Von Michael Fröhlingsdorf
Hamburg - Die "Atomsuppe" ist endlich angerichtet. Fast 20 Jahre lang gammelten 60.000 Liter plutoniumverseuchte Salpetersäure im Atomforschungszentrum im Karlsruher Hardtwald in großen Tanks vor sich hin. Inzwischen aber ist der schwierigste Teil beim Rückbau der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe geschafft, die gefährliche Brühe ist in den vergangenen Monaten in Glaskokillen eingeschweißt worden.
In der Nacht zum Mittwoch soll der Atommüll in fünf Castorbehältern nach Lubmin bei Greifswald gebracht werden. Im "Zwischenlager Nord" wird die strahlende Fracht so lange deponiert, bis die Bundesrepublik einmal ein atomares Endlager für hochaktiven Strahlenmüll gefunden hat.
Die Atomkraftgegner gehen wieder einmal auf die Straße und wollen, wie gewohnt, die Schienen blockieren. Anders aber als bei den sich jährlich wiederholenden Protesten im Wendland dreht sich diesmal nicht alles um die ungeklärte Endlagerfrage. Es geht auch darum, welche Zeche die Bürger heute für den einstigen Traum vom besonders preisgünstigen Atomstrom zahlen müssen.
Die Karlsruher Atomsuppe ist nämlich der traurige Rest eines gescheiterten atomaren Versuchs - und symbolisiert zugleich ein Milliarden-Fiasko. Die badische Atomfabrik sollte nämlich einst als Pilotanlage für die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf dienen. Damit wollten Politik und Energiewirtschaft bis in die achtziger Jahre hin den nuklearen Brennstoffkreislauf in Deutschland schließen.
In Wackersdorf, so der Plan, sollten die abgebrannten Brennstäbe deutscher Kernkraftwerke aufgearbeitet werden. Zunächst aber gingen die bestrahlten Brennstäbe ab 1971 nach Karlsruhe. Die Anlage in Wackersdorf allerdings wurde niemals fertig gestellt. Im Gegenteil, nach heftigen Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Demonstranten beerdigten Bundesregierung und bayerischen Landesregierung das Projekt 1989.
500 Millionen Euro Mehrkosten
Ein Jahr später war auch in der Karlsruher Versuchsanlage Schluss. Gut 200 Tonnen Brennstäbe sind dort in 19 Jahren aufgearbeitet worden. Seither geht es nur noch um die Frage, wie die Altlast beseitigt werden kann - und wer dafür aufkommt.
Klar ist: Der Rückbau wird immer teurer.
Strahlende Rauchwolke
So sorglos die Verantwortlichen mit Steuergeldern umgingen, so unbekümmert war in Karlsruhe auch der Umgang mit radioaktiven Stoffen. Vor allem in den siebziger Jahren kam es zu etlichen Zwischenfällen, wie alte Unterlagen belegen. Mal landeten atomare Stoffe im Hausmüll, mal sickerte verstrahltes Abwasser ins Erdreich, weil Rohre über Monate hinweg unbemerkt leckten. Alleine 16 mal musste 1974 Mitarbeiter Brände in der Anlage löschen, mindestens einmal zog dabei auch eine strahlende Rauchwolke über das Gelände.
Aus heutiger Sicht auch kurios ist ein Vorgang aus dem Jahre 1975: Bei einem Transport Plutonium über den Hof habe sich das "Klebeband, das um den Deckel des Abschirmbehälters geklebt war", gelöst, heißt es in einem Vermerk. Deshalb habe "radioaktive Flüssigkeit" auslaufen können. 1974 rief die Pannenserie gar den damalige Bundesinnenminister Werner Maihofer auf den Plan. Die "Häufigkeit der Vorkommnisse" lasse auf "systematische Schwierigkeiten in der Anlage schließen", stellt er in einem Brief an den Bundestag mit. Die Fehler lägen unter anderem daran, dass die Anlage zu wenig Platz habe, um radioaktiven Müll zu lagern. Offenbar lief der Abtransport der Fässer ins Atommülllager Asse nicht so schnell wie geplant.
Der Politiker hatte auch eine gute Nachricht: Die Bevölkerung müsse sich keine Sorgen machen. Es bestehe keine Gefährdung, "obwohl einige der Vorkommnisse vorübergehende Kontaminationen in der näheren, allerdings unbewohnten Umgebung des Kernforschungszentrums verursachten."
Auf anderen Social Networks posten:
HilfeLassen Sie sich mit kostenlosen Diensten auf dem Laufenden halten:
alles aus der Rubrik Politik | Twitter | RSS |
alles aus der Rubrik Deutschland | RSS |
alles zum Thema Anti-Atomkraft-Bewegung | RSS |
© SPIEGEL ONLINE 2011
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH