Rezensionen 2008
Johann Holzner, Alois Hotschnig (Hg.), Wechselnde Anschriften
Innsbruck university press 2008, 176 Seiten
Was haben Autoren, die Texte in einer Anthologie veröffentlichen, eigentlich gemeinsam –abgesehen von der Lust am Schreiben? Sie schreiben entweder Texte der gleichen literarischen Gattung, leben in der gleichen Epoche, in der gleichen Region oder schreiben Texte zu den gleichen Themen und Erlebnissen. So weit so gut. Der Verlag innsbruck university press beschritt einen neuen Weg und fasste mit seiner Anthologie „Wechselnde Anschriften“, herausgegeben von Johann Holzner und Alois Hotschnig, den Begriff etwas weiter. Darin werden nämlich Texte von 21 Autorinnen und Autoren zusammengefasst, die entweder an der Universität Innsbruck studiert oder gelehrt haben. Dabei spannt sich der Bogen von Bettina Galvagni, von der man schon längere Zeit nichts mehr gehört hat, bis Friederike Mayröcker, die jedes Jahr aufs Neue als potentielle Literaturnobelpreiskandidatin gehandelt wird. Manche wie Kerstin Mayr, Carolina Schutti, Roger Vorderegger und Erika Wimmer arbeiten weiterhin an der Universität Innsbruck, im Brenner-Archiv. Etwas unkonventionell, aber spannend, was einem da an unterschiedlichsten Texten entgegenblättert, versammelt das Bändchen doch Erzählungen, Gedichte und einen Sachtext von Autorinnen und Autoren, jedoch ohne zu werten, in welchem Sinn auch immer. Die Texte sind alphabetisch nach den AutorInnen-Namen gereiht.
So macht der 1972 geborene Schriftsteller und Fotograf Bernhard Aichner den Anfang, dessen neuer Roman „Schnee kommt“ im Oktober 2008 bei Skarabaeus herauskam. 2004 wurde sein Stück „Pissoir“ in Innsbruck uraufgeführt. Der mit dem zweiten Preis der Stadt Innsbruck für sein künstlerisches Schaffen ausgezeichnete Autor beschäftigt sich in seiner Erzählung mit den Themen Einsamkeit und dem Alleinsein, dem Sein ohne Familie. So melancholisch der Text auch beginnt, so viel Hoffnung steckt im Ende, das das Sprichwort „die Hoffnung stirbt zuletzt“ wahr werden lässt.
Die 1982 geborene Autorin, Barbara Aschenwald, die Lyrik, Prosa und Hörspiele veröffentlicht, entführt den Leser mit ihrem lyrischen Text zu sich selbst. Wie gut kennt man sich eigentlich, den anderen, kann man sich durch den sozialen Umgang mit anderen erst wirklich kennen lernen? Fragen, die Barbara Aschenwald durch den bewussten Verzicht der Zeichensetzung gleichsam dem Leser als Aussagen in den Mund legt.
Christoph W. Bauer, 1968 geboren, beschäftigt sich in einem seiner Gedichte mit einem ähnlichen Thema, nämlich wie fremd sind wir in uns. Bauer versteht seine Lyrik als den Versuch des Weiterschreibens vorgegebener Traditionen und bezeichnet sich selbst als poeta legens. 2002 gewann er den erstmals vergebenen Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Im September 2008 erschien sein Roman „Graubart Boulevard“ im Haymon Verlag.
Der Text der 1962 geborenen Südtirolerin Maria E. Brunner, die seit 2000 als Professorin für deutsche Literatur an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd lehrt, fällt etwas aus der Reihe, weil es sich um den einzigen Sachtext handelt, der den Realismus in Fontanes Werken thematisiert. Da hätte ein wachsames Auge der Herausgeber gut getan, um den wirklich lesenswerten Text nicht in Geschichten und Gedichten untergehen zu lassen.
Sabine Eschgfäller, Jahrgang 1976, seit 2008 Universitätsassistentin für deutsche Literatur an der Palacky-Universität in Olomouc in Tschechien, spielt in ihren Gedichten mit der Auflösung der Sprache, um Atmosphäre zu erzeugen.
Um die folgende Autorin ist es in den letzten Jahren still geworden. Die 1976 in Südtirol geborene Bettina Galvagni wurde in den 1990er-Jahren als „Wunderkind der österreichischen Literatur“ gefeiert und kam dann nach ihrem zweiten Buch „Melancholia“ 2002 unter die Räder des erbarmungslosen Literaturbetriebs. In ihrem Text „Die Schwäne aus Straßburg“ changiert sie zwischen Traum, Wunsch und Wirklichkeit, wodurch ihre beiden Protagonisten dem Leser unfassbar bleiben.
