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NACHAND NOCH EINMAL : SO SEHEN SIEGER AUS
Nachdem wir die Preisträger des Ingeborg- Bachmann- Wettbwerbs bereits gestern der in|ad|ae|qu|aten MITSCHRIFT angefügt haben , kann deren Wiederholung nun auch im Nachhinein nicht schaden . Lange hat es gedauert , bis für die diversen Preise absolunte Stimmenmehrheiten erzielt werden konnten , aber nachand – ein Austriazismus für nachher , schliesslich – hatte man eine gediegene Truppe an Preistragenden beisammen .
Und damit einen Cluster eher mänllicher , eher realistischer Erzähformen , deren mehr oder weniger offen liegender Erzählmotor betrieben wird mit dem Sprit von Krisen , sämtlich ins Private gekrempelt . Auffallend und für die betroffene Gebietskörperschaft höchst frustrierend : kein noch so klitzekleines österreiches Prosastückerl hat es aufs Podest geschaft -
Ingeborg- Bachmann- Preis 2009 an Jens Petersens “Bis dass der Tod” – Jury im 2. Durchgang 5 : 2
- KELAG-Preis an Ralf Bönts “Der Photoeffekt” – gerechtfertigt
- 3- Sat- Preis an Gregor Sanders “Winterfisch” – feine Entscheidung
- Ernst Willner- Preis an Katharina Borns “Fifty Fifty” , Andreas Schäfers “Auszeit” im 3. Wahlgang leider abgeschlagen
- Publikums- und Online- Preis an Karsten Krampitz‘ “Heimgehen. Eine Novelle” ( genial vorgetragen , abgefeimt erzählt )
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NACHAND NOCH EINMAL : PRESSE ORTET EINE REVANCHE FÜR CÓRDOBA ’78
Dass der gastgebende Literaturweltmeister ( Selbsteinschätzung ) keinen Preis erringen konnte , wird selbstredend von den österreichischen Medien als schmerzlich vermerkt . Indes sparen auch deutsche und schweizerische Kommentare nicht mit der Registierung lokaler , regionaler bzw. nationaler Auszeichnung . So vermerkt der für Spiegel Online adaptierte Agenturbericht , dass lediglich mit dem Sieger Jens Petersen aus Pinneberg / Hamburg ein “Restdeutscher” geehrt wurde :
Die anderen Preise, die am Sonntag im Rahmen der Bachmann-Lesungen verliehen wurden, gingen allesamt nach Berlin. ( SpOn )
Ein klein wenig anders rahmt die aus derselben Agenturmeldung gespeiste Darstellung der WELT das Siegerbild :
Alle fünf im Rahmen der 33. Klagenfurter Tage der deutschsprachigen Literatur vergebenen Preise gingen in diesem Jahr an Deutsche. ( DIE WELT )
Dass mit dem Ausstechen der traditionell am Sprachspiel oientierten österreichischen Vorzeigetexte durch “deutsche Realisten” ein heikles Thema der bilateralen literarischen Beziehungen auf dem Spiele steht , beweist die wiederholt Berufung auf den berühmten Fussball- WM- Sieg Östereichs gegen Deutschland 1978 in Córdoba :
Läuft das hier auf ein neues Córdoba hinaus ? ( WELT )
fragt Elmar Krekeler im Zuge seiner Live- Notizen in der WELT rhetorisch , wohingegen Sandra Kegel im zusammenfassenden FAZ- Artikel bereits ex post deklarieren kann :
Die Revanche für Córdoba . ( FAZ )
Ins Ästhetische übersetzt heisst dies innerhalb des genannten Artikels nichts weniger als Folgendes :
Längst hat der Realismus die einst in Klagenfurt tonangebende Experimentalliteratur verdrängt. ( FAZ )
Nicht unredlich wird das Tertium Comparationis von Sandra Kegel referiert :
Ästhetische Ideologiekämpfe werden nicht mehr ausgetragen, aber die literarischen Vorlieben der Juroren weichen zum Glück noch immer erheblich voneinander ab. In diesem Jahr tat sich in der Jury eine weitere, länderspezifische, nämlich deutsch-österreichische Front auf, dass schon das Wort von Córdoba die Runde machte. Während die Österreicher bei der WM 1978 gegen die Deutschen gewannen, waren sie nun die Verlierer. Die Autoren der Wiener Juroren Karin Fleischanderl und Paul Jandl gingen durchweg leer aus. ( FAZ )
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“BLANKES ENTSETZEN” Vs. “LIEBLICHKEIT : ZWEIFEL AN DER KOMPETENZ DER JURY
Im konkreten Fall
brach die seit Beginn schwelende Realismus-Debatte dann über Andrea Winkler herein, die in einem überorchestrierten Textklotz ein skrupulöses Ich sprechen lässt, das es kaum wagt, den Fuß ins Gras zu setzen. Wohl weil der erratische Wortfluss – etwas für hartgesottene Poststrukturalisten, wie Ijoma Mangold seufzte – sich jeglicher Kritik entzog, schoss die Jury sich auf Formfragen ein. In ganz andere Richtung experimentierte Caterina Satanik, die eine unerhört harmlose Rollenprosa einer Frau vorlegte, die ihrem Liebsten samt Hund nachweint. ( FAZ )
Dass Winkler mit dem – selbst für ihre ( sonst legitimen ) Begriffe – solipsistisch und sprachphilosophisch abstrus aufgeblasenen Mantra auf wenig Gegenliebe stiess , haben wir in der in|ad|ae|ae|qu|aten MITSCHRIFT ( Teil 3 ) ebenso angemerkt wie enorme Befremdung angesichts der arg “lieblichen” Aufnahme des als Schlusstext präsentierten Débuts der Wienerin Caterina Satanik . Entsprechend erleichtert konnten wir heute ähnliche “????”- Reflexe bei anderen Beobachtern regiatrieren :
Gerrit Bartels , welcher den deutsch- österreichischen Grabenkampf um eine mögliche zeitgenössische Erzähl- Ästhetik durchaus vermerkt , vermochte im Tagesspiegel die einhellige Schlussbegeisteung der Jury noch auf deren “Erschöpfung” zu schieben :
Was auffiel, waren die deutsch- österreichischen Streitereien, verkörpert durch Fessmann und Ijoma Mangold auf der einen und Jandl und Fleischanderl auf der anderen Seite. Die Deutschen, zuweilen assistiert vom Schweizer Alain Claude Sulzer, redeten dem Realismus das Wort, ohne gleich Forderungen nach Alltagsabbildung stellen zu wollen. Die Österreicher brachten dagegen die Moderne in Stellung: Sprach-Experimente wie den verunglückten Wir-Text von Stift und den noch verunglückteren Ich-Text von Andrea Winkler, bei dem man sich nach wenigen Zeilen fragte: Was erzählt die denn da?
Dass die Jury den läppischen Text von Caterina Satanik ungeschoren ließ, mochte an deren Status als Debütantin liegen, die noch nie etwas veröffentlicht hat, vielleicht auch an der Erschöpfung der Jury: Satanik war die letzte Vorleserin dieses Jahrgangs. ( Tagesspiegel )
Das “blanke Entsetzen” angehörs des hochgelobten literarischen Débuts gibt Harald Klauhs in der Presse Grund genug , fundamentale Zweifel an der Kompetenz der Jury anzumelden :
Vom Versagen der Bachmannpreis-Jury sprach das Fachpublikum nach der letzten Lesung von Caterina Satanik. Blankes Entsetzen breitete sich nach dem Lob der Jury für Sataniks Text … aus. Literatur auch, wollte man der 1976 geborenen Wienerin bereits nach dem ersten Satz zurufen: Ich streichle noch immer über das fell vom hund, hieß es da und täuschte mit Kleinschreibung eine Avantgarde vor, die der Text des Weiteren in keiner Weise einlöste. ( Die Presse )
