv vor, Doppelblindstudie. Partizipiertes Placebo. Geliehene Erkenntnis.
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Weiten der Räume
Am 27. Dezember feiert der Eckernförder Komponist Gerald Eckert seinen 50. Geburtstag. Auch aus diesem Anlass widmet sich das letzte der diesjährigen Konzerte Neuer Musik in Eckernförde unter dem Titel „Weltende – colours V“ vier Werken Eckerts sowie solchen von Komponisten, die ihn beeinflusst haben.
Inwiefern haben die Komponisten Gerard Grisey, Nicolaus A. Huber, Stefano Gervasoni und Morton Feldman, von denen wir Stücke neben ihren hören werden, Ihr Werk beeinflusst?
Grisey nur entfernt. Er ist ein wichtiger Komponist, den wir in den ersten Block des Konzerts aufgenommen haben, weil er auch für zwei Schlagzeuger komponiert hat. Die anderen beiden Stücke für Schlagzeug-Duo sind Auftragskompositionen von Huber, einem meiner Kompositionslehrer, und von mir. Wobei wir da fast gegensätzlich vorgegangen sind. Huber meint, die Zeiten der Riesenbesetzungen seien vorbei, und schrieb vor diesem Hintergrund sein „Fingercapriccio“, während ich mit „void“ ein halbstündiges, extrem virtuoses Stück mit einer riesigen Anzahl Schlagwerke und damit auch Klangfarben vorgelegt habe. Mit Gervasoni verbindet mich, dass wir ungefähr gleich alt sind, also zur selben Generation von Komponisten Neuer Musik gehören. Und Feldman war indirekt mein Lehrer, weil ich neben Huber auch bei Walter Zimmermann studierte, der seinerseits Feldman-Schüler war.
Wie haben Sie Ihre vier Stücke für das Jubiläumskonzert ausgewählt? Werfen die ein Schlaglicht auf unterschiedliche Schaffensperioden oder Stilistiken Ihres Werks?
Eher nicht. Ich habe sie mehr im Kontext unserer Konzertreihe unter dem Motto „colours – Farben“ ausgewählt. Neben dem Schlagzeug setzen wir in diesem Konzert den Schwerpunkt auf große, orchestrale Besetzungen und deren Farbigkeit. Meine Stücke beleuchten diesen Aspekt aus sehr unterschiedlichen Richtungen. „Bruchstücke … erstarrtes Lot“ ist extrem farbig, zudem sehr lang und schafft sich damit Räume, während es in „void“ um Leerstellen, um das Unaussprechliche am Beispiel des jüdischen Leids im Holocaust geht. Wozu wiederum „offen – fin des terres“ passt, worin Leerräume, Zwischenstellen überbrückt werden. Wobei dies nicht programmatisch zu verstehen ist. Mir geht es um „Architekturen“ von (Klang-) Räumen, die Titel nehmen darauf nur assoziativ Bezug.
Raum ist dennoch ein immer wiederkehrender Topos in Ihren Werken. Ist Ihre Musik eine Kunst des Raums – oder auch seiner Leerstellen?
Mich interessieren Räume in ihrer Unverortbarkeit. In „offen – fin des terres“ hat mich etwa Paul Virilios „Bunker-Archäologie“ angeregt. Darin untersucht er die Bunker des Atlantikwalls und das Phänomen, dass man eine Mauer auch aus Leerstellen, die sich in Geschützreichweiten durchmessen lassen, bauen kann. In solchen uneindeutigen, damit aber nur scheinbar leeren Räumen lässt sich Klang etablieren. Hier weitet sich der Raum aus seiner sonstigen, komplexen Enge, wird sehr fein aushörbar. Da kann ich mit meiner Musik ansetzen.
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