Von Anne Haeming
Seit einem Jahr sitzt Elena Rovati auf der anderen Seite, an ihrem eigenen Schreibtisch im Büro eines Telekommunikationsriesen in Berlin. Sie schaut auf die vielen Verpackungen, die sie gesammelt hat, auf das italienische Magazin, in dem sie zur Inspiration und gegen das Heimweh blättert, und die mitgebrachten Dosen mit Essen. Sie weiß dann: dieser Verpackungsfimmel - typisch Designerin. Diese Sammelei - typisch Frau. Und selbstgekochtes Essen von zu Hause mitbringen - typisch italienisch.
Sie weiß das so genau, weil sie monatelang die Schreibtische anderer analysiert hat. Rovati zog mit ihrer Kamera durch ein Dutzend italienische Callcenter, Banken, Verwaltungen und Designbüros, fotografierte Schreibtische aus allen möglichen Winkeln und stellte Fragen: Seit wann arbeiten Sie hier? Welches Ding auf Ihrem Tisch würden Sie am meisten vermissen, welches gar nicht? Dann zählte sie die Objekte auf jedem Schreibtisch mit einer Strichliste. "Man merkt, wenn jemand viele Jahre in einem Büro arbeitet", sagt Rovati. Die Menschen richten sich dann ein.
Als Studentin war die Italienerin Teil einer internationalen Studie: Rund hundert Designstudenten knipsten 686 Bürotische in Auckland, im indischen Pune, in Taipeh, Hongkong, Kairo, Mailand oder Köln. Ein Teil der 10.000 Fotos ist abgedruckt im Buch "My Desk is my Castle". Hinter dem Projekt stehen die Designtheoretiker Michael Erlhoff und Uta Brandes. Als Seminarthema an der Kölner International School of Design nahm die Idee ihren Anfang.
Bloß nicht alles Private verbieten
"Die Dinge auf Bürotischen dienen dazu, den eigenen Status zu demonstrieren und sein Territorium zu markieren", sagt Uta Brandes. Was nicht auf den Tisch passt oder nicht gesehen werden soll, landet in der Schublade darunter, "die ist wie das Schlafzimmer zu Hause", der privateste Ort im Büro. "In einigen Firmen, die wir für die Studie untersuchten, gab es auch strenge Regeln: nichts auf dem Tisch, nichts an der Wand. Die Atmosphäre war freudlos." Brandes ist überzeugt: "Alles zu verbieten, wirkt sich richtig schlecht auf die Effizienz aus."
Vier Branchen reizten die Forscher besonders:
Als alle Fotos, alle Antworten und Strichlisten vorlagen, merkten die Forscher: Arbeitsplätze innerhalb eines Büros glichen sich. Dass ein Tisch ganz penibel leer ist und der daneben mit Überraschungseifiguren zugestellt, das fanden die Forscher nirgends. Auch in den Branchen sahen die Schreibtische ähnlich aus: "Ich hätte gedacht, dass die Kreativbüros schlichter, minimalistischer wären", so Elena Rovati. "In Callcentern war das persönlichste Stück die private Tasche von Angestellten."
Klarer Fall: Asiaten sind Volltischler
Nachgezählt: In Callcentern fanden die Studenten sieben Gegenstände pro Tisch, in Kreativbüros 17. In Hongkong sammelten sich sagenhafte 2709 Objekte auf 71 Tischen, in Köln nur 760 an 94 Arbeitsplätzen. "Designer in Asien sahen die Fotos europäischer Designbüros und sagten: 'Wie können die in einer derart klinischen Atmosphäre arbeiten!'", so Brandes. "Und die Europäer fanden umgekehrt: 'Wie können die bei so viel Kitsch klar denken!'" Dass gerade Asiaten sogenannte Volltischler sind, hat auch praktische Gründe: Wohnraum ist knapp, "viele lagern Dinge von zu Hause ins Büro aus".
Überhaupt ist der Arbeitsplatz auch ein Kommunikationsmedium - man zeigt, wer man ist. Etwa mit Familienfotos, so Brandes: "Die stehen nicht da, wo ich selbst von meinem Stuhl aus draufschaue, sondern so, dass die Kollegen, die daran vorbeigehen, sie sehen." Eine Karnevals-Devotionalie erinnert an den Ausflug mit Kollegen; eine Porzellanfigur, die man eigentlich scheußlich findet, darf bleiben, weil sie das Geschenk einer Kollegin ist.
Leerer Tisch, wichtiger Job
Vor allem aber demonstriert der Schreibtisch den Erfolg im Unternehmen. "Je wichtiger einer in der Firma ist", so Brandes, "desto größer und leerer ist der Schreibtisch." Top-Manager sind schließlich immer unterwegs. Und brauchen den Tisch kaum.
Universell eklatant: Egal in welchem Land, egal in welcher Branche - meist ist flott zu erkennen, ob ein Mann oder eine Frau am Tisch arbeitet. Auf manchen Fotos sieht man auf den ersten Blick nur Pink, Lila, viele flauschige, runde Dinge und Handcreme. Auf anderen dominiert Dunkelblau, Schwarz und Metall, "da liegen dann Autoschlüssel und Handy, lässig auf den Tisch geworfen". Alle Klischees seien bestätigt worden, sagt Brandes.
Die ersten Büromöbelhersteller haben sich schon bei Uta Brandes gemeldet. Sie sieht Büros längst mit anderen Augen: "Jeder Schreibtisch unterliegt jetzt meiner strengen Analyse", sagt sie und lacht. Auch ihr eigener: "Ich dachte immer, mein Schreibtisch sei wahnsinnig sachlich. Aber hinten steht gänzlich nutzlos ein Art-déco-Tintenfass-Set, daneben ein Parfum, obwohl ich mich nicht dauernd einsprühe, eine Tasche mit Kleinkram, eine kleine Holzdose für Stifte. Vor unserer Studie hatte ich ein cooleres Selbstbild."
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