Salon Littéraire | Markus Köhle : Ich wache noch immer auf – Loops des Grauens 1

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Salon Littéraire | Markus Köhle :

Ich wache noch immer auf – Loops des Grauens ( Thema-verfehlt- Variation 1 )

 

I wake up screaming by Steve Fisher 1941

Ich wache auf und was neben mir liegt, ist kein Thema. Mein Zungenzustand lässt mich an Meret Oppenheims Pelztasse aus dem Jahre 1936 denken. “Frühstück im Pelz” heißt das Ding, “Venus im Pelz” heißt eine Novelle von Leopold von Sacher-Masoch aus dem Jahre 1870, es sollte der erste Teil eines ursprünglich auf sechs Bände angelegten Zyklus über die Liebe werden. So weit kam es nicht, aber die “Venus im Pelz” hat es durchaus zu einem Wühlkistenklassiker gebracht. “Venus im Pelz” ist die Geschichte von Severin und Wanda bzw. das Manuskript, das Severin einem Freund zu lesen gibt. Aber das ist natürlich alles nicht so wichtig, wichtig ist vielmehr, dass Severin der Sklave der Herrin Wanda ist, die ihn an seine physischen und psychischen Grenzen treibt und schließlich fallen lässt. Und noch wichtiger ist natürlich, dass der Begriff Masochismus auf diese Geschichte bzw. auf Sacher-Masochs Namen zurück geht. Und das passt alles ganz gut zu meinem momentanen Zungenbelag und meiner Blasenbelagerung.

Gestern musste ich mich wieder sehr quälen, heut quält mich alles von selbst. Nachhaltigkeit gelingt mir derzeit nur in Rauschdingen. Saufrichtigkeit und Ausziehungskraft sind mittlerweile meine einzigen beiden Konstanten, die Variablen verhalten sich bestimmungsgemäß und hin und wieder gibt es sogar Frühstück mit Pelz auf der Zunge und Restlatte im Schmuddelfrotteebademantel. Die Variablen bekommen als Schlaf- und Frühstücks-T-Shirt immer ein schon leicht schleißiges Boudycount-Konzertleiberl. Es wurde mir erst zwei Mal übel genommen. Aber mir ging’s da ohnehin immer schon schlecht, da machte das Bahö der Variablen das Kraut auch nicht mehr fett. Kümmel und Kraut in einer Stund’ verdaut! Länger hing ich keiner von ihnen nach, bringt nichts, weiß ich aus schmerzlicher Erfahrung. Übrigens ist stecken nur ein anderes Wort für schreiben, etwas in Bücher rein stecken. Früher wurden Buchstaben nämlich gestanzt und gestochen. Ich stecke mich in die Variablen und schreibe also mit diesen Bettgeschichtchen im gewissen Sinne meine Story, mein Verfallsdrama.

Apropos Variablen: Zeit ist keine Konstante, und Reisen in der Zeit sind prinzipiell möglich. Zeit vergeht nicht für jeden und nicht überall gleich schnell. Man denke bloß an schlechte Lesungen einerseits und guten Sex andererseits. Zeit läuft umso langsamer, je schneller man sich bewegt – deshalb auch immer die Superzeitlupen bzw. Zeitrafferschnitte bei Sexszenen in Filmen – Zeit läuft umso langsamer, je schneller man sich bewegt und je näher man einem starken Gravitationsfeld kommt. Das Gravitationsfeld zu definieren, das sei jetzt ihrer Fantasie überlassen. 1971 wurde Einsteins spezielle Relativitätstheorie mit Hilfe zweier synchronisierter Atomuhren einem Praxistest unterzogen. Während die eine Uhr in einem Passagierjet Richtung Osten um die Welt flog, blieb die andere auf der Erde zurück. Nach 65 Stunden wurden die Zeiten verglichen. Tatsächlich ging jene Uhr nach, die im Flugzeug gesessen und sich schneller bewegt hatte – und zwar um 59 Milliardstel Sekunden. Zurück auf der Erde, pendelte sie sich zwar wieder auf den irdischen Rhythmus ein. Die verlorene Zeit aber konnte sie nicht mehr aufholen. Was für treffende Stichworte. Zustichworte. Das Bewusstsein darüber schon viel Zeit verloren zu haben, ist es wohl, was mich momentan noch leichtfertiger damit umgehen lässt. So à la eh schu wuascht. Negative Energie, Teufelskreis, Sog abwärts, Schicksalswirbel. Ein Ringlaser kann einen Wirbel in der Raumzeit erzeugen – ähnlich einem Löffel, mit dem man Kaffee in einer Tasse umrührt. Einen Wirbel, den man sich wie einen lichtdurchfluteten spiralförmigen Tunnel vorstellen muss, und darin verläuft die Zeit nicht linear, sondern im Kreis. Liefe man nun diese Spirale entlang dem unteren Ende entgegen, so könnte man in die Vergangenheit gelangen. Aber die Energie der derzeit vorhandenen Laser reicht nie und nimmer aus, um die Zeit derart zu zwirbeln.

