Salon Littéraire | Bernhard Kathan : Artgerecht

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Salon Littéraire | Bernhard Kathan :

Artgerecht

 

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Anbindestall

In Laufställen können sich die Kühe frei bewegen, allerdings auf Spaltenböden, auf Rosten, durch die sie ihren wässrigen Kot treten. Statt durch Wasserpfützen laufen sie durch Desinfektionswannen. Zur Ruhe legen sie sich auf Gummimatten, eingezwängt zwischen Eisenbügeln. Statt eines verzierten Halsbands aus Leder tragen sie ein Nylonband mit Zahlencode. Statt einer Glocke signalisiert ein Transponder den Aufenthaltsort der Kuh. Computerprogramme überwachen und entscheiden die Kraftfutterzuteilung. Computerprogramme entscheiden auch, wann ein Rind zur künstlichen Besamung, zur veterinärmedizinischen Behandlung oder zum Abtransport in den Schlachthof aussortiert wird. Computerprogramme setzen Selektionstore in Bewegung: SmartGate. Das Futter heutiger Kühe kannte das Rind in seiner ganzen Entwicklungsgeschichte nicht. Kühe erfahren ihr ganzes Leben keinen Stier. Sie werden nicht besprungen, sondern von Menschenhand besamt. Kälber werden bereits kurz nach der Geburt von den Muttertieren getrennt. Statt in einer wie immer gearteten Natur befinden sich all diese Tiere in einer technisch organisierten Umgebung. Statt sich das Fell in Buschwerk zu reiben, frequentieren sie einen Bürstautomaten: HappyCow. Mögen sich auch viele Tiere in solchen Ställen bewegen, eine Herde bilden sie nicht. Heute können sich Kühe zwar “frei” bewegen, aber dafür wurden sie endgültig dem Funktionskreis der Maschinen überantwortet. Kühe werden in ökonomischen Kategorien wie “Nutzungsdauer”, “Produktionseinheit” etc. gedacht. Laufställe versprechen “freie Bewegung”. Man muss die vielen Sperrgitter beachten, die letztlich geringe Bewegungsfläche, all die sinnreichen Einrichtungen, mit denen Rinder zu einem bestimmten Verhalten gezwungen werden. Bestenfalls können sich die einzelnen Rinder gegenseitig ausweichen. Fluchtwege kennen sie nicht. Dafür sieht man allerorten Fangstände, um Rinder gefahrlos zu behandeln oder abzutransportieren.

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Laufstall

Dass sich in der Rinderhaltung innerhalb weniger Jahre Laufställe durchgesetzt haben, verdankt sich weniger den sentimentalen Anliegen von Tierschutzaktivisten als ökonomischen wie bewirtschaftungstechnischen Gründen. Moderne Laufställe erfordern einen wesentlich geringeren Arbeitsaufwand. Um die Bedeutung ausreichender Bewegungsmöglichkeit, von Tierschützern immer wieder gefordert, wissen auch nüchtern denkende Agraringenieure, sind damit doch positive Wirkungen auf den Bewegungsapparat, Klauenabrieb, Brunst und Fruchtbarkeit verknüpft. Dies gilt auch etwa für Beschäftigungsmöglichkeiten, das Stallklima oder das Platzangebot.

Die in der Rinderhaltung angewandten Technologien sind längst humankompatibel. Auf Rinderhaltung spezialisierte Unternehmen investie

ren heute in die Verkehrslogistik, Überwachungssysteme oder die Optimierung von Abläufen in Krankenhäusern. Transponder schlagen Alarm, verlässt ein verwirrter Patient das Pflegeheim. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn ein Vertreter für elektronische Fußfesseln bestens über die Möglichkeiten von Transpondern in der Nutztierhaltung Bescheid weiß. “Herdenmanagement”, das gilt nicht nur für Rinder, sondern längst auch für den Menschen. Wie wir es in Laufställen mit keiner Herde zu tun haben, so löst sich die Gesellschaft zunehmend in eine Ansammlung von Einzelindividuen auf, torkelt der heutige Mensch nicht viel anders durch die Welt als Kühe durch Laufställe. Ähnlich konsumierend halten wir die Welt im Lauf und unterwerfen uns unserer mechanischen Bewirtschaftung.

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Anbindestall

“Artgerecht” werden heutige Kühe gehalten. “Artgerecht” leben auch wir Menschen, wie Rinder weit unter unseren Möglichkeiten. “Artgerecht” dank freier Bewegung. Tatsächlich sind die Bewgungsabläufe organisiert, waten Rinder, liegen sie nicht in engen Boxen, durch ihre eigene Scheiße, tragen sie dank ihrer Optimierung den Keim des Abfalls in sich. Ein Kuhleben dauert heute nicht mehr lange. Sinkt der Milchpreis, was in zunehmend kürzeren Abständen geschieht, dann dient der geringste Seuchenfall als Anlass, hunderttausende von Kühe ohne Erbarmen dem Schlachthof zu überantworten. Bereits Aldous Huxley dachte bezogen auf die Mechanisierung des Lebendigen an Kühe. Er schrieb, die Liebe zum Tod liege in der Luft, man atme sie ein und werde angesteckt, als sei man “unbedingt entschlossen, das Ende der Welt herbeizuführen – sie erst bis zu vollkommener Verrücktheit zu mechanisieren und dann bis zu glattem Mord.”

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Quelle :

Bernhard Kathan : Schöne neue Kuhstallwelt : Herrschaft , Kontrolle und Rinderhaltung – Martin Schmitz Verlag , Berlin 2009

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Bernhard Kathan

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