Wien, März 2010
Ein weiterer Grund für meinen Argwohn gegenüber dem Reisen, den ich auch gegen mich selbst hege, ist die totale Kommerzialisierung des Reisens. Wo die Reise zur Ware wird, wächst die symbolische Bedeutung mit jedem zurückgelegten Kilometer. Wenn ich den grössten Idioten meinetwegen nach Grönland versetze, erscheint er plötzlich als Persönlichkeit interessant. In diesem Sinne kann “Reisen” als WARE mit bestimmtem ökonomischen und symbolischen Wert wie eine “topographische Maskerade” benützt werden.
Der symbolische “benefit” gründet dabei in der simplen Tatsache, dass man finanziell in der Lage ist, dieses oder jenes Flugzeugticket zu kaufen.
All dies sind Auslöser für mein tiefes Misstrauen, dass, wer reist, sich über andere erhebt, gleichzeitig die Schaulust befriedigen kann und nachher mit Visumstempel, Fotos und materiellen Mitbringseln behaupten kann: “Ich war da und bin an Erfahrungen reicher”.
Dabei gerät nur allzu schnell in Vergessenheit, dass z.B. Österreich vor noch gar nicht so langer Zeit selbst ein armes Land gewesen ist, das uns heute wohl exotisch anmuten würde, Damals hatten wir 65% der Bevölkerung in der Landwirtschaft, heute sind es gerade mal 2%, Und genau dies ist ja der Maßstab, an welchem “Entwicklungsländer” heute gemessen werden: Ein Land wie Äthiopien hat 85% in der Landwirtschaft und ist damit eines der ärmsten Länder der Welt. Weil in der Landwirtschaft die Arbeitskraft nichts wert ist. Ich persönlich erinnere mich an viele Autobusfahrten, wo Bäuerinnen in einem Karton Hühner etc. zum Markt gebracht haben, so wie dies heute zum Beispiel in Mexiko zum Alltag gehört. Ein Land wie Österreich will dies natürlich heute nicht mehr wissen, fettgefressen, wie wir jetzt sind.
Für mich sind diese Erinnerungen immerhin noch so etwas wie eine Tür, um die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die Verhältnisse zumindest ein bisschen zu verstehen. Auch entkomme ich als Schriftsteller, der ja quasi immer im Dienst ist, dem von mir ungeliebten Konzept des “Urlaubs” und der Art und Weise, wie es als passives Konsumieren verstanden wird.
Als ursprünglich die Einladung zur Teilnahme an “mitSprache unterwegs” gekommen ist, sagte ich erstmal spontan ab. “Mir fällt dazu nichts ein”, sagte ich, und zwar deshalb, eben weil dieses Reisen für mich so problematisch ist. Dann aber ist mir doch ein “plot” eingefallen, wo ich in einer erzählenden Form all jene Einwände, die sich in mir formuliert haben, kommentierend einarbeiten kann. So dass ich einerseits etwas Positives, Reisefreudiges, Beobachtendes habe und andererseits ein Element, das mir ständig einflüstert, das Ganze sei ja doch nur ein einziger Schwindel. Es kann dabei naturgemäß nur etwas Ironisches, Gebrochenes, herauskommen. Zweitens habe ich eine Gegend gewählt, wo ich mich sehr gut auskenne, wo ich über sehr viele Informationen verfüge, so dass ich jetzt nur mehr überprüfend herumfahre… wie der Gogol’sche “Revisor”, der ja selber ein ausgemachter Gauner ist.
Man kann sich aus dem Generalverdacht gegen das Reisen nicht herausnehmen und muss sich selbst am stärksten misstrauen. Gerne wäre ich in dieser Beziehung wieder unschuldig wie früher. Aber I am sorry …
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