Die türkischstämmige Wiener Autorin schreibt aus eigener Erfahrung. "Ich lass mich vom Leben inspirieren - von meinem eigenen und dem der anderen", erzählt sie der "Wiener Zeitung". "In jedem Charakter ist irgendein realer Mensch lebendig." Die Erzählung "Die 56. Frau" beschreibt etwa die Kindheit ihrer Urgroßmutter, die eines Tages in der Früh ihre Familie tot vorgefunden hat - gestorben an der Pest.
Facetten der Lebenskultur
Auch ohne große Recherchen kann Cakir über kulturell ganz verschiedene Facetten des Lebens schreiben. Mit zwölf Jahren kam sie mit ihrer Familie von der Türkei nach Wien, das "mehr verschlafen und weniger vital war." Paradoxerweise hat dann die Aneignung der deutschen Sprache die Entfremdung zunächst verstärkt. "Als ich begonnen habe zu verstehen, was die anderen sagen, wurde mir klar, dass ich nicht dazugehöre, obwohl ich das gar nicht so empfunden habe."
Bereits mit acht Jahren hat Cakir mit dem Geschichtenschreiben angefangen, ab ihrem 13. Lebensjahr führte sie ein Tagebuch auf Deutsch. "Ich habe zunächst nur für mich geschrieben. Es ist viel Zeit vergangen, bis ich mich getraut habe, meine Texte auch anderen Leuten zu zeigen."
1999 gründete Cakir mit Hüseyin Simsek die auf Türkisch erscheinende Zeitschrift "Öneri". Im selben Jahr erschien eine ihrer Kurzgeschichten im Buch "Die Fremde in mir" mit Erzählungen anderer bekannter Autoren mit Migrationshintergrund. 2004 kam Cakirs Gedichtband heraus, 2009 erschien "Zitronenkuchen für die 56. Frau" bei der edition exil mit kurzweiligen, teils schockierenden Kurzgeschichten. Zurzeit schreibt Cakir an einem Roman.
Wichtige Literaten sind für sie unter anderem Stefan Zweig, der britisch-pakistanischen Autor Nadeem Aslam, Feridun Zaimoglu in Deutschland oder der aus Bulgarien stammende österreichischer Schriftsteller Dimitre Dinev. "Autoren, die mehrere Kulturen in sich haben und ihre Charaktere in mehreren Geografien ansiedeln, mag ich sehr gerne", so Seher. Auch ihr selbst ist es ein Anliegen, ihre beiden Kulturen und "die verschiedenen Facetten des austro-türkischen Lebens zu beschreiben. Ich möchte auch zeigen: Türke-sein ist nicht das, was ihr euch darunter vorstellt."
Ein Klischee sei, dass jede türkische Frau ein Kopftuch trägt und geschlagen wird. "Prozentuell betrachtet werden genauso viele türkische wie österreichische Frauen geschlagen. Ich bestreite nicht, dass es Ehrenmorde gibt. Dort ist es die Ehre, hier ist es Eifersucht. Man spricht oft nur über einen Bruchteil des Lebens." Ärgerlich findet sie mitunter auch die Integrationsdebatte: Die Aufnahmegesellschaft habe zu spät realisiert, "dass die angeworbenen Gastarbeiter hier bleiben und sich in das Leben integriert haben. Nur hat ihr nicht gepasst, wie sie sich integriert haben. Die Gastarbeiter haben sich den Alltag eben so eingerichtet, wie es ihnen passt. Es stört mich auch, dass das Nicht-Funktionieren des Integrationsprozesses nun auf die Türken reduziert wird. Es gibt bei den Türken eine so starke innere Heterogenität."
Die Folgen der Ausgrenzung
Die Probleme würden nur verschärft, wenn man Zuwanderer als Teil dieser Gesellschaft nicht akzeptiert und von ihnen Assimilation fordert. "Die Zuwanderer sehen sich als Teil der Gesellschaft und sie sind es, aber die Gesellschaft sagt ihnen: Erstens, du gehörst nicht zu uns, zweitens, wir werfen dir das vor, und darüber hinaus wirst du nie ein Teil unserer Gesellschaft sein." Auch die Islamisierung sei teils "Folge der bewussten und unbewussten Ausgrenzung von Zuwanderern, die zu unlösbaren Identitätsproblemen führt." Doch auch Zuwanderer, die nur jammern, kritisiert Cakir. "In Österreich hat man die Möglichkeit, auch mit 50 Jahren zu studieren. Wer nichts tut und die anderen für seine Lage beschuldigt, ist faul und macht es sich sehr leicht."
Optimistisch blickt Seher Cakir in die Zukunft: "Ich beobachte, dass sich eine neue intellektuelle und kritische Generation formiert. Es wird bald mehr Künstler mit Migrationshintergrund in Österreich geben, etwa in der Literatur oder am Theater." Und für die neue hiesige Generation werde es "normal sein, mit Personen aus anderen Herkunftsländern zusammenzuleben."