Die beiden 19-jährigen Mädchen erreichten im Mai 1945 Wien, kurz nach Kriegsende. Ihnen war zuvor die Flucht vor der SS gelungen, auf dem Todesmarsch vom KZ Ravensbrück zum KZ Bergen-Belsen. Erschöpft setzten sie sich nun in die Straßenbahn. »Das werd ich nie vergessen im Leben. Die Schaffnerin ist gekommen, wir haben gesagt, dass wir aus dem KZ kommen und uns keine Fahrscheine kaufen können. Die ganze Tramway war voller Leute, niemand hat ein Ohrwaschl gerührt. Die Schaffnerin hat die Straßenbahn angehalten und uns gezwungen, auszusteigen. Das war die Begrüßung in der Heimat.« Mit ruhiger Stimme trägt die 86-jährige Käthe Sasso ihre Geschichte vor, genau, präzise, lebendig, in charmant weichem wienerischem Singsang, über »die Zeit, an die ich mich noch erinnern kann«.
Mit diesen Worten beginnt das eindrucksvolle Hörbuch Nicht nur in Worten, auch in der Tat: Die alte Dame erzählt Kindheit und Jugend in Österreich – vom Widerstand gegen Hitler, von Verhaftung und Zelle, Prozess und schließlich KZ. Längst ist ja die Zeit des Nationalsozialismus zur fernen Geschichte geworden; zur »Epoche der Mitlebenden«, so einst die klassische Definition für unmittelbar vergangene Zeitgeschichte durch den Historiker Hans Rothfels, gehört er in Kürze nicht mehr. Offizielle Erinnerungskultur und wissenschaftliche oder künstlerische Verarbeitung ersetzen die Erfahrung. Umso bemerkenswerter ist dieses Dokument direkter Zeitzeugenschaft, das so anders funktioniert als jene Erinnerungsfetzen, die in Fernsehdokumentationen die älteren Damen und Herren routiniert von sich geben. Käthe Sasso führt uns Nachgeborene heran, tief hinein in die Finsternis – drei spannungsvolle Stunden lang, ohne Pause. Einmal mehr hat das kleine, nicht genug zu preisende Label supposé von Klaus Sander damit ein Hörbuch produziert, das die Kraft der konzentrierten mündlichen Erzählung zeigt.
Idyllisch sind die Kindertage im Dorf, mit blühenden Wiesen und der liebevollen Großmutter Majka – später im Wien der dreißiger Jahre erlebt Käthe die politischen Unruhen mit ihren in der Arbeiterbewegung engagierten Eltern bis zum »Anschluss« 1938. Danach brüllt ihre vergötterte Lehrerin: »Jüdische Fratzen haben in unserer Klasse keinen Platz!«, nachdem Käthe nach ihren verschwundenen jüdischen Mitschülerinnen fragte. Die Mutter stirbt 1941, der Vater muss zur Wehrmacht – die 15-Jährige engagiert sich in der Widerstandsgruppe »Gustav Adolf Neustadl«, hilft Angehörigen von Hingerichteten und verteilt Flugblätter, bis zur Verhaftung 1942. Als Minderjährige entgeht sie der Todesstrafe, die anderen werden hingerichtet. »I bin a Köpfler«, sagt eine Freundin, die weiß, dass sie dem Tod entgegengeht. Ein Polizist erklärt ihr heimlich, wie man das Alphabet klopft, um mit Häftlingen in der Nebenzelle zu kommunizieren; ein Abschiedsgedicht der Todgeweihten erreicht sie auf einem Zettel. Käthe Sasso kommt 18-jährig ins Frauen-KZ Ravensbrück. Präzise schildert sie den Lageralltag zwischen Terror und Solidarität. So erlebt sie zweihundert ungarische Kinder aus Auschwitz, die zu Weihnachten Bonbons kriegen, bevor sie alsbald vergast werden. Gebannt hört man vom unglaublichen Entkommen der Erzählerin aus den SS-Fängen. Ihr Wienerisch nimmt dem Bericht nichts von seiner erschütternden Wirkung, sondern erzeugt eine authentische Intensität: Lange hallt Käthe Sassos Stimme nach.
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