New York, 4. Februar 2010
Im Austrian Culture Forum New York, unweit des Museum of Modern Art, zwei Blocks von meinem Hotel, sagt Martin Rauchbauer, Deputy Director, er stamme auch aus dem Burgenland, Eisenstadt, mütterlicherseits. Als ich in sein Büro komme, ist mein Reiseblog auf dem Bildschirm.
Wie es mit den Nachforschungen gehe? Ich erzähle von der harschen Absage der Brüderschaft, er kann es nicht glauben – das seien lauter nette Menschen, man habe ihn einmal zu einem Treffen geladen. Martin Rauchbauer zeigt mir das geschliffene Glas mit den einander schüttelnden Händen, Insignium der Brotherhood of the Burgenlaender, das man ihm geschenkt hat.
Zu dem Schlachtfest, bei dem ein Spanferkel vor dem Aufgetischtwerden durch den Raum getragen worden sei, habe er Grammelpogatschen mitgebracht. Selbstgemachte, typisch südburgenländisch, das Problem sei allerdings gewesen, Grammeln in Manhatten aufzutreiben. Ein deutscher Laden habe die schon lange nicht mehr geführt, in einem ungarischen habe es welche gegeben – ein guter Einstand! Martin Rauchbauer ruft seine Kontaktperson der Brüderschaft an, erzählt von mir und dem Projekt, dass ich kein Journalist sei, nichts Böses im Schilde führte; die Kontaktperson hat trotzdem Bedenken, dazu kommen familiäre Unbilden, ich verzichte auf weiteres Nachstoßen. Die Kuratorin Elisabeth Haider kommt vom neunten ins achte Stockwerk. Sie sei ebenfalls aus der Gegend, sagt sie, aus Wildon. Sie kennt Burgenländer mit erstaunlichen Geschichten und bietet mir Hilfe an. Ihre Bekannte Linda, ebenfalls Kuratorin, sei Miss Burgenland gewesen, Tochter einer Emigrantin. Ich solle später im Büro anrufen.
Später stehe ich auf der Aussichtsplattform des Empire State Building, beinahe vierhundert Meter über New York. Ich hatte es mir beeindruckend vorgestellt; der Blick ist gewaltiger, als ich es mir je hätte denken können. Der Himmel blau, die Sonne scheint, der Wind eisig. Ich stelle mir vor, wie es an jenem 11. September gewesen sein muss – ein Tourist zu sein, morgens da zu stehen, in Richtung Süden zu den Türmen des World Trade Center zu blicken, als ein Flugzeug hineinkracht, gefolgt von einem zweiten, bevor eine Stunde später der Nordturm in sich zusammensackt. Im Osten, unweit der UNO-City, blicken wir auf das sehr hohe Gebäude, in das wir abends zuvor geladen waren.
Thomas Stelzer, Cousin meiner Mutter, Firmpate meines Bruders, Vizegeneralsekretär der Vereinten Nationen, kam nach einem langen Tag nachhause – nach Hilfsplänen für das von einem Erdbeben verwüstete Haiti, nach Fragen der globalen Wasserverteilung, nach Antikorrputionspaketen und vielem mehr kocht er Pasta für uns. Ich hatte noch gescherzt, bei Pasta sei ich sehr streng, nach dem ersten Biss weiß ich allerdings, dass ich meine Pastavarianten durchaus noch verfeinern kann. Ein wunderbarer Abend mit atemberaubenden Ausblick.
Im Empire State Building gibt es keinen Mobilfunkempfang, auch nicht in der Metro. Als ich auf die Fifth Avenue trete, habe ich eine Nachricht von Elisabeth Haider in der Sprachbox: Sie habe die Mutter ihrer Bekannten erreicht, diese werde morgen Mittag im Kulturforum sein. Von einem Münzfernsprecher rufe ich zurück, komme aufs Tonband und bedanke mich. Das Problem sei allerdings, dass ich gerade morgen Mittag Familie Paukowits treffe.
