13.07.1992

Tagebuchschreiber Goebbels über die „Reichskristallnacht“

9. November 1938
Abends Bürgerbräu. Das alte Zeremoniell . . . Die alten Kämpfer begrüssen mich sehr herzlich. Der Führer spricht. Eine phantastische Rede . . .
Einladung des Führers in den Führerbau. Die alten Gauleiter . . . (Reichsleiter Martin) Bormann hält mir einen längeren Vortrag über den 50. Geburtstag des Führers. Nachher noch mit dem Führer zum Cafe Heck. Wie oft haben wir hier gesessen . . . Erst nachts um 3h brechen wir auf . . .
10. November 1938
Gestern: der traditionelle Marsch vom Bürgerbräu zur Feldherrnhalle und dann zum Königlichen Platz. Es ist ein grauer Novembertag. Unübersehbare Menschenmassen umsäumen die Straßen. Am Königlichen Platz die große Totenfeier . . . (Reichsführer SS Heinrich) Himmler hat doch allerhand auf die Beine gestellt . . .
Das Befinden des von dem Juden angeschossenen Diplomaten (Ernst vom) Rath in Paris ist weiterhin sehr ernst. Die deutsche Presse geht mächtig ins Zeug . . . In Kassel und Passau . . . Synagogen in Brand gesteckt und Geschäfte demoliert. Nachmittags wird der Tod des deutschen Diplomaten vom Rath gemeldet . . .
Ich gehe zum Parteiempfang im alten Rathaus. Riesenbetrieb. Ich trage dem Führer die Angelegenheit vor. Er bestimmt: Demonstrationen weiterlaufen lassen. Polizei zurückziehen. Die Juden sollen einmal den Volkszorn zu verspüren bekommen. Das ist richtig. Ich gebe gleich entsprechende Anweisungen an Polizei und Partei. Dann rede ich kurz dementsprechend vor der Parteiführerschaft. Stürmischer Beifall. Alles saust gleich an die Telephone. Nun wird das Volk handeln.
Einige Gauredner machen schlapp. Aber ich rufe immer wieder alles hoch. Diesen feigen Mord dürfen wir nicht unbeantwortet lassen. Der Stoßtrupp Hitler geht gleich los, um in München aufzuräumen _(* Goebbels (Pfeil). ) . . . Eine Synagoge wird in Klump geschlagen . . . Ich gebe nun ein präzises Rundschreiben heraus, in dem dargelegt wird, was getan werden darf und was nicht. (Gauleiter Adolf) Wagner bekommt kalte Füsse und zittert für seine jüdischen Geschäfte. Aber ich lasse mich nicht beirren. Unterdeß verrichtet der Stoßtrupp sein Werk. Und zwar macht er ganze Arbeit. Ich weise (Abteilungsleiter im Propagandaministerium Werner) Wächter in Berlin an, die Synagoge in der Fasanenstraße zerschlagen zu lassen. Er sagt nur dauernd: "Ehrenvoller Auftrag" . . .
Ich will ins Hotel, da sehe ich am Himmel blutrot. Die Synagoge brennt. Gleich zum Gau. Dort weiß noch niemand etwas. Wir lassen nur soweit löschen, als das für die umliegenden Gebäude notwendig ist. Sonst abbrennen lassen. Der Stoßtrupp verrichtet fürchterliche Arbeit. Aus dem ganzen Reich laufen nun die Meldungen ein: 50, dann 75 Synagogen brennen. Der Führer hat angeordnet, daß 20 - 30 000 Juden sofort zu verhaften sind. Das wird ziehen. Sie sollen sehen, daß nun das Maß unserer Geduld erschöpft ist . . . In Berlin brennen 5, dann 15 Synagogen ab. Jetzt rast der Volkszorn . . . Laufen lassen . . .
Als ich ins Hotel fahre, klirren die Fensterscheiben. Bravo! Bravo! Wie alte große Hütten brennen die Synagogen. Deutsches Eigentum ist nicht gefährdet. Im Augenblick ist nichts besonderes mehr zu machen. Ich versuche, ein paar Stunden zu schlafen.
Morgenfrüh kommen die ersten Berichte. Es hat furchtbar getobt. So wie das zu erwarten war. Das ganze Volk ist im Aufruhr. Dieser Tote (Ernst vom Rath) kommt dem Judentum teuer zu stehen. Die lieben Juden werden es sich in Zukunft überlegen, deutsche Diplomaten so einfach niederzuknallen. Und das war der Sinn der Übung . . .
Führerrede im Bürgerbräu findet ein sehr aggressives Echo in London und Paris. Das war ja auch zu erwarten. Wenn man den Kriegshetzern auf die Finger klopft, dann schreien sie auf. Den ganzen Morgen regnet es neue Meldungen. Ich überlege mit dem Führer unsere nunmehrigen Maßnahmen. Weiterschlagen lassen oder abstoppen? Das ist nun die Frage . . .
11. November 1938
Gestern: Berlin. Dort ist es ganz toll vorgegangen. Brand über Brand. Aber das ist gut so. Ich setze eine Verordnung auf Abschluß der Aktionen auf. Es ist nun gerade genug . . . Gefahr, daß der Mob in die Erscheinung tritt. Im ganzen Lande sind die Synagogen abgebrannt . . .
In der Osteria erstatte ich dem Führer Bericht. Er ist mit allem einverstanden. Seine Ansichten sind ganz radikal und aggressiv. Die Aktion selbst ist tadellos verlaufen. 100 Tote. Aber kein deutsches Eigentum beschädigt.
Mit kleinen Änderungen billigt der Führer meinen Erlaß betr. Abbruch der Aktionen. Ich gebe ihn gleich durch Presse heraus. Der Führer will zu sehr scharfen Maßnahmen gegen die Juden schreiten. Sie müssen ihre Geschäfte selbst wieder in Ordnung bringen. Die Versicherungen zahlen ihnen nichts. Dann will der Führer die jüdischen Geschäfte allmählich enteignen . . . Ich gebe entsprechende Geheimerlasse heraus. Wir warten nun die Auswirkingen im Ausland ab. Vorläufig schweigt man dort noch. Aber der Lärm wird ja kommen . . .
Im Hotel weitere Arbeit. Ich gebe noch ein paar Rundrufe heraus. Damit glaube ich ist die Judenaktion vorläufig erledigt. Wenn nicht noch ein paar Nachspiele kommen. Juden sind am Ende doch sehr dumm. Und sie werden ihre eigenen Fehler teuer bezahlen . . .
Nur in Bremen ist es zu einigen unliebsamen Exzessen gekommen . . . Es kommen Meldungen aus Berlin über ganz enorme antisemitische Ausschreitungen. Jetzt geht das Volk vor. Aber nun muß Schluß gemacht werden. Ich lasse an Polizei und Partei dementsprechende Anweisungen ergehen. Dann wird auch alles ruhig . . . *HINWEIS: Im nächsten Heft Tagebuchschreiber Goebbels über das Röhm-Massaker 1934 und das mißlungene Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944
* Goebbels (Pfeil).
Von Joseph Goebbels

DER SPIEGEL 29/1992
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