Der deutsch- österreichischen Dauerkonfrontation zum Trotz konnte diemsal die Schweiz quasi einen Einwanderer- Sieg für sich verbuchen :
Ein Deutscher beschert der Schweiz literarische Lorbeeren ( NZZ )
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STATE OF THE ART
Mit Andreas Breitensteins Résumée des Wettbewerbas- Jahrgangs 2009 sei die Runde der traditionellen Klagen über den dortigen “state of the art” eröffnet : “Ein biederer Jahrgang” wird konstatiert :
Kein Autor war angetreten, dem Bürger das Handy aus der Hand zu fegen oder die Decke des ORF-Theaters zu sprengen, keiner liess die Lehrer um die Moral ihrer Schulklasse im Saal bangen, die ‘Krise‘ blieb unbehelligt, der Terror pausierte, und der Klimawandel war anderswo (die politische Invektive übernahm Josef Winkler in seiner Eröffnungsrede gegen Kärntner Kulturbanausentum, Politfilz und Abzockerei). Keiner schrie, keine weinte, nur einer ass Papier. Es gab einen auf die Situation gezirkelten Klagenfurt-Text, und nur einmal wurde es ärgerlich. Realistisches Erzählen aus der leicht verunsicherten Mitte des Alltags dominierte. Surreales war ebenso rar wie Historisches und Experimentelles. Fehlervermeidung war fast schon alles. Ein Plan mittlerer Schwierigkeit sollgemäss erfüllt, und schon gehörte man zu den Besten. ( NZZ )
Wibeke Porombka deklariert in der taz weitgehend “handzahme Texte” – jedenfalls im Vergleich zu Joesef Winklers Eröffnungsrede – , reflektiert allerdings auch eine systembedingte Uneinlösbarkeit von Erwartungen hinsichtlich des prominentesten aller Literatur- Wettbewerbe :
Wie ändert sich der Anspruch an Texte, wenn man sie beim Bachmann-Wettbewerb hört ? Auf der einen Seite wartet man auf etwas Besonderes, etwas Extremes womöglich, weil durch diesen Preis ja eben auch eine Messlatte für das gelegt wird, was man ganz grundsätzlich an zeitgenössische Literatur heranträgt. Es sind also immer auch symbolische und programmatische Entscheidungen, die hier getroffen werden. ( taz )
Allerdings waren auch manche der Voten von Juymitgliedern dazu angetan , als unfreiwillige “Selbstauskünfte” zu fingieren :
Jurorin Meike Feßmann etwa konnte sich deshalb nicht recht für den den Text “Bis dass der Tod” von Jens Petersen erwärmen, weil er ihr zu beklemmend und klaustrophobisch war. Das ist schon ein etwas eigenartiges Argument, zieht es doch den Umkehrschluss nach sich, dass gute Literatur sich dadurch auszeichne, angenehme Atmosphäre zu evozieren. In solchen Momenten war man dann fast am Niveau des Eröffnungsabends angelangt, auf dem der stellvertretende Bürgermeister von Klagenfurt sein Herz für die Literatur damit begründet hatte, dass man sich durch sie so schön von dem ganzen Stress des Alltags erholen könne. ( taz )
Ostentativ abgeklärt charakterisiert David Hugendick in der ZEIT das alljährliche Klagenfurter Klage- Ritual :
Jedes Jahr das Gleiche. Sobald der Sieger des Bachmann-Preises feststeht und sich der dreitägige Literaturbetriebsauflauf wieder verflüchtigt hat, wird man über Sinn und Unsinn des Wettbewerbs diskutieren. Gar, was er über den Zustand der deutschen Literatur verrät – besonders dann, wenn eine Vielzahl der Texte in Klagenfurt blass sind. So wie diesmal.