Als wir in Coney Island aus der Metro steigen, habe ich eine neue Nachricht von Elisabeth Haider. Aber da sehen wir schon Nathan’s legendärem Fastfoodlokal. Der vierte Juli Zweitausend war ein schöner Tag in New York. Das ist der erste Satz meines Romans Die Wettesser; er gilt auch für den vierten Februar Zweitausendundzehn.
Eine angenehm räudige Gegend, am Strand von Brooklyn, fünfzig Minuten on the train, wie man sagt. Jetzt sind wir da. Jetzt wollen wir es wissen. Jetzt wird sich zeigen, wer sich besser vorbereitet hat. Wer sind wir? Mein Bruder Gregor ist gekommen. Ich hatte ihm geschrieben, ich könne mehr Hot Dogs verdrücken als er, er hatte geantwortet, er könne mehr Hot Dogs verdrücken als ich, ich hatte geantwortet: Let’s see! Der Roman beginnt am vierten Juli Zweitausend, als Kazutoyo Arai mit fünfundzwanzig Hot Dogs und einem Biss einen bis dato schier unglaublichen Rekord aufstellte, und endet am vierten Juli Zweitausendundeins, als Takeru Kobayashi, der Prinz, fünfzig Hot Dogs vertilgte – in zwöf Minuten.
Der aktuelle Weltrekord liegt bei achtundsechzig Stück; seit Joey Chestnut die Bühne betreten hat, werden wieder Stars and Stripes und nicht weiße Fahnen mit großen roten Punkten gewedelt. Drinnen stehen nicht wenige Schlange, denen zum Wettesskönig oder zur Wettesskönigin nur der Sportsgeist fehlen dürfte. Mein Bruder und Mitbewerber (“Konkurrent”, “Gegner” oder “Feind” sagt man nicht mehr) und ich beginnen mit Höllentempo. Es dauert nicht lange, bis sich eine Menschentraube um uns bildet. Gregor hat mir voraus, dass er Kobayashis sogenannte solomonische Methode anwendet: Er bricht den Hot Dog in zwei Hälften, die er parallel in den Mund schiebt.
Das ist allerdings nicht sein einziger Vorteil: Zwischendurch muss ich aus dem Lokal rennen (Büroschluss!), um vom Münzfernsprecher im Kulturforum anzurufen. Elisabeth Haider konnte den Termin auf zehn Uhr verschieben, ich freue mich, weil Frank und Elsie Paukowits eigens anreisen werden (ebenso wie Emilie Borhi, die ich treffen werde, eigens anreist). Der Zeitnachteil allerdings ist nicht mehr wettzumachen – mein Bruder ist nicht mehr einzuholen. Ich weiß es, ich kann nichts dagegen tun.
Mir fällt ein, wie ich mir beim Schreiben vorgestellt hatte, wie sich Ed Krachie oder Charles Hardy gefühlt haben mussten, als sie von den Japanern gedemütigt wurden: sozusagen in Grund und Boden gefressen. Als die Stoppuhr meines Mobiltelefons 12:00 anzeigt, stopft Gregor unter tosendem Applaus der ringsum Stehenden den einundzwanzigsten Hot Dog in seinen Mund (mit Sauerkraut und gerösteten Zwiebeln), ich komme mit dreizehn und einem halben ins Ziel – immerhin um einen halben Hot Dog mehr als Jay Green im Jahr 1988, als die offizielle Wertung der International Federation of Competitive Eating einsetzte.
profi’s proof
Ohne jemandem nahetreten zu wollen, muss ich verkünden, dass seit heute, vierter Februar Zweitausendundzehn, Gregor Berger zumindest der burgenländische Rekordhalter vor Nathan’s legendärem Fastfoodlokal ist. They Came. They Ate. They Conquered.
Berger & Berger
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Audio ( mp3 ) : Clemens Berger : Die Wettesser – Hörspiel – ORF 2007 – Regie Harald Krewer ( 34:28 )
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[...] Clemens Berger: Rothblog 6 | New York, 4. Februar 2010 [...]