Die 1963 in Meran geborene, vielfach ausgezeichnete Sabine Gruber schreibt über lieb gewonnene Gewohnheiten, über die man sich oft aufregt, ohne die man aber nicht mehr leben kann.
Barbara Hundegger, Jahrgang 1963, nähert sich in einem ihrer Gedichte auf ihre ganz persönliche Weise der von Zaha Hadid gestalteten Bergisel Sprungschanze. Ihr Stück „kein Schluss bleibt auf der andern. Nutte, Nonne, Lesbe – drei mal raten zählen bis drei“ wurde 2003 in Innsbruck uraufgeführt.
„Der Untergang der Romanshorn“, der Text von Ulrike Längle, seit 1984 Leiterin des Franz-Michael Felder Archivs, erzählt vom Untergang der Fähre nach Romanshorn in einer sehr realistischen Erzählweise, die den Leser bis zum Höhepunkt in seinen Bann zieht, um ihn dann wie die Protagonisten am Ende stranden zu lassen.
Eines der Gedichte von Sepp Mall, Schriftsteller und Lehrer, hat dem Bändchen seinen Titel „Wechselnde Anschriften“ gegeben. Der Autor versteht es gekonnt, den Leser mit wenigen Zeilen auf eine Reise der „Sprachmusik“ mitzunehmen.
„Kopfkino“ oder wie heißt es so schön, Lesen ist Abenteuer im Kopf, das lässt Kerstin Mayr, von ihrer Ausbildung her auch Lehrerin, in ihren Texten entstehen, Figuren, die durch wenige Andeutungen und Gesprächsfetzen plastisch werden.
Über 80 Werke sind es, die Friederike Mayröcker bisher veröffentlicht hat. Die 84-jährige Schriftstellerin hat an der Universität Innsbruck eine Poetikvorlesung gehalten. Daher die Aufnahme in diese Anthologie, die hoffentlich nicht nur den Kennern, sondern auch Lesern, denen der Mayröcker-Kosmos bisher noch verschlossen blieb, einen Einblick in die Sprachexperimente der besessenen Vielschreiberin gibt.
Josef Oberhollenzer entnimmt klassischen Gedichten wie zum Beispiel der „Mondnacht“ von Joseph von Eichendorff einzelne Textzeilen und vermengt sie mit eigenen Gedanken. Billig? Mit Nichten. Gekonnt spielt der Autor mit bekannten Gedichtzeilen, denen er seine eigene Schriftstellerseele einzuhauchen versteht, um daraus eigenständige Werke zu machen.
Die Sachbuchautorin und freie Journalistin Claudia Paganini nimmt den Leser mit in die ländlichen Unbilden von Berghütten, in denen eigene Gesetze regieren.
„Wohnen am Mittelmeer“, ein tragik-komischer Text des 1956 geborenen Georg Payr, Lehrer in Innsbruck, lässt den Leser eher ratlos zurück.
Martin Pichler, Lehrer und Schriftsteller, versöhnt den Leser wieder. Sein Protagonist kann nach dem Tod seiner Frau seine zwänglerischen Anwandlungen ausleben.
Die Physik hat es Raoul Schrott diesmal angetan. Die Physikalische Optik, Isaac Newton und Albert Einstein finden Eingang in seine Lyrik.
Die 1976 geborene Carolina Schutti erzählt über zwei gescheiterte Existenzen, die in das normale gesellschaftliche Leben nicht mehr zurückfinden.
Eine Frau und ein Stelzengeher, das sind die Protagonisten von Birgit Unterholzners Erzählung „Die Schnabelfrau“, die eine seltsame Begegnung zweier Menschen schildert. Die Autorin lebt in Bozen als Fachberaterin für Theaterpädagogik.
Der Sessel in der gleichnamigen Erzählung von Roger Vorderegger wird zum Inbegriff der Erinnerungen einer älteren Dame, die darin aus dem Leben zu entfliehen scheint.
Erika Wimmers Protagonist in der Erzählung „Tschechien“ befindet sich auf der Reise im Zug nach Prag, eine Reise die für ihn Folgen haben soll.
Die Anthologie zeigt, was Innsbruck an unterschiedlichsten literarischen Leistungen hervorzubringen hat. Eine Mischung der verschiedenen Genres, die einen Überblick über das literarische Schaffen zeitgenössischer Autorinnen und Autoren gibt.
Petra Paumkirchner