Glücklicherweise: Über den Zustand der deutschen Literatur sagt der Bachmann-Wettbewerb wenig aus. In Klagenfurt blickt man nur durch ein kleines Fenster auf die laufende Produktion. In diesem Jahr erwischte man die Luke zur Rumpelkammer, in der es selten schmuckvoll glänzte. Das kann uns ärgern. Aber es muss uns keine Sorgen bereiten. ( DIE ZEIT )
Stefan Gmünder weist im Standard notwendig auf die – von vielen Artikeln unkritisch nachgeplapperten – dümmlichen Eröffnungs- Worte des ORF- Programmdirektors Wolfgang Lorenz hin , die “Tage der deutschsprachigen Literatur” seien “die am längsten sich behauptende Castingshow ( ! ) des deutschen Sprachraums” . Freundlich fasst er die alljährlich kurzfristig aufgebauschte Sinnkrise des Wettbewerbs in das Bild einer quasi naturgesetzlich reiterierten Mischung aus Anziehung | Neugier und Abstossung | Verwerfung :
Realismusdebatten wurden in diesen drei Tagen viele geführt, Sprachdiskussionen wenige. Bleiben wird vom 33. Bachmann-Preis Josef Winklers Eröffnungsrede, der angenehme Umstand, dass sich in Klagenfurt trotz allem alles um Literatur dreht – und ein ‘Was machen wir eigentlich alle hier ?‘ – Gefühl. ( Der Standard )
Weitere Wiederholungen , Variationen und “Etüden” ( Burkhard Spinnen ) dann im nächsten Jahr -
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KLANGAPPARAT
Natürlich hängt uns nach drei kondensierten Tagen Klagenfurt plus kollateraler Textproduktion und -Rezeption die Sprache einigermassen beim Halse heraus . Zwar kommen auch des Walisen Tom Ellis‘ ( MySpace ) gelassen instrumentirte Minimal- Tech- Tracks nicht immer ohne Sprach- Samples aus , doch bleiben deren Amplitude & Aussagekraft erträglich minimal .
Sonst bietet die bei trimsound erschienene “In Circles“- LP eine feine Dosis Langstreckensound aus diskret ineinanderfliessenden Strömen von Nu Jazz und Breakbeat , Dub- Anmutungen und geschmeidiger Elektronik .
CLICK LINK TO LISTEN TO STREAM ( WMP ) .
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RELATED
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es ist gespenstisch und rätselhaft: der bachmann-preis war nie NIE für die prämierung von moderner, experimenteller, concept-artifizieller oder sonstwie ästhetisch und intellektuell anspruchsvoller – also state-of-the-arts – literatur gedacht. von anfang an bildeten als beiträger und als juroren die simplifikations-realisten, irgendwie-surrealisten und sonstigen humanistisch verbrämten bedenken-schwurbler der gruppe-47-reste den grundlegenden mittelmässigkeits-beton dieser veranstaltung. wenn mal besseres, anspruchsvolleres eingeladen war, dann nur um als abschreckendes beispiel zu fungieren, und vor allem auf den bachmannpreis und seine preisträger/innen trifft zu: jede ausnahme bestätigt die regel.
wenn jetzt eine realismus vs. nicht-realismus-debatte in medien ausbricht, in die das wettlesen ja “embedded” ist, dann sind diese leute tatsächlich zurückgefallen in die gschissenen regionen der fünfziger jahre (genauer: der 1950er jahre, damits auch wirklich verstanden wird), so was von gegessen kanns ja gar nicht mehr geben.
aber die frechheit liegt ja vor allem darin, was dann 2009 an missglückten texten mit dem adjektiv “experimentell” versehen wird, damit im gleichen atemzug die evidente existenz gelungener, ästhetisch und intellektuell anspruchsvollster, genauester literatur geleugnet werden kann.
aber was für den restringierten weltausschnitt des bachmannpreises – dieser luftleeren konservativitäts-inversion – durchaus realität sein mag, ist im ausserhalb, in der welt überhaupt, glücklicherweise vor allem die wirklichkeit von literatur – der literatur überhaupt, als zeitgenössisch zukunfts-offener kunstanstrengung, somit ein wirklicher mainstream.
also lassen sich jury-kommentar-sound und bachmannpreis-texte zusammenfassen:
was einem halt so einfällt, wenn einem grad gar nichts einfällt.
darf’s ein bissel mehr sein ?! , lieber herbert :
einige quanten antidot gegen den terror durch das nicht erst seit den 1950er, sondern gar seit den 1850er jahren auf der stelle tretenden “realismusproblem” äusserst willkommen -