Literatur im Lichthof - Weitwinkel
Bernhard Sandbichler: „Quartessenz“ – eine Momentaufnahme aus 4 x 4 Ausgaben
„Ein interessantes publizistisches Produkt mit aktuellen Glossen und Kommentaren“ – und 10 Jahre ist es auch noch geworden. Aber darum geht’s nicht wirklich, um diese „Zeitschrift des Forums Kunst-Wissenschaft-Medien“, die „Quart“ heißt und letztes Jahr ein rundes Jubiläum feierte. Die erscheint in Wien in der Nachfolge von Otto Mauers „actio catholica“, und Ansinnen der Redaktion war es von Beginn an, die Zeitschrift aus der Eigentümer- und Herausgeberschaft der Österreichischen Bischofskonferenz herauszulösen. Das bedeutet natürlich auch aufgrunddessen: kleinstes Budget, ehrenamtliche Redaktion. Wenn hier Beiträge erscheinen, sind die Beiträger tatsächlich dafür „gewonnen“ worden und nicht bezahlt. Doch hier geht es um die Tiroler „Quart“, das Nachfolge-Produkt für Wolfgang Pfaundlers „Das Fenster“, das vor mittlerweile zehn Jahren von der Kulturabteilung des Landes Tirol in Auftrag gegeben wurde und das zwar den gleichen Titel trägt, der Wiener „Quart“ aber jedenfalls geografisch und vermutlich auch ideologisch diametral entgegengesetzt ist. Die ersten zwei „Quart Heft[e] für Kultur Tirol“ erschienen 2003, und so sind es im Lauf von acht Jahren 2 x 8, also 16 Hefte geworden, marketingtechnisch gewiefter formuliert: „4 x 4 Ausgaben der Kulturzeitschrift Quart“. Daraus wurden im letzten Bücherherbst zwei Essenzen destilliert, kurz „Quartessenz“ – und fertig ist der Kalauer. Autofokus Das Wichtigste ist, dass diese Essenzen – gefühlte 2000 Seiten eingedampft auf ca. 400 + 500 – fotogen herzeigbar sind. Hergezeigt wurden sie am 14.10.2011 auf der 54. Kunstbiennale in Venedig. Nicht dass gleich die halbe Welt davon Notiz genommen hätte; aber zumindest die Tirol-Werbung hat darüber berichtet und man lernt daraus: Wer zahlt, will auch etwas für sein Geld haben. Im O-Ton und in voller Länge klingt das so: „Die 54. Kunstbiennale in Venedig bildete am vergangenen Freitag das außergewöhnliche Ambiente für die Präsentation eines außergewöhnlichen Werkes: ‚Quartessenz‘. Auf über 900 Seiten wurde ‚das Beste vom Besten‘ der bisher erschienenen Ausgaben des preisgekrönten Tiroler Kulturmagazins QUART in Buchform zusammengefasst. Im Beisein von Finanzministerin Maria Fekter, der Tiroler Kulturlandesrätin Beate Palfrader und dem Geschäftsführer der Tirol Werbung, Josef Margreiter, standen die Giardini der Lagunenstadt ganz im Zeichen von Kultur ‚Made in Tirol‘. Retusche Der Auftraggeber drückt seine Wertschöpfung und -schätzung ganz unverblümt aus, durchaus zu Recht. Von anderer Seite, der kritisch rezipierenden „architektur.aktuell“, wurde diesbezüglich angemerkt: Objektiv Design, so heißt es in dem unlängst auf Deutsch publizierten Blog des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, sei nur dann wirklich gut, wenn es den Menschen auf einer höheren Ebene berühre. Wenn es über Lösungen für eine höhere Geschwindigkeit oder größere Bequemlichkeit hinausgehe, ohne dass geklärt wäre, was diese uns letztlich brächten. Auf „Quart“ umgelegt, muss man feststellen: Die letzten Jahre haben jede Menge Design erbracht, das über Lösungen für die dargestellte konstruierte und dekonstruierte Kunst hinausgeht, „ohne dass geklärt wäre, was diese uns letztlich brächten“. Das mag für gutes Design sprechen, für einen nutzbaren Diskurs der Kunst spricht es nicht. Wo aber alles unstrittig Kunst ist, muss jede Kunst verkümmern. Sie wirkt saturiert, handzahm, elitär. Ob das wirklich ideal ist? Unschärfe Nein, überhaupt nicht. Natürlich bringt uns jede neue „Quart“-Nummer eine neue originelle Originalbeilage, und selbstverständlich sind alle Beiträge der beiden Publikationen „essenziell“, von feinsten Autoren, von feinsten Künstlern. All das kann man sich guten Gewissens einverleiben; aber was man sich da einverleibt, ist bloß ein weiterer Kunstfetisch – und davon gibt es genug. Am besten hat diese Kritik meines Erachtens Andreas Schett selbst auf den Punkt gebracht. Es war pikanterweise in der letzten Nummer des „Fenster“ (Nr. 70, Herbst 2000), wo steht: „Auch die Kulturveranstalter müßten wieder ein besseres Urteilsvermögen entwickeln, nicht nur fünf neue Namen einkaufen, damit auch Zeitgenossen vertreten sind. Ein Veranstalter im Bereich der Neuen Musik müßte fähig sein, zu einem Komponisten zu sagen: ‚Das ist einfach spekulativ, was du da machst.‘ Dann entsteht nämlich etwas, was wirklich fehlt: Diskurs!“ Schett spricht in der Folge von der Notwendigkeit, „wieder ein anderes Verhältnis zwischen einem produzierenden und einem interpretierenden Musiker herzustellen.“ Auf „Quart“ umgelegt heißt das meines Erachtens: Es wäre notwendig, wieder ein anderes Verhältnis zwischen produzierenden Künstlern und rezipierenden Kulturkonsumenten herzustellen, und zwar vermittels Urteilsvermögens. Schön wäre: weniger spekulatives Event, mehr Diskurs. Das käme beiden Seiten zugute: den Künstlern und den Kulturkonsumenten. Klar ist, dass sich ein derartiges Unterfangen nicht mehr wie zu Pfaundlers Zeiten so bündeln lässt, dass es herzeigbar ist; und „Quartessenzen“? Würden wahrscheinlich auch nicht in dieser Form abfallen. Belichtung Wer übrigens nicht so sehr auf die Wertschätzung der Tirol-Werbung anspricht, der kann auch auf folgende Quintessenz zurückgreifen: die Beiträge von Florian Gasser im „Datum“ oder auf den Österreich-Seiten der „Zeit“, „Mole. Medium für kulturelle Nahversorgung Tirol“, „Kunstzeitung“, „Spuren – Zeitung für Gegenwärtige“ oder „Volltext“. „Oder“, nicht „und“, weil es gibt da noch ein paar andere. Die eingangs erwähnte „Zeitschrift des Forums Kunst-Wissenschaft-Medien“ gehört nicht unbedingt dazu, und das Ehrenamt für Beiträger ist auch nicht unbedingt erstrebenswert. Sie diente nur der Hinführung zur Klarstellung, was uns „Quart“ letztlich bringt.
Heidi Hackl, Andreas Schett (Hg.): Quartessenz. Beiträge aus 4 x 4 Ausgaben der Kulturzeitschrift Quart. Eine Anthologie, 384 Seiten, EUR 29,90 Heidi Hackl, Andreas Schett (Hg.): Quartessenz. Texte aus 4 x 4 Ausgaben der Kulturzeitschrift Quart. Ein Lesebuch. 508 Seiten, EUR 24,90 ----------------------- [i] http://www.tirolwerbung.at/xxl/de/presse/_pressid/1591523/index.html (11.04.2012)
Manuela Schwärzler: Innsbrucker Gender Lectures I, Band 1 Ist der vorliegende, in der innsbruck university press erschienene, aus einer Vortragsreihe des feministischen Forschungsschwerpunkts hervorgegangene interdisziplinäre Sammelband das Produkt einer pragmatischen Wende, wie sie beispielsweise Nancy Fraser vor beinahe 20 Jahren für die feministische Theoriebildung in Umrissen entwarf? Im Zuge meiner Überlegungen ein essayistisches Bild von Gert Chesi für diese Rubrik zu entwerfen und in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei ihm um einen herausragenden, äußerst profilierten und versierten Fotografen handelt, der sich selbst Zeit seines Lebens mit Menschenbildern beschäftigt hat, erschien es mir nicht uninteressant, ihm einen Fragebogen vorzulegen. Die Idee an sich ist natürlich nicht neu; entstanden ist sie im späten 19. Jahrhundert in England als Salon-Zeitvertreib. Die Franzosen haben sie bereitwillig übernommen und Marcel Proust, der große Marcel Proust, hat einen solchen Fragebogen 1890 voll Esprit ausgefüllt. Daher die Bezeichnung: der „Proust-Fragebogen“. 1924 tauchte ebendieser wieder auf und 2003 wurde das Manuskript um über 100.000 Euro versteigert. Bernard Pivot, der französische Reich-Ranicki, hat die Idee für seine Literatur-Sendung Bouillon de la Culture übernommen, James Lipton für sein TV-Interview-Format Inside the Actors Studio, die FAZ als „Herausforderung an Geist und Witz“ für ihr Magazin. Die Idee ist also allemal den – leicht adaptierten – Versuch wert. Ihre Lieblingsbeschäftigung? Wo möchten Sie leben? Was schätzen Sie an Togo am meisten/ wenigsten? Was schätzen Sie an Tirol am meisten / wenigsten? Apropos „Tirol“: Hofer oder Gaismair? Welchen Fehler entschuldigen Sie am ehesten, welchen nie? Welche der sieben Todsünden wird überschätzt? Apropos „überschätzt“ Handke oder Bernhard? Ihr/e Lieblingslyriker/in? Ihr/e Lieblingsbuch? Ihre Lieblingsfiguren in der Dichtung? Ihre HeldInnen in der Wirklichkeit? Ihre HeldInnen in der Weltgeschichte? Wem wären Sie lieber nie begegnet? Welche Kunstausstellung der letzten Zeit war für Sie die beste? Ihr/e Lieblingsmusiker/in? Ihr Lieblingsfilm? Welche Eigenschaft schätzen Sie bei einem Mann am meisten? Welche bei einer Frau? Welche an sich? Ihr größter Fehler? Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen? Wer oder was hätten Sie sein mögen? Was wäre für Sie das größte Unglück? Ihre Lieblingsfarbe und -blume? Ihr Lieblingsessen und -trinken? Ihre Lieblingsnamen? Ihr Lieblingswort? Welche Reform bewundern Sie am meisten? Welchen Lebenstraum haben Sie aufgegeben? Wie möchten Sie sterben? Und dann?
Zu Gert Chesi:
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