Denn sie wissen (auch) nicht, was sie tun
Ein hochrangiger Politiker der schwarz-gelben Koalition sagte mir im vergangenen Jahr zur Krisenpolitik der Bundesregierung: “Wir wissen nicht, ob das richtig ist, was wir tun. Es gibt für diese Krise keine Blaupause, keinen Masterplan, keine Erfahrung, auf die wir zurückgreifen können. Aber wir handeln nach bestem Wissen und Gewissen”. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Die Politik in der Euro-Krise ist deshalb ein permanenter Widerspruch. Was gestern noch galt, gilt heute nicht mehr. Brandmauern werden vor dem nächsten Feuer schon wieder eingerissen, Beschlüsse haben manchmal nur eine Laufzeit weniger Tage. Die Regierenden, nicht nur in Deutschland, sind Getriebene, nicht Handelnde, mühen sich meist redlich, wissen aber nicht, ob das richtig ist, was sie tun.
Aber sie müssen so tun, als hätten sie den Masterplan, den es nicht gibt. Denn, wenn die Regierten wüssten, dass die Regierenden auch nicht mehr wissen als sie, dann würden sie die Banken stürmen.
Keiner weiß, welcher Schaden am Ende größer ist: Der durch ein Ende des Euro oder der durch eine schleichende oder endgültige Vergemeinschaftung der Schulden. Wahrscheinlich kommt der (heutige) deutsche Wohlstand so oder so unter die Räder. Also laviert die Kanzlerin, gibt mal ein bisschen nach, um dann wieder – bis zum nächsten Nachgeben – Härte zu demonstrieren.
Und zwischen den Terminen in Brüssel und Berlin bleibt nicht einmal mehr die Zeit, zu reflektieren oder gar zu erklären, was man gerade entschieden hat. Und es geht immer mehr an die physische und psychische Substanz.
So hilflos war Politik noch nie. Und umzingelt sind die Regierenden dabei von Horden von Besserwissern. Von Professoren, selbsternannten Experten, Journalisten, Bankmanagern mit durchsichtigen Interessen, professionellen Nörglern. Sie wissen zwar auch nichts, aber alles besser. Und sie tragen keine Verantwortung.
In solchen Zeiten Politik zu machen, ist zutiefst deprimierend – und für die Wähler desillusionisierend.
Die einzigen, die wissen was sie tun, sind die sogenannten Märkte. Sie spielen die Staaten gegeneinander aus, wechseln blitzartig Interessen und Aktionen, immer dorthin, wo aus der Krise am meisten Kapital zu schlagen ist.
Deshalb ist, nach der staatlichen Schuldenpolitik vergangener Jahrzehnte, das wirklich große Versagen der Politik, bis heute nicht die Märkte, Hedgefonds und Banken diszipliniert zu haben. Für sie sind Politiker nur noch Marionetten in ihrem großen Geldgier-Spiel.
Die Wanderung am Abgrund wird weitergehen. Die widersprüchliche, tastende, suchende Krisenpolitik und die tägliche Angst vor dem Absturz werden noch viele Jahre unsere Begleiter sein. Unabhängig davon, wer regiert. Denn alle gehören zur ganz großen Koalition derjenigen, die (auch) nicht wissen, was sie tun oder tun könnten. Auch die Verfassungsrichter.
P.S. Ich gebe zu, dieser Kommentar hinterlässt Ratlosigkeit. Aber das ist der Kern der Krisenpolitik.