Ja, meine Gedanken beim Erwachen sind mitunter komplex unabhängig von der Länge der Nacht und der Qualität des Schlafes. Ich wache auf und was neben mir liegt, ist kein Thema. Mein Zungenklumpen kommt mir vor wie eine Nacktschnecke, die sich im Haus geirrt hat. Das Haus heißt im Übrigen der bemerkenswerteste Roman dieser Tage. Das Haus oder House of Leaves von Mark Z. Danielewski. “Und falls Sie irgendwann einmal zufällig an diesem Haus vorbeikommen sollen, bleiben Sie nicht stehen, gehen Sie auch nicht langsamer, sondern gehen Sie einfach weiter. Da ist nichts. Seien Sie vorsichtig…” Das Haus ist ein bibliophil hochgetunter Ziegel von 800 großformatigen Seiten und an Durchgeknalltheit und manischer Akribie schwer zu überbieten. Eine Inhaltsangabe ist bei diesem Paradebeispiel postmoderner Verschachtel- und Verschleierung gar nicht so einfach aber auch gar nicht so wichtig. Wichtig ist nur, dass es um Dunkelheit geht, nicht um die Kubinsche andere Seite aber um Schichten. Und noch wichtiger ist natürlich, dass Schichtarbeiter Danielewski Namenspatron sein wird für die demnächst den Neurosenmarkt stürmende Ökophobie im konkreten Sinn. Also nicht die Angst vor Umweltgiften, sondern die Angst vor dem eigenen Haus, Öko kommt nämlich vom griechischen oikos, was Haus heißt. Und mit Danielewskismus wird man dann in Zukunft das zwanghafte Verhalten nennen, das eigene Haus verlassen zu müssen, da man Angst davor hat. Schlimm, vor allem für Leute, die aus welchen Gründen auch immer untertags das Bett nicht gern verlassen, vom Haus gar nicht zu reden, die des Nachts aber raus müssen, immer. Da kenne ich wen.

Ich hab jetzt schon Angst. Wo schlafen, wenn nicht im Haus, im Zimmer, im Bett? Wo lümmeln, bummeln, pudern? Und das passt alles ganz gut zu meinem momentanen Zungenbelag und meiner Blasenbelagerung. Gestern musste ich mich wieder sehr quälen, heut quält mich alles von selbst. Nachhaltigkeit gelingt mir derzeit nur in Rauschdingen. Saufrichtigkeit und Ausziehungskraft sind mittlerweile meine einzigen beiden Konstanten, die Variablen verhalten sich bestimmungsgemäß und hin und wieder gibt es sogar Frühstück mit Pelz auf der Zunge und Restlatte im Schmuddelfrotteebademantel.

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Markus Köhle

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Illustration : “I wake up screaming” by Steve Fisher ( pulp fiction cover , anonym , 1941 )

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Hinweis : Nächster Termin der monatlichen Lesebühne “Dogma. Chronik. Arschtritt.” mit Mieze Medusa , Nadja Bucher und Markus Köhle @ Schikaneder , Wien : Samstag , 10. Mai 2008 , 21:00 Uhr . Thema : “Unter Wasser” , Gast : Irene Prugger .

dca mai